Die Kamera blickt abends in die beleuchtete Wohnung der Familie Zierler, als der erste Schuss fällt. Drinnen bricht Panik aus, Peter Zierler (Hanno Koffler), seine Frau Maria (Alina Levshin) und ihre beiden Töchter suchen Deckung. Weitere Schüsse fallen, Glas splittert, die Kinder schreien. Zierler glaubt zu wissen, wer für den Anschlag verantwortlich ist. „Wenn das nicht aufhört – ich lass alles hochgehen“, droht er Alex Stengele (Heiner Lauterbach). „Du gehörst immer noch zur Familie“, versucht Stengele zu beschwichtigen. Die „Familie“, das ist die württembergische Waffenschmiede HSW, in der Zierler und Stengele Karriere gemacht haben. Stengele ist der neue Vertriebschef, Zierler der Waffenexperte, der den Kunden das neue Sturmgewehr präsentiert. Es ist „das beste Sturmgewehr der Welt“, behauptet Firmenchef Zöblin (schön skrupellos: Axel Milberg). Allerdings hat Zierler nach den Reisen nach Mexiko, wo HSW einen großen Auftrag ergattern will, Skrupel bekommen. Nun will er aussteigen aus der „Familie“, und Zöblins Knebelvertrag will er auch nicht unterschreiben.
Mit „Meister des Todes“ ist Autor-Regisseur Daniel Harrich („Der blinde Fleck“) und Autor Gert Heidenreich etwas Seltenes gelungen. Zum einen ist die fiktionale Umsetzung des Themas Waffenexporte ungewöhnlich nahe am aktuellen Geschehen: Im Fall des Mexiko-Exports des G36-Gewehrs von Heckler & Koch, auf den der Film Bezug nimmt, sind die Ermittlungsverfahren noch nicht beendet, was sich auch im offenen Ende widerspiegelt. Zum anderen wird der Anspruch eingelöst, das Publikum gleichermaßen aufzuklären wie einen spannenden und bewegenden Film zu erzählen. Ein scharfer, gut recherchierter, aktueller Polit-Krimi – so etwas gibt es auch in Deutschland, ab und zu. Schauspieler Milberg wird im Presseheft mit dem schönen Satz zitiert: „Endlich! In diesem Film geht’s um was: Illegale Waffenexporte aus Deutschlands Gemütlichkeit in die mörderische Wirklichkeit der Bandenkriege Mexikos. Der Film wird politische Folgen haben, wir freuen uns darauf.“
Ja, in diesem Film geht’s um was, wobei „Meister des Todes“ nur ein Teil der Verwertungskette ist: Es gibt noch ein Web-Feature, Hörfunkbeiträge, ein Sachbuch sowie die Fernseh-Dokumentation „Tödliche Exporte – Wie das G36 nach Mexiko kam“, die direkt im Anschluss im Ersten ausgestrahlt wird. Und die ebenfalls Daniel Harrich gedreht hat. Der Autor und Regisseur beschäftigt sich seit Jahren mit dem Thema Rüstungsexporte. „Ohne dieses Detailverständnis kann man im fiktionalen Bereich letztendlich nur an der Oberfläche kratzen – jedenfalls keine überzeugende und packende Geschichte aus der verschwiegenen Welt der Waffenhändler erzählen“, sagt Harrich. Die Realität sei „bisweilen noch brutaler, korrupter und schmutziger, als wir es im Spielfilm darstellen“.
Weil in Mexiko blutige Bandenkriege toben, soll HSW anfangs keine Export-Genehmigung erhalten. Den „Gutmenschen im Außenministerium“ (Stengele) wird dank der Unterstützung von Ministerialdirigent Herkenrath (Michael Roll) das Zugeständnis abgehandelt, dass die Genehmigung regional begrenzt erteilt wird – und nicht für die Bundesstaaten Mexikos gilt, in denen die schlimmsten Zustände herrschen. Dass kaum zu kontrollieren sein wird, wo die Gewehre schließlich zum Einsatz kommen, ist allen Beteiligten jedoch klar. Die vermeintlichen Saubermänner halten sich vordergründig ans Gesetz und verschließen die Augen bewusst vor der Realität. Später werden sie sich gegenseitig in die Pfanne hauen.
Peter Zierler dagegen ist der Herr Jedermann, der ein braves, bürgerliches Leben führen will, der Familie und ein Eigenheim hat und sich nicht groß Gedanken macht über die Folgen seines Tuns. Der ältere Stengele ist Vorbild, Freund und Förderer, doch der gemeinsame Trip nach Mexiko lässt Zierlers naives Weltbild ins Wanken geraten. Gert Heidenreich nennt ihn „eine Figur, wie Autoren sie lieben: Einer, der wahrlich nicht zum Helden prädestiniert ist, findet seinen Weg“. Hanno Koffler spielt diese Hauptrolle mit einer ähnlichen Kraft und Intensität wie einst den Soldaten und Afghanistan-Heimkehrer in „Nacht vor Augen“. Das ist enorm wichtig, denn Zierler ist die Identifikationsfigur, das emotionale Zentrum des Films.
Bemerkenswert sind auch die Schlüssel-Szenen der von der Polizei in Mexiko blutig zusammen geschossenen Demonstration. Die Konfrontation ist bedrückend realitätsnah inszeniert worden. Die exzellente Bildgestaltung von Kamera-Altmeister Gernot Roll („Heimat“ / „Die Manns“) behält dabei immer Zierler im Blick, der durch diesen Gewalt-Strudel taumelt. Kurz zuvor hatte er die Polizisten bei der Handhabung des Sturmgewehrs eingewiesen, nun erlebt er die Folgen am eigenen Leib. Dieses Erlebnis ist der Wendepunkt im Film, der – abgesehen von der im Vorgriff erzählten Schieß-Attacke auf Zierlers Haus – eher gemächlich beginnt und nun zunehmend an Fahrt und Spannung gewinnt.
Ausführlich erzählen Harrich und Heidenreich, wie das Geschäft in Mexiko angebahnt wird. Wie Handelsvertreter Lechner (eindrucksvoll vielsprachig: Udo Wachtveitl) Kontakte pflegt und mit der Tochter des Generals anbandelt. Zierler lernt bei einem Fest-Essen die andere, rebellische Tochter kennen – mit der angedeuteten Romanze kommt später eine tragische Note ins Spiel, was etwas dick aufgetragen wirkt. Mexiko ist jedenfalls ein wichtiger Schauplatz im Film: der Moloch Mexico-City mit seinem Auto- und Lichter-Meer, die Essen bei der wohlhabenden Familie des Generals, die Unruhe auf den schmutzigen Straßen, die Militärparaden auf dem gewaltigen Plaza de la Constitución. Die Bilder transportieren nichts von der Beschaulichkeit, die gerne in deutschen Fernsehfilmen an exotischen Orten herrscht.
Und sie sind ein wuchtiger Gegensatz zur württembergischen Provinz, wo Gernot Roll die Kamera über triste, abgeerntete Felder fliegen lässt. Vielleicht eine Metapher auf die moralische Verwüstung in einer Kleinstadt, in der eine Art Korpsgeist jeglichen Widerspruch zu unterdrücken sucht? Zierler begeht mit seiner Abkehr von Stengele sogar eine Art Vatermord. Er und seine Familie werden zu Geächteten. Die gutbürgerliche Fassade bröckelt, wenn einer aus der Reihe tanzt und sich gegen den wichtigsten Arbeitgeber wendet. Das kleinstädtische Panorama wird durch interessante Nebenrollen ergänzt. Stengeles Frau Sabine (in einer scharfzüngigen Nebenrolle: Veronica Ferres) flüchtet in Alkohol und Zynismus („Er verscheuert Waffen, und ich verschleuder sein Geld für ,Frauen für den Frieden’“). Herbert Knaup ist als Lokalpolitiker zu sehen, dem vor allem die Arbeitsplätze am Herzen liegen – und sein eigenes Mandat. Ohne eine sympathische Figur, die sich aus guten Gründen vor dem Verlust ihres Arbeitsplatzes fürchtet, wirkt der Film zwar ein bisschen unversöhnlich. Aber eben auch klar und präzise positioniert: als Anklage gegen die Rüstungsexport-Politik und zugleich als Appell an die Verantwortung jedes Einzelnen. (Text-Stand: 31.8.2015)