Der gepflegte Rosenkrieg zwischen Erik (Christoph Maria Herbst) und Anne (Annette Frier) zog sich hin. Jetzt sind beide frei. Zumindest auf dem Papier. Der Wettstreit zwischen ihnen aber geht weiter. „Wenn man schon die Liebe verliert, will man wenigstens das Nachspiel der Liebe gewinnen“, bringt es Erik auf den Punkt. Die Gelegenheit fürs Nachspiel geben ihnen mal wieder die anderen: Familie auf Lebenszeit! Nach wie vor ist es vor allem Ludwig (Michael Wittenborn), der alle auf Trapp hält. Er fühlt sich im Pflegeheim nicht wohl, ist boshaft, büxt aus. Seine Frau Maria (Claudia Rieschel), die versucht, ihr eigenes Leben zu leben, macht ihre Einsamkeit mit sich selbst aus – zumindest zunächst. Nicht unproblematisch sind auch Eriks Eltern; und Sohnemann Leon (Philip Noah Schwarz) lügt allen lieber etwas von seinem Medizinstudium vor, anstatt Farbe zu bekennen: ein Merz eben. Er und Soraya (Süheyla Ünlü) wollen heiraten. Aber damit nicht genug. Sie finden die Idee von Opa Günter (Bernd Stegemann) und Oma Renate (Carmen-Maja Antoni) cool, ein Doppelfest zu feiern: goldene Hochzeit plus junges Glück. Und das in einer piefigen Gartenlaube. „Retro ist doch in“, wirft Annes Neuer (Nikolaus Benda) beschwichtigend ein. Erik ist geschockt ob dieses Jungspunds an Annes Seite. „Ist der von Leon aus der Klasse?“ Erik muss sich schleunigst etwas einfallen lassen, sonst gewinnt Anne das „Nachspiel“ haushoch.
Nach der Scheidung ist vor der Hochzeit. Und nach der Serie kommt nun ein 90-Minüter. „Merz gegen Merz“ geht in eine weitere Runde. Eine kluge Entscheidung. Denn was hat man da doch für ein Pfund hinter und vor der Kamera: Christoph Maria Herbst, Annette Frier und Michael Wittenborn – um nur die drei herausragenden Köpfe eines Klasse-Ensembles zu nennen – oder Ralf Husmann (Grimme-Preise für „Stromberg“ & „Dr. Psycho“), einer der erfahrensten Komödien-Autoren, der immer auch ein Auge auf die kleinen Dramen und alltäglichen Tragödien wirft, die das Leben schreibt. Bei der ZDF-Serie – seit 2019 im Programm – war er ganz in seinem Element. Er liebt diese Figuren, kennt sie seit Jahren, hält sie lebendig; er kennt sie aber auch aus dem Leben. Ähnliches gilt für das Publikum. Bei dem kommt noch die Präsenz der Schauspieler hinzu – besser gesagt: die liebgewonnene Verschmelzung von Rolle und Darsteller. Es wäre eine arge Vergeudung, diese weit überdurchschnittliche Qualität, die man sich schwer erarbeiten muss, diesen stimmigen Mikrokosmos aus gewachsenen Biografien, kluger Typisierung & Familien-Sinn, aber auch die etablierte, vertrauensvolle Beziehung zwischen Serie und Zuschauer nicht weiterhin zu nutzen. „Merz gegen Merz“ muss natürlich mehr als eine bequeme Gewohnheit sein. Mehr als eine lebenslange Ehe. Mehr als ein „Bis die Quote euch scheidet“. Dies gelingt in „Hochzeiten“ außerordentlich gut – auf allen Ebenen: dramaturgisch, thematisch, filmisch.
Von der Serie übernommen hat der Film den pointierten, flotten Rhythmus, der daraus resultiert, dass Husmann auf das flüssige elliptische Erzählen klassischer Komödien setzt, anstatt mit Redundanzen zu langweilen. Gab das serielle Kurzformat die Strukturierung der Handlung quasi vor, ist die Dramaturgie der 90 Minuten nun kein Selbstläufer. Husmann, der ja für etliche Langfilme („Vorsicht vor Leuten“, „Der König von Köln“), darunter sogar launige Krimis für den Dresden-„Tatort“, geschrieben hat, weiß wie man’s macht. Der Plot ist klar strukturiert, Situationen werden variiert, so passt die Form zur Handlung und fügt ihr selbst noch etwas Spielerisches hinzu. So gibt es beispielsweise zwei parallele Szenen im Vereinsheim der Laube, wo die große Sause abgehen soll: Beim ersten Mal bringt Anne ihren neuen Lover mit, beim zweiten Mal hält Erik mit seiner noch jüngeren Kollegin Laura (Yasemin Centinkaya) dagegen. Überhaupt sind alle Szenen angefüllt mit Beziehungssubtexten und wohlbekannten emotionalen Zwischentönen. Verursacht das Wiederholen von Mustern in ernsthaften Genres eher Langweile, führt es in guten Komödien zu einer wohligen Lust am Wiedererkennen – und wenn das Ganze dazu noch mit doppelbödiger Ironie gewürzt wird, kann so gut wie nichts schiefgehen. Gar nichts schiefgehen kann, wenn auch noch der Dialogwitz, der einem bei einer Komödie mit Herbst und Frier ja als erstes ein Schmunzeln entlockt, so punktgenau auf beide zugeschrieben ist.
Wie schon in der Serie werden die Themen, die die Hauptcharaktere umtreiben, ernst genommen: Annes verfrühte Menopause beispielsweise, der Umgang mit dem Älterwerden also oder dem Scheitern. Was einem nicht passt, wird erst mal in Merz-Manier geleugnet, dann verdrängt und in kleine Lügen (Spielhalle statt Uni) oder Sarkasmus verpackt: „Ich bin nicht die Hüpfburg im Kinderparadies“, herrscht Anne ihren jugendlichen Liebhaber an, weil der sie gern mal bei der Arbeit mit seinem Besuch überrascht. Ein wesentlicher Bestanteil der Geschichte bleibt die Demenzerkrankung und dessen Ambivalenz: das komische Potenzial dieses Krankheitsbilds für den, den es nicht direkt betrifft, und die tiefe Tragik, die diesem Niedergang einer Persönlichkeit innewohnt. „Ein Jäger aus der Pfalz hat seiner Frau am Arsch geleckt, jetzt riecht er aus dem Hals“ – auch wenn Michael Wittenborns dichtender Ludwig mit derlei Witzeinlagen à la Interburg & Co, die mitunter auch noch drastischer ausfallen können, für Erheiterung sorgen, so folgt ein trauriger Kontrapunkt garantiert auf dem Fuß.
Mehr als eine Kirsche auf der Erste-Sahne-Torte ist in „Hochzeiten“ die Inszenierung von dem „Merz gegen Merz“- erfahrenen Felix Stienz (mehrfach preisgekrönt für „Kroymann). Ganz ausgezeichnet ist die Kameraarbeit von Berta Valin Escofet („Kroymann“). Bemerkenswert der Ehrgeiz, das Chaos der Familie in einen ästhetischen Ausdruck zu übersetzen: in eine lange (100 Sekunden) und eine hyperlange, fünfeinhalbminütige Einstellung. Das ist keine Schönspielerei, sondern ein intelligentes und elegantes Mittel, durch Echtzeit das Drama kurz vor der Trauungszeremonie noch zu forcieren und die innere Anspannung der Merzens zu komprimieren und hautnah sichtbar zu machen. Gleichzeitig bietet diese konzentrierte Kameraführung, kombiniert mit einer Katastrophe, die Möglichkeit, die enge Familienbande zu betonen. Es beginnt sogar noch zu schneien. Natürlich Schneeregen. Eine grandiose Sequenz prallen Lebens und engagierter Spielfreude. Und auch wenn die Kamera Pirouetten schlägt, so gilt hierfür keineswegs das, was Opa Ludwig über den Lebensbund sagt: „Eine Ehe ist wie ‘ne Fahrt auf dem Karussell: kostet Geld, geht kurz rund und dann ist dir schlecht.“