Merz gegen Merz – Staffel 1

Herbst, Frier, Wittenborn, Ralf Husmann. Sie & Er – und der Reiz des Dazwischen

Foto: ZDF / Martin Rottenkolber
Foto Rainer Tittelbach

Der Vorspann der achtteiligen ZDF-Comedy „Merz gegen Merz“ (Network Movie) zeigt den Befund: Die entnervten Noch-Ehepartner haben keinen Spaß mehr miteinander. Sie würde sich am liebsten sofort trennen von ihrem „Gefühlslegastheniker“, doch Er ist die rechte Hand in der Firma seines zunehmend dementen Schwiegervaters, in der auch sie arbeitet. Helfen soll eine Paartherapeutin… Autor Ralf Husmann („Stromberg“) weiß, wovon er erzählt. Auch er hat eine Scheidung hinter sich. Die Vernunft hat Pause, denn dem anderen einen reinwürgen macht großen Spaß. Die Serie stimmt bis ins kleinste psychologisch-kommunikative Detail, bleibt aber dennoch Komödie. Es ist ein schmaler Grat, auf dem sich Autor und Akteure bewegen. Aber mit Witz und Ironie gelingt es Husmann, Herbst, Frier, Wittenborn & Co, Berge zu versetzen. Hinzu kommt eine erwachsene Sympathie-Politik, die ohne wohlfeile Geschlechtersolidarität auskommt. Und so lotet auch der Zuschauer diese Beziehung immer wieder neu aus. Auch Husmann wird dies weiterhin tun, denn eine 2. Staffel ist bestellt.

Die Ehe scheint am Ende – dummerweise ist das Paar auch beruflich verbandelt
„Wenn Sie ihr ein Einhorn schenken, will sie ein Zweihorn, ein Dreihorn, am besten ein goldenes Dreihorn“, sagt Er. „Das mein ich mit Hirnfinsternis: Die Doofheit schiebt sich vor sein Hirn“, kontert Sie. Das Ehepaar Merz hat schon bessere Zeiten gesehen, deshalb sitzen Anne (Annette Frier) und Erik (Christoph Maria Herbst) bei der Paartherapeutin Dr. Heller (Lena Dörrie). Die Situation scheint aussichtslos. Sagt sie Ja, sagt er Nein – und umgekehrt. Sie fallen sich ins Wort, beleidigen sich, und jeder der beiden versucht, die Psychologin davon zu überzeugen, dass er im Recht sei. Der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat, war Annes Geburtstag, an dem so gut wie alles schiefging. Für die Frau des Hauses stand danach fest: Das war’s! Auch wenn eine Trennung für ihren pubertierenden Sohn Leon (Philip Noah Schwarz) nicht schön ist – auch andere Familien haben das hingekriegt. Bei den Merzens kommt allerdings erschwerend hinzu, dass sie nicht nur privat, sondern auch beruflich verbandelt sind. Erik ist die rechte Hand von Schwiegervater Ludwig (Michael Wittenborn) in dessen Firma, in der sich Anne um das Marketing kümmert. Sie will ab sofort mitentscheiden, ja, sie würde ihren zukünftigen Ex am liebsten rauskegeln aus dem Familienbetrieb, und sie hat auch bald schon einen Ersatz in der Hinterhand – Belinay Lobenstein (Elmira Rafizadeh). Doch Ludwig, der sich immer einen Sohn gewünscht hat und der Frauen wenig zutraut, hält große Stücke auf Erik. Er selbst wird künftig vielleicht nur noch als Grüßaugust in Erscheinung treten: Denn es zeigen sich bei ihm erste Anzeichen von Demenz. Auch wenn Maria (Claudia Rieschel), seine bessere Hälfte, das nicht wahrhaben will: Die Aussetzer nehmen zu. Und so müssen die Merzens weiterhin zur Paartherapie.

Merz gegen Merz – Staffel 1Foto: ZDF / Martin Rottenkolber
Nach Ludwigs Demenzdiagnose halten die Merzens und Reicherts eng zusammen. Und was sagt der Betroffene? „Wär auch ’ne Lösung: Ihr erstickt mich alle und dann habt Ihr mich von der Backe.“ Frier, Herbst, Wittenborn, Rieschel

Die Vernunft hat Pause, denn dem anderen einen reinwürgen macht großen Spaß
Der Vorspann zu der achtteiligen ZDF-Comedy „Merz gegen Merz“ bringt den Konflikt der Noch-Ehepartner ikonografisch auf den Punkt: Die zwei haben keinen Spaß mehr miteinander. Statt wie in der ersten Einstellung gemeinsam zu lachen, erntet der andere bald nur noch Unverständnis, Kopfschütteln, beide sind genervt, allenfalls Erik kann Anne ein kurzes überlebensstrategisches Lächeln abringen. In den acht Folgen à 23 Minuten wird immer wieder diesen typischen Befindlichkeiten Ausdruck verliehen. Mann und Frau suchen Distanz zueinander und zur eigenen Situation: Sie gibt die Harte, die Entschlossene, Er flüchtet sich in Ironie und Zynismus. Zwei-, dreimal erinnert man sich – aller Wut zum Trotz – aber auch der langjährigen Nähe. So kredenzt Anne nach dem Besuch im Pflegeheim Erik seinen geliebten Schokokuchen. Es sind die Anderen, die die beiden wieder zusammenrücken lassen. Mal ist es die Demenz des (Schwieger-)Vaters, mal der renitente Sohn, mal der kleinkarierte Irrsinn von Geschäftskollegen oder den eigenen Eltern. Wenn die noch unmöglicher sind als der Partner, gibt es ein kurzes Solidarisierungshoch. Dann kann Sie unter „zwei Schichten Hornochsigkeit“ die ein oder andere Überraschung erleben, und Er findet es ja sowieso „eigentlich super wie konsequent Anne ist“. Und das Lachen über andere hat beide schon immer verbunden. „Wir hatten immer viel Spaß miteinander, wenn die Anderen Stress hatten.“ Doch augenblicklich haben Anne und Erik in erster Linie Stress miteinander. Und das heißt: Die Vernunft macht Pause, denn dem anderen einen reinwürgen macht einfach viel mehr Spaß. Die Folgen: Er zieht vorübergehend wieder zu seinen schwer gewöhnungsbedürftigen Eltern (Wer schenkt der Schwiegertochter zum Geburtstag schon Grünkohl?!), während sie sich dem Prosecco-Rausch hingibt und erst mal eine „Bauchweghose“ aus einem Homeshopping-Kanal ordert.

Switchen zwischen Katzenjammer & neuer Freiheit – und die Wut kriegt der Ex ab
Einen Rosenkrieg können sich die beiden nicht leisten, obwohl vor allem die Ehefrau durchaus das nötige Potenzial dafür hätte. Und so geht es hin und her. „Rein, raus, rein – scheint ja hier keine unübliche Bewegung zu sein“, heißt es einmal in der Serie. Das bezieht sich in diesem Fall auf das wankelmütige Verhalten der Charaktere. Man könnte dieses Prinzip aber auch der Dramaturgie zuschreiben, bei der eine gewisse Gleichförmigkeit beim Wechseln der Tonlagen auszumachen ist. Doch mit der Zeit versteht man, dass dieses Hin-und-her-Prinzip dem Beziehungsclinch zwischen Trennungsschmerz & wehmütiger Erinnerung an bessere Zeiten von der Realität abgeguckt ist. Diese (mögliche) Trennungsphase ist ein Wechselbad der Gefühle, ein ständiges Switchen zwischen Katzenjammer und wiedergewonnener Freiheit, zwischen Ehe-Agonie und Solo-Aufbruch. Da mischen sich die Wut auf sich selbst mit der Wut auf den Partner. Jeder projiziert alles Schlechte auf den anderen, gibt ihm die Schuld für das Scheitern der Beziehung, weil man diese Lebenskrise für sich allein so besser bewältigt. Das gemeinsame Ziel, die Ehe zu retten, gerät in weite Ferne. Das „Wir“ zerbröselt mehr und mehr. Und die Paartherapeutin scheint diesen Vorgang nicht aufhalten zu können.

Merz gegen Merz – Staffel 1Foto: ZDF / Martin Rottenkolber
Lachen schafft Distanz zur Situation, erzeugt aber auch große Nähe. Anne (Annette Frier) und Erik (Christoph Maria Herbst) sind offensichtlich die einzigen, die sich nach dem Pärchenabend mit Familie und Geschäftsfreunden noch verstehen.

Ein genialer B-Plot: die Demenz des (Schwieger-)Vaters
Wie Autor Ralf Husmann die Demenz in „Merz gegen Merz“ einbaut, gehört zu den Höhepunkten dieser Comedy. Ist die etwas andere – gleichsam ernste wie komische – Aufbereitung des Themas prinzipiell „aufregender“ als die Darstellung einer Ehe in der Trennungsphase? Wohl eher nicht. Der Reiz resultiert daraus, dass die Demenz nur gelegentlich kontrastierend – sprich: emotionalisierend – in das Grau(en) dieser Ehe hineinschwingt und so eine gewisse Abwechslung in den Geschlechterkampf bringt. Hinzu kommt die hinreißend fahrig-schusselige Art & Weise, mit der Michael Wittenborn (Liebling der Herzen!) diesen tragikomischen Sidekick verkörpert. Oft weiß man nicht: Ist das jetzt so ein typischer Aussetzer oder spielt der Papa nur damit (will er tatsächlich die anderen veräppeln) oder kriegt er während des Aussetzers gerade noch mal die Kurve?

Das Ausloten von Zwischenräumen: zwischen Gestern & Morgen, Komödie & Drama
Der Autor, „Stromberg“-Erfinder Ralf Husmann („Vorsicht vor Leuten“), weiß, wovon er erzählt. Auch er hat eine Scheidung hinter sich und „im Umfeld jede Menge Trennungen live miterlebt“. Da könnte man meinen, das habe ja alles nicht mehr viel mit Comedy zu tun. Doch bei Christoph Maria Herbst, Annette Frier und einem wie Husmann sind solche Befürchtungen unbegründet. Die besondere Qualität des Autors liegt im Ausloten von Zwischenräumen – zwischen Gewesenem und Zukünftigem, zwischen Komödie und Drama, zwischen Schmunzeln und Tränen. Es ist ein schmaler Grat, auf dem sich der Autor und die Akteure bewegen. Aber mit Witz und Ironie können diese Profis Berge versetzen. Die Komik schafft Distanz in den Situationen und zwischen der Handlung und den Zuschauern, denen diese vortrefflich dargestellten allzu menschlichen Gefühlslagen ja nicht fremd sein dürften. Eine gewisse Distanz entwickelt man als Betrachter auch zu den Figuren. Sie sind einem nah (man kennt deren Gesichter), aber dann auch wieder nicht, wenn sie sich ungerecht, verletzend oder kindisch verhalten. Als Zuschauer steht man zwischen ihnen, als interessierter und amüsierter Dritter, der mal dem einen, mal dem anderen zugeneigter ist. Erik hat vor allem Probleme mit der Empathie, Anne mit der richtigen Dosierung ihrer Aggressionen. Dass Husmann nicht auf wohlfeile Geschlechtersolidarität setzt – von wegen: alle Frauen sind für Anne, alle Männer sympathisierne mit Erik – ist ein großer Pluspunkt in Bezug auf Wahrhaftigkeit und Tiefe.

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„Rein, raus, rein scheint hier ja keine unübliche Bewegung zu sein“, konstatiert die nicht unter mangelndem Selbstbewusstsein leidende Belinay Lobenstein (Elmira Rafizadeh). Ein Königreich für Erik, denkt sich Ludwig (Wittenborn). „Der hat wenigstens immer nur seinen eigenen Penis mit ins Büro gebracht.“

Das Hin-und-her-Prinzip: Nichts geht mehr – aber man hat sich doch mal geliebt
Hat man am Ende von „Alles neu – alles anders“ (Folge 2) den Eindruck, dass das vielleicht doch wieder was werden könnte mit dem entliebten Paar, gibt sich in „Jeder ist ersetzbar“ (Folge 3) Anne plötzlich unversöhnlich, nachdem Erik ihren Vorschlag für ein neues Firmen-Logo autoritär abgeschmettert hat. In „Der Pärchen-Abend“ (Folge 4) kommt es zur erwähnten Annäherung durch Gelächter, nachdem zuvor die Aufforderung der Psychologin, in der Therapiesitzung einen Rollentausch vorzunehmen und das Gespräch aus der Perspektive des Partners zu führen, vielsagend gescheitert ist. Die ultimative Demenz-Diagnose lässt in „Unsterblich wie wir“ (Folge 5) die Merzens kurzzeitig wieder näher zusammenrücken. Wie sag ich’s meinem Sohn, dass der Opa bald nicht mehr der ist, der er einmal war? Anne ist besorgt: nicht nur wegen ihres Vaters; womöglich hat sie zwei Gefühlslegastheniker in der Familie, neben Erik scheint auch Sohn Leon wenig Sinn fürs Emotionale zu besitzen. Und dann geht erst mal wieder gar nichts: In „Date mit der Vergangenheit“ (Folge 6) zieht Anne einen Schlussstrich. Und wie in der Firma ist sie auch im Privaten um einen schnellen Ersatz nicht verlegen: Leons Elternsprecher (Simon Böer) scheint genau der Richtige zu sein. Und auch Töpfchen Erik kriegt mit Annes Kollegin und Freundin Vera (Charlotte Bohning) ein neues Deckelchen. In „Rein körperlich“ (Folge 7) überrascht Anne die Therapeutin mit ihrer Wut: „Ich könnt mittlerweile kotzen, wenn ich ihn nur sehe.“ Sie spricht von Gleichgültigkeit, doch sie meint dagegen wohl eher Eifersucht. Ihrer Freundin hat sie einen „Freifahrschein“ für Erik gegeben, ihm allerdings nicht. Trotz alledem trinken Anne und Erik – Macht der Gewohnheit – wieder ein Glas Wein zusammen, während ihr Sohn ein paar Meter weiter versucht, mit den Tipps des Vaters Freundin Amina (Tabea Willemsen) romantisch zu „verführen“. In der Schlussfolge „Alles auf Anfang“ müssen die Merzens zu Beginn erkennen, dass auch Paartherapeuten nur Menschen sind und bekommen mal wieder einen guten Grund, miteinander vergnügt zu sein. Ob das allerdings ausreicht für einen Neuanfang? Wie dem auch sei, das ZDF hat schon eine zweite Staffel bestellt. Irgendwie wird es also weitergehen. Der Cliffhanger zur zweiten Staffel deutet eine bisher völlig neue, dunkle Seite des Ehemanns an. Wahrscheinlich wird das nur ein Trick sein, eine falsche Fährte, ein bloßes Gedankenspiel. Wenn nicht, dann müsste „Merz gegen Merz“ in der zweiten Runde noch viel mehr Dramedy (Herbst nennt es „Tragedy“) werden, als die Serie jetzt schon ist. (Text-Stand: 7.4.2019)

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ZDF

Mit Christoph Maria Herbst, Annette Frier, Philip Noah Schwarz, Michael Wittenborn, Claudia Rieschel, Bernd Stegemann, Carmen-Maja Antoni, Lena Dörrie, Tabea Willemsen

Kamera: Eddie Schneidermeier, Brendan Uffelmann

Szenenbild: Götz Harmel

Kostüm: Stephanie Fürst

Schnitt: Katja Beck, Rainer Nigrelli

Redaktion: Stephan Denzer, Sarah Flasch

Produktionsfirma: Network Movie

Produktion: Wolfgang Cimera, Silke Pützer

Headautor*in: Ralf Husmann

Drehbuch: Ralf Husmann, Sonja Schönemann, Christian Martin

Regie: Jan Markus Linhof, Felix Stienz

Quote: (1+2): 2,19 Mio. Zuschauer (9,3% MA); (3+4): 2,95 Mio. (11,6% MA); (5+6): 2,79 Mio. (11,9% MA); (7+8): 2,95 Mio. (11,5% MA)

EA: 18.04.2019 22:15 Uhr | ZDF

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