Merz gegen Merz – Staffel 2

Frier, Herbst, Wittenborn, Ralf Husmann, Felix Stienz. Raus aus dem Tollhaus

Foto: ZDF / Martin Valentin Menke
Foto Rainer Tittelbach

Die ZDF-Serie „Merz gegen Merz“ (Network Movie) geht in die zweite Runde. Aus dem Beziehungszweikampf wird eine Familiensache. In den neuen acht Folgen werden nicht mehr wie in Staffel 1 vor allem Argumente für oder gegen den Fortbestand der angeschlagenen Ehe gesammelt, jetzt trägt maßgeblich das Umfeld zur Unmöglichkeit der Lage bei. Und so ist ganz schön viel los in den acht neuen Folgen à 23 Minuten. Die Konflikte der drei Familien sind untrennbar miteinander verbunden. Aus der Sophisticated Comedy wird eine temporeiche Chaos-Comedy mit Dramedy-Touch Das Tragische gibt den Geschichten auch eine größere Ernsthaftigkeit; aber auch bissig-boshafter Witz kommt nach wie vor nicht zu kurz. Die Kunst der Beiläufigkeit ist eine Kernqualität von „Merz und Merz“ – und Frier, Herbst & Wittenborn sind Könner dieser Spielart des Komischen. Der Witz wird nicht ausgestellt, die Szenen enden nie auf Pointe. Und so geht auch der komische Umgang mit der Alzheimer-Erkrankung nicht nur in Ordnung, sondern sie gehört zu den Höhepunkten der Serie. Ralf Husmann & Co können das komische Potenzial der Demenz vorbehaltlos ausschöpfen, weil sie auch die tragische Seite zeigen. Dabei bleibt einem das Schmunzeln oft im Halse stecken.

Das Paar will es noch mal miteinander versuchen – aber die Widerstände sind groß
An der Paartherapie dürfte es eher nicht gelegen haben, dass Anne Merz (Annette Frier), geborene Reichert, und Erik Merz (Christoph Maria Herbst) es noch mal miteinander versuchen. Die Gewohnheit und das Geschäftliche verbinden eben doch – und dann ist da ja noch Sohn Leon (Philip Noah Schwarz), der auch schon ohne eine Scheidung verunsichert genug ist. Um künftig die Firmenangelegenheiten stärker vom Privaten zu trennen, wollen beide erst mal einen Ehevertrag machen: Ob sie damit ihre neu entflammte Liebe retten werden?! Die wird bald wieder auf eine harte Probe gestellt: Der Firma geht es schlecht, ein finnisches Unternehmen hat schon seine Arme ausgestreckt, um das Lebenswerk von Ludwig Reichert (Michael Wittenborn) an sich zu reißen. Der Alte, der schon genug mit dem Beginn seiner Demenz zu kämpfen hat, will eigentlich nur seine Ruhe – bis seine Frau Maria (Claudia Rieschel) offenbar alles nachholen möchte, was ihr in den letzten 30 Ehejahren entgangen ist. Das aber hält der Gatte nicht aus. Also doch besser Übernahme als Verkauf. Ludwig gibt weiterhin den Grußaugust, und Erik kann Chef bleiben,wenngleich ihm Ober-Boss Erkonnen (Mathias Harrebye-Brandt) das Leben schwer macht. Nur Annes Dienste als Marketingfrau sind nicht länger gefragt. Das belastet sie weniger als gedacht, denn ihre neue Freundin Lisa (Victoria Mayer) bringt sie auf andere Gedanken. Die sind allerdings wenig ehekompatibel.

Merz gegen Merz – Staffel 2Foto: ZDF / Martin Valentin Menke
Alzheimer macht’s möglich: Vollblutmanager Ludwig (Michael Wittenborn) hat mit seiner eigenen Firma nicht mehr viel am Hut. Er will endlich Spaß haben – allerdings nicht unbedingt mit seiner Frau. Erik (Herbst) muss immer ein Auge auf ihn haben.

Drei Familien im Clinch – und irgendwann wollen alle nur noch raus aus dem Tollhaus
Die ZDF-Serie „Merz gegen Merz“ geht in die zweite Runde. Aus dem Beziehungszweikampf wird eine Familiensache. In den neuen acht Folgen werden nicht mehr wie in Staffel 1 vor allem Argumente für oder gegen den Fortbestand der angeschlagenen Ehe gesammelt, jetzt trägt maßgeblich das Umfeld zur Unmöglichkeit der Lage bei. So wollen alle, die nicht bereit sind, im Hamsterrad des Alltags zu (ver)enden, im Laufe der rund 180 Minuten irgendwann einmal ausbrechen: Da jammert Anne am Ende von Folge 3 „Hier ist immer irgendwas, nur nie ich. Ich bin hier nie. Ich soll einfach funktionieren.“ Ihre Mutter schimpft eine Folge später unter Tränen: „Ich muss hier raus.“ Leon hätte auch schon längst das Weite gesucht und die Schule für seinen Job in den Shisha-Bars seines Freunds Damir (Madieu Ulbrich) aufgegeben, wäre er volljährig und geschäftsfähig. Sogar die gemeinhin so selbstzufriedenen Eltern von Erik, Günter (Bernd Stegemann) und Renate (Carmen-Maja Antoni), sind sich nach einer kleinen Krise mal wieder einig: „Wir müssen hier raus!“, motivieren sie sich gegenseitig. Gemeint ist: raus aus dem Haus ihres Sohnes und ihrer Schwiegertochter, in dem sie vorübergehend unterkommen mussten, weil sich Günter mit Aktiengeschäften kräftig verzockt hatte. Nur Erik will nirgends raus, er geht zunehmend in der Arbeit auf; da kommt ihm die Auszeit von der Familie, die sich Anne nimmt, sogar ganz recht. Auch Annes Vater Ludwig, dessen zunehmende Aussetzer für alle nur schwer auszuhalten sind, will mehr vom Leben: Eine alternative Körpertherapie kann zwar die fortschreitende Demenz nicht stoppen, stärkt allerdings seine Libido, was vor allem seine Therapeutin (Heike Trinker) zu spüren bekommt.

Aus der Sophisticated Comedy wird eine rasante Chaos-Comedy mit Dramedy-Touch
Es ist ziemlich viel los in den neuen Folgen von „Merz gegen Merz“. Die Konflikte der drei Familien sind untrennbar miteinander verbunden. Aus der Sophisticated Comedy wird also eine temporeiche Chaos-Comedy mit großer Handlungsdichte. Eine übermäßige Pointierung, wie sie vor allem den Sitcoms früherer Jahre eigen war, hatte Husmann der Serie auch schon in der ersten Staffel nicht verabreicht. Szenen enden nicht mit dem berühmten Ausrufezeichen (einst verstärkt durch einen Lacher), die Situationen bleiben stattdessen über das Ende hinaus in der Schwebe, was den Zuschauer zum Mitdenken anregen kann und den Plots eine gewisse Finalität verleiht: Da Husmann und seine Ko-Autoren sich nicht an standardisierte Komödien-Muster halten, gibt es in dieser Comedy neben dem großen Spaß am Augen-Blick immer auch jene „Spannung“ auf den Ausgang. Auch wenn die Folgen mit ihren 23 Minuten ein typisches Comedy-Format sind, so bewegt sich die Handlung – jetzt in der zweiten Staffel – mehr denn je in Richtung Dramedy. Das Tragische, das mitunter schicksalhafte oder selbstverschuldete Geschehen, gibt den Geschichten auch eine größere Ernsthaftigkeit, während es vor allem das Verhalten der Figuren und die konkreten, oft überraschend ausagierten Situationen sind, die Komik ins Spiel bringen. Da Erik und Anne sich immer seltener direkt miteinander auseinandersetzen, die beiden beispielsweise nicht mehr zum Therapeuten gehen, sondern nur gelegentlich einen Anwalt konsultieren, gibt es nicht mehr so viele Rededuelle zwischen dem Ehepaar Merz. Annette Frier und Christoph Maria Herbst bekommen dennoch genügend Möglichkeiten, mit ihrem großen komödiantischen Talent zu punkten – sprich: die sarkastischen Einwürfe und Repliken ihrer Charaktere rhetorisch brillant und schlagfertig abzufeuern und dabei jene Beiläufigkeit an den Tag zu legen, die für beide Schauspieler so typisch ist. Etwas gespart wurde diesmal mit erheiternden One-Linern. Vielleicht liegt es ja daran, dass sich Husmann für diese Staffel fünf statt zwei Autoren an seiner Seite hatte.

Merz gegen Merz – Staffel 2Foto: ZDF / Martin Valentin Menke
Die Konflikte mit Sohnemann Leon (Philip Noah Schwarz) eskalieren: Weshalb Abi machen? Lieber würde er ins Shisha-Geschäft einsteigen und mit Cannabis-Tropfen handeln. Das ruft nicht nur seine Eltern, sondern auch das Jugendamt auf den Plan.

„In vielen Situationen schlummert fast immer das Mögliche und oftmals auch das Bekannte. Da tut‘s dann richtig weh. Wenn wir es schaffen, die Wirklichkeit so bis zur Kenntlichkeit aufzublasen, dass das Schmunzeln schmerzt, ist unser Soll erfüllt.“ (Christoph Maria Herbst)

„Die Paar-Therapie als Klammer fällt weg und alle rücken sich näher auf den Pelz. Dadurch verzahnen wir die Generationen mehr, und plötzlich geht’s für alle ans Eingemachte. Als Macher geht’s uns ja genau wie den Zuschauern, wir kennen die Familie jetzt besser, deswegen haben wir noch mal einen anderen Blick darauf.“ (Ralf Husmann, Head-Autor, und Creative Producer)

One-Liner, Charakter-Komödie und die große Kunst der komischen Beiläufigkeit
Die Komik kommt dennoch nicht zu kurz. „Der Opa war bei der Grips-Verteilung Bier holen“, kanzelt Erik seinen Vater gegenüber Leon ab. Der umtriebige Rentner kann aber auch zurückgeben: „Grips für zwei Köpfe, aber linke Hände für vier Arme.“ Auch das, was seine bessere Hälfte loslässt, ist mitunter witziger als in der ersten Staffel. „Hab nur drei Bücher gebraucht im Leben: ein Kochbuch, ein Sparbuch und ‘n Stammbuch“. Wie Bernd Stegemann und vor allem Carmen-Maja Antoni die Vorgaben des Drehbuchs umsetzen, ist diesmal weniger grob boulevardesk. Köstlich eine Szene, in der die verzweifelte und sehr aufgebrachte Renate ihrem Sohn Investment-Unterlagen zur Prüfung geben will. Sie sitzt im Auto, ist zugeparkt und knallt beim Versuch auszusteigen gegen die Tür des Wagens zu ihrer Rechten. Eriks Sorge um das fremde Eigentum kontert sie mit dem Satz: „Das macht doch nichts, das ist doch bloß ‘n Auto.“ Und natürlich hat sie nach allerlei aufgeregtem Geplapper den Einwand des Sohns schon wieder vergessen und rumst ein zweites Mal gegen die Tür. Die Witzigkeit resultiert in diesem Beispiel aus dem richtigen Timing des Spiels und einem guten filmischen Flow (Regie: Felix Stienz). Auch auf die Gefahr hin, dass der eine oder andere Zuschauer nicht jeden Witz oder Gag mitbekommt: Die Kunst der Beiläufigkeit ist eine Kernqualität von „Merz und Merz“ – und Frier, Herbst und Wittenborn sind Könner auf diesem Gebiet des Komischen. Der Witz wird nicht ausgestellt, wenn beispielsweise der demente Vater seine Tochter „Anke“ statt „Anne“ nennt oder Maria aus der SIM-Karte eine SIMS-Karte macht. Die Komik gehört in erster Linie der Figur. Man kann sie als Zuschauer wahrnehmen oder eben auch nicht. Und wenn es zum Schlagabtausch mit feiner Klinge zwischen dem Ehepaar kommt, muss man schon ganz Ohr sein, damit einem kein köstliches Detail entgeht. Gleich die erste Szene beim Anwalt ist ein solches Highlight: Beide bemühen sich, doch dann muss jeder wie immer das letzte Wort haben. Wer „Merz gegen Merz“ noch nicht kennt, bekommt in 90 Sekunden Witz, Exposition und Charakterprofile geliefert.

Merz gegen Merz – Staffel 2Foto: ZDF / Martin Valentin Menke
Ihre neue Freundin bringt Anne (Frier) auf neue Ideen, ihr Leben zu leben. Seit Lisa (Victoria Mayer) geschieden ist, geht es ihr viel besser. Darauf noch ein Gläschen!

Wenn einem das Schmunzeln im Halse stecken bleibt: Das Tragische ist immer zugegen
Alzheimer und Komik – geht das? Bei dieser Serie auf jeden Fall! Husmann & Co können das komische Potenzial der Demenz vorbehaltlos nutzen, weil sie immer auch die tragische Seite zeigen. Oft bleibt einem das Schmunzeln regelrecht im Halse stecken. Schlimm, dass sich Ludwig nicht mehr an seinen Puk fürs Handy erinnern kann, „mein größter Erfolg“, alles weg! Als Anne das Büchlein mit dem Passwort findet und sie es ihrem Vater am Telefon durchgeben will, ist sie den Tränen nahe. Papas größter Erfolg ist sie: „Anne“. Es folgt ein bitterer Nachschlag. „Die Frau vom Telefonladen meint, mein Passwort sei Anne“, ruft Ludwig in bester Stimmung seiner Frau zu… Die Krankheit sorgt immer wieder für emotional tiefe, sehr wahrhaftige Momente. Und sie sorgt auch immer wieder für ein Umdenken der Figuren – oder dramaturgisch gesprochen: für eine Wende in der Handlung. So ist in Folge zwei das gegenseitige Misstrauen aus der Auftaktepisode für Anne erst mal wieder vergessen, nachdem ihr Vater, Unternehmer durch und durch, über den Sinn des Lebens sinniert: „Geld ist am Ende nur Geld … Jeder denkt, er ist stärker als das Leben; ist er aber nicht. Am Ende geht es nicht ums Geld, am Ende geht es darum, dass noch einer bei dir ist, dass du nicht alleine bleibst.“ Auch wenn der Alte sich nicht mehr lange an diese Sätze erinnern wird, sie veranlassen Anne, in der Sache mit dem Verkauf einzulenken. Als es dann aber doch nur zur Übernahme kommt, scheinen Anne die Worte des Vaters nicht mehr loszulassen: Muss sich denn immer alles um die Arbeit drehen!? Ab Folge 13 will Anne leben – anders als bisher!

Die Schichtung der verschiedenen Tonlagen, das innige Miteinander von Tragik und Komik, hat man in einer deutschen Serie selten so perfekt gesehen. Nie wird es geschmacklos, nie peinlich politisch korrekt oder gar menschelnd, denn ständig sind die Genre-Gegenkräfte am Werk. Und immer wieder kommt es zu kleinen Überraschungen und Wendungen, die man so nicht erwartet hat. Wer hätte schon gedacht, dass die Aussetzer des kultivierten Managers unter die Gürtellinie gehen („Ich mag Sie, ich mag Sie wirklich sehr“) oder dass das prollige, daueroptimistische Seniorehepaar Merz auch so seine Beziehungsprobleme hat. Und noch unvorstellbarer ist, dass Anne Eriks Mutter, dieses zwanghaft Stullen schmierende Schwieger-Monster, einmal liebevoll in den Arm nehmen würde. (Text-Stand: 22.3.2020)

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ZDF

Mit Annette Frier, Christoph Maria Herbst, Michael Wittenborn, Philip Noah Schwarz, Claudia Rieschel, Bernd Stegemann, Carmen-Maja Antoni, Charlotte Bohning, Mathias Harrebye-Brandt, Guido Renner, Victoria Mayer, Heike Trinker

Kamera: Brendan Uffelmann

Szenenbild: Ulrich Hintzen

Kostüm: Stephanie Fürst

Schnitt: Martin Mayntz

Redaktion: Sarah Flasch

Produktionsfirma: Network Movie

Produktion: Silke Pützer, Wolfgang Cimera

Headautor*in: Ralf Husmann

Drehbuch: Ralf Husmann, Christian Martin, Lars Albaum, Dietmar Jacobs, Anneke Janssen, Stephan Denzer – Creative Producer: Ralf Husmann

Regie: Felix Stienz

EA: 09.04.2020 22:15 Uhr | ZDF

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