Die HSW-„Familie“ aus dem schwäbischen Hochdorf ist wieder da: Für den örtlichen Bundestagsabgeordneten Klaus Wagner (Heinz Hoenig), der 60 Jahre alt geworden ist, gibt es in der Waffenfabrik eine kleine Feier. Wagner verspricht, auch dann „zu euch“ zu stehen, „wenn aus Stuttgart dunkle Wolken aufziehen“. HSW-Geschäftsführer Heinz Zöblin (Axel Milberg) bedankt sich mit einer Spende für eine Schule für körperlich und geistig eingeschränkte Kinder. Manager und Politiker inszenieren sich als befreundete Wohltäter, die „Familie“ unten im Saal klatscht brav Beifall. Auch der ehemalige Vertriebsleiter Alex Stengele (Heiner Lauterbach), seine Frau Sabine (Veronica Ferres) und Otto Lechner (Udo Wachtveitl), Handelsvertreter in Mexiko. Die Besetzung ist dieselbe wie in dem im Jahr 2015 ausgestrahlten Film „Meister des Todes“, in dem Sturmgewehre an die mexikanischen Sicherheitskräfte verkauft wurden, obwohl in einigen Regionen des mittelamerikanischen Landes Bandenkriege herrschen und Menschenrechte immer wieder verletzt werden. Als Folge sind nun die besagten „dunklen Wolken“ aufgezogen, gemeint ist der Prozess vor dem Landgericht Stuttgart: Angeklagt sind Stengele, Lechner, Zöblin und seine Büroleiterin Lisbeth Kraus (Barbara Philipp), weil sie „gewerbsmäßig und als Teil einer organisierten kriminellen Bande gegen das Außenwirtschaftsgesetz und das Kriegswaffenkontrollgesetz“ verstoßen haben sollen, wie Staatsanwalt Morlock (Oliver Mommsen) ausführt.
Foto: SWR / Jürgen Olczyk
In stetem Wechsel wandert die Handlung zwischen Baden-Württemberg und Mexiko, wo es gleich zu Beginn hochdramatisch wird, hin und her. Miguel Hernández (Krystian Ferrer) und sein jüngerer Bruder Angel (Juan Rámon López) schleichen sich in die Kirche, in der gerade der Sohn des Gouverneurs heiratet, und stören die Hochzeit mit ihrem lautstarken Protest gegen die Korruption im Land. Draußen werden sie von ihren Mitstreitern begeistert gefeiert. In bester Stimmung fährt die Gruppe in einem Reisebus heim – bis sie von der Polizei gestoppt wird. Als einige der jungen Demonstranten, darunter auch der furchtlose Angel, den Bus verlassen und mit erhobenen Händen auf die Polizei zugehen, eröffnen die Sicherheitskräfte das Feuer. Miguel flieht, überwältigt in einem Kakteenfeld einen Polizisten und schnappt sich dessen Gewehr. Die Familie findet Angel schließlich in einem Krankenhaus, er hat schwere Kopfverletzungen erlitten und liegt im Koma. 43 Studenten bleiben verschwunden – auch damit bezieht sich der Film auf einen realen Fall: Im September 2014 wurde in Mexiko eine Gruppe Studenten auf dem Weg zu einer Demonstration von der Polizei angegriffen. Sechs Studenten starben, 43 wurden festgenommen und sind seitdem verschwunden. „Die Waffen der Polizisten wurden später beschlagnahmt“, berichtete ein Jahr später die Wochenzeitung „Die Zeit“. Aus den Prozessakten gehe hervor, dass drei Dutzend G36-Gewehre von Heckler & Koch bei dem Einsatz verwendet worden seien.
Foto: SWR / Jürgen Olczyk
Das Drehbuch von Daniel Harrich und Gert Heidenreich lehnt sich auch bei der Darstellung des Stuttgarter Prozesses eng an die Wirklichkeit an. Im Februar 2019 waren zwei Geschäftsführer und ein früherer Vertriebsleiter von Heckler & Koch freigesprochen worden. Ein weiterer Ex-Vertriebsleiter und eine Mitarbeiterin waren zu Bewährungsstrafen, das Unternehmen zu einem Bußgeld von 3,7 Millionen Euro verurteilt worden. Sowohl die Verurteilten als auch die Staatsanwaltschaft sowie das Unternehmen selbst legten Revision ein, so dass der Fall vor den Bundesgerichtshof wandern wird. Die Verhandlung und das Urteil werden in der fiktionalen Variante zugespitzt, aber manche Details stimmen mit der Wirklichkeit überein: Zum Beispiel dass sich der Handelsvertreter aus Mexiko krank meldete, oder dass der Prozess „kein Tribunal über Waffenexporte und Rüstungsindustrie“ werden soll, wie damals der Richter betonte. Aus dem Richter ist eine Richterin geworden, von Désirée Nosbusch („Bad Banks“) mit der notwendigen Autorität gespielt. Manche richterliche Einlassung wirkt allerdings ziemlich irritierend – ob das nun Zitate aus der Wirklichkeit sind oder Erfindungen der Autoren, bleibt unklar. Etwas billig auch am Ende der Hinweis auf die gemeinsame berufliche Zeit von HSW-Geschäftsführer, Richterin und Staatsanwalt.
Foto: SWR / Michael Praun
Der Film „erhebt nicht den Anspruch, Geschehnisse authentisch wiederzugeben“, wie es auf der zu Beginn eingeblendeten Schrifttafel heißt. Das gilt leider insbesondere für den Handlungsstrang in Mexiko. Die übliche Synchronisierung wirkt in einem Film, der den Opfern von Rüstungsexporten eine Stimme geben will, besonders deplatziert. In „Meister des Todes 2“ sprechen alle Mexikaner fließend Deutsch und singen sogar ihren Babys Lieder auf Deutsch vor. Wenn sich Deutsche und Mexikaner begegnen, gibt es auch keine Sprach-Barrieren mehr. Aber diese kulturelle Aneignung ist erstens falsch und überheblich und erzeugt zweitens eine Künstlichkeit, die auch die ergreifendste Szene nicht wett machen kann. Vermutlich war es den Machern wichtig, ein möglichst großes Publikum mit ihren gesellschaftskritischen Anliegen zu erreichen und die Breitenwirkung nicht durch sperrige Untertitel aufs Spiel zu setzen. Aber weiß man so genau, dass die Flucht vor Untertiteln größere Ausmaße annimmt als die Flucht vor einer möglichst sorgfältigen Inszenierung?
Das Lob für die Hartnäckigkeit, mit der Grimme-Preisträger Harrich & Co. das Thema weiter verfolgen, soll das aber nicht schmälern. Die engagierte Botschaft des Films spiegelt sich auch in der Dramaturgie wider, die eine Gleichzeitigkeit von Prozess und Menschenrechts-Verletzungen schafft. Wenn die Polizei ohne Vorwarnung das Feuer eröffnet, wirken die Aussagen Zöblins vor Gericht und der seltsame Gummibären-Vergleich der Richterin umso zynischer und unpassender. Kontrastreiche Akzente werden auch in der Bildgestaltung gesetzt: Hier das satte, warme Gelb im heißen Mexiko, dort die blasse, nahezu farblose Kühle des Stuttgarter Gerichtssaals. Die Kameraführung von Michael Praun passt sich in Mexiko der fiebrigen Unruhe im Land an, ist aber auch im Gericht ständig in Bewegung.
Foto: SWR / Jürgen Olczyk
Als Scharnier zwischen den Welten fungiert eine neue Figur, die Harrich und Heidenreich im zweiten Teil einführen: Menschenrechtsanwältin Christiane Schuhmann (Katharina Wackernagel) ist als Beobachterin im Prozess anwesend, knüpft den Kontakt zu Sabine Stengele (Veronica Ferres) und sucht mit ihr gemeinsam in Mexiko nach Beweisen dafür, dass die Polizei das HSW-Gewehr gegen die Studenten eingesetzt hat. In diesem Drama mit recht eindeutig verteilten Gut- und Böse-Rollen agiert Katharina Wackernagel angenehm zurückhaltend und weitgehend ohne Pathos. Auch Veronica Ferres macht in ihrer ganz und gar nicht glamourösen Rolle eine respektable Figur: Als Sabine Stengele, die schon im ersten Film ihre Abscheu vor der HSW-„Familie“ und dem Waffenverkäufer-Job ihres Mannes im Alkohol ertrank, rückt sie nun in den Vordergrund. Alex Stengele erklärt vor Gericht, er wolle umfassend aussagen. Seine späte Einsicht kommt etwas überraschend, bleibt aber ohne Folgen, denn zuvor stirbt er an einem Herzinfarkt. Die Witwe rettet einen Teil der belastenden Unterlagen vor dem Zugriff Zöblins und reist gemeinsam mit Anwältin Schuhmann nach Mexiko. Freilich stehen ihr die eigene Sucht und das Selbstmitleid im Weg.
Während sich Sabine Stengele endlich von der „Familie“ befreien will, suchen Zöblin und Co. ihre Haut zu retten. Großartig Axel Milberg als Manager, der so ungerührt Verständnis und Zuneigung heucheln kann, um im nächsten Augenblick auf Frontalangriff umzuschalten. Und der vor Gericht den „einfachen Juristen aus Rottweil“ mimt, der leider nichts dafür kann, wenn sich die ausländischen Geschäftspartner nicht an die Vereinbarungen halten. Die „Endverbleibserklärung“, in denen behauptet wurde, dass die Waffen nicht in bestimmte Unruhegebiete Mexikos geliefert werden – eine Farce, um die Bedenken im Außen-Ministerium auszuräumen. Stark auch Udo Wachtveitl, der den korrupten Mexiko-Gesandten Otto Lechner sehr gelassen als Täter ohne jeden Selbstzweifel spielt. Als Rechtfertigung für die Rüstungsexporte führt Lechner das Argument ins Feld, Hitler-Deutschland hätte schließlich auch nicht ohne Waffen besiegt werden können. Fassungslos machen die Aussagen des vermeintlichen Exportkontrolleurs aus dem Bundeswirtschaftsministerium (Michael Roll) und eines Unternehmensberaters (Heio von Stetten), die für die Verflechtung von Politik, Ministerien und Wirtschaft stehen. Wie im ersten Film gelingt es, die Mechanismen hinter den weiter steigenden Waffenexporten aus Deutschland offen zu legen und gleichzeitig eine dramatische und packende Geschichte zu erzählen.