Elf Jahre hat sich Hartmut „Bonanza“ Zeller (Günther Maria Halmer) bei seiner Familie nicht mehr blicken lassen. Auch jetzt treibt ihn weniger das schlechte Gewissen oder sein Vaterinstinkt von München ins Oberallgäu. Der Altrocker, in den 80ern mit seiner Band The Hardys ein One-Hit-Wonder, hat Schulden, keine feste Bleibe, und eine Gerichtsvollzieherin (Saskia Vester) ist hinter ihm her. Da ihm auf dem Weg in die alte Heimat auch noch das Benzin ausgeht, gabelt er einen Papa und sein Töchterchen auf, Nikos (Adam Bousdoukos) und Marie (Panka Simon). Er verunsichert, sie überängstlich, da hat „Verführer“ Hartmut leichtes Spiel. Seine Tochter Tinka (Isabell Polak) lässt sich allerdings nicht so einfach manipulieren. Sie will ihn schnellstens wieder loswerden, auch weil sie glaubt, dass seine Anwesenheit seiner Ex-Frau Luise (Irene Kugler) nicht guttut; sie hat Demenz und nur noch ab und zu lichte Momente. Etwas mehr Interesse zeigt Enkel Florian (Zethphan Smith-Gneist), der hofft, von seinen Opa mehr über seinen toten Vater zu erfahren. Als Hartmut seiner Tochter dann auch noch beizubringen versucht, dass ihm ein Anteil vom Hof gehört, ist die Krise bei den Zellers perfekt. Gerade hatte Tinka, der das Wasser ebenfalls bis zum Hals steht, nur durch die Großzügigkeit des befreundeten Bankfilialleiters (Florian Odendahl) das Schlimmste abwenden können. Und jetzt das!
Foto: Degeto / Kerstin Stelter
Man kennt’s. Sowohl die Versatzstücke des Plots als auch den Verlauf der Handlung, und auch ins bayerisch-ländliche Milieu wird der Fernsehzuschauer ja regelmäßig von den Sendern eingeladen. Dennoch ist Autorin Melanie Brügel und Regisseurin Imogen Kimmel mit dem ARD-Freitagsfilm „Mein Vater, der Esel und ich“ eine unterhaltsame, dramaturgisch dichte, kaum stereotyp wirkende Familienkomödie gelungen. Die Variation des Immergleichen, hier folgt man ihr ohne Reue. Herzstück des Films ist die männliche Hauptfigur und ihr Darsteller: Günther Maria Halmer, bekannt geworden als Tscharlie in Helmut Dietls „Münchner Geschichten“, darf zu seinem Achtzigsten an diese Kultfigur der 1970er Jahre noch einmal erinnern. Der Hallodri von einst, ein liebenswerter Traumtänzer im Cowboy-Style, ist nun in der Figur des vollkommen abgebrannten Bonanza wiederauferstanden. Einer, der sich und den anderen etwas vormacht, der flunkert, sein Gegenüber gern mit seinem Charme einwickelt und auch vor Lügen nicht zurückschreckt. Ob das mit dem Vertrag zwischen ihm und seiner Ex-Frau überhaupt stimmt!? Ein nächtlicher Dialog mit dem titelgebenden Esel, eine der wenigen Momente, in denen der Film für den Kritiker die Schmerzgrenze überschreitet, bestärkt den Zuschauer in eben diesem Zweifel.
Halmer, der in den letzten zwei Jahrzehnten, nach dem Aus seiner außergewöhnlichen ZDF-Reihe „Anwalt Abel“ (20 Episoden, 1988-2001), neben einigen überzeugenden Dramen wie „Familienfest“ (2015) oder „Die Vergesslichkeit der Eichhörnchen“ (2021), sehenswerten Komödien wie „Die Hochzeit meiner Eltern“ (2016) oder „Wir lieben das Leben“ (2018) für die Degeto auch Filme gemacht hat, die man besser schnell wieder vergessen sollte („Alles Chefsache“, „Der Meineidbauer“, „Sonntagsvierer“) – hier überzeugt er seit längerem mal wieder in einer leichten Rolle. Sein Charme ist gut gealtert. Als einer der markantesten Schauspieler seiner Generation vermag er es allerdings auch, seinem Bruder Leichtfuß nachdenkliche Zwischentöne zu geben, zumal diese deutlich im Drehbuch angelegt sind. So belauscht er in einer der schönsten Szenen des Films, einen nächtlichen Hollywoodschaukel-Plausch seiner Tochter mit dem sensiblen Nikos, und erfährt so viel von dem tief verletzten Kind, für das er, der egoistische Vater, der lieber dem flüchtigen Ruhm als Rockmusiker nachjagte, die Verantwortung trägt. Dieser Mann ist im Alter einsichtig geworden, doch da er pleite ist, muss er Dinge tun, die der Tochter ihr Bild von ihm nur bestätigen können. Wo das Geld knapp ist, hat ein Banker leichtes Spiel. Ein „Kuhhandel“ macht Tinka zum Manipulationsobjekt. Aber will Bonanza so ein Mannsbild sein?!
Foto: Degeto / Kerstin Stelter
Es ist nicht Halmer allein, der den Unterschied macht. Die Besetzung ist durchweg gelungen. Isabell Polak hat sich nach ihrer Hauptrolle in der RTL-Serie „Böse Mädchen“ (2007-11) vor allem durch die Comedy(serien)-Szene gespielt, bevor sie in „Dr. Hoffmann“ (2022) und in „Die Frau im Meer“ (2023) neben Kai Wiesinger und Heino Ferch eine auffallend gute Figur machte. Auch in „Mein Vater, der Esel und ich“ verkörpert sie ihre Tinka Zeller ernsthaft: eine Frau, die stets Verantwortung tragen musste, als Alleinerziehende für den Sohn, bald als liebevoller Rückhalt für die demente Mutter – und jetzt will auch noch der verlorene Vater was von ihr. Polak spielt das klar und ohne überzogene Emotionen, selbst wenn sie zu Beginn ihrem Vater pampig begegnet („Ex-Tochter“, „Es gibt Nichts zu reden“), so hat man doch nie den Eindruck, als würde man hier einer bereits 999 Mal gesehenen Beziehungskonstellation beiwohnen. Die Theaterschauspielerin Irene Kugler ist auch in kleinen Rollen stets eine Bereicherung. Gleiches gilt für Adam Bousdoukos. Und die Besetzung von „Druck“-Darsteller Tethphan Smith-Gneist ist auch kein Anbiedern beim jungen Publikum (denn das verläuft sich nicht am Freitag ins Erste): Dass er mehr als ein Hingucker ist, bestätigt nicht zuletzt auch seine Rolle im Ausnahme-Kinodrama „Tár“.
Überzeugend sein können die Schauspieler aber nur, weil diese oft erzählte Geschichte nicht von den vordergründigen Problemsituationen lebt, sondern weil die Konflikte in den Beziehungen über Jahre angelegt sind. So ist die pekuniär missliche Lage des Vaters eben mehr als ein bloßer Handlungsauslöser; in ihr spiegeln sich gleichsam das Wesen dieses Mannes, seine Leichtsinnigkeit, die der faszinierenden Leichtigkeit des Seins („ist gut fürs Gemüt und schlecht für den Geldbeutel“) auf dem Fuß folgte und die einst das Ende dieser Familie beschleunigen sollte. Der Film vermittelt einem erwartungsgemäß keine psychologisch ausgefeilte Familienaufstellung, aber er erzählt von Verhaltensmustern und -motiven, beispielsweise dem abwesenden Vater, die bei den Zellers wiederkehren. Und das passiert unprätentiös. Sogar das Motiv des unter mangelndem Selbstbewusstsein leidenden Mädchens taucht in der Geschichte zweimal auf (bei Tinka als Kind und bei Nikos‘ Tochter); auch das eher beiläufig. Filmisch besticht „Mein Vater, der Esel und ich“ durch seine Details. Weil es in dem maroden Haus kein Licht mehr gibt, sorgen abends Kerzen für eine ansehnliche Stimmung. Und das Haus selber ist ein wunderbarer optischer Kontrast zu der Weite der sonnendurchfluteten oberbayerischen Landschaft. Die Zimmerdecke, gefühlte zwei Meter tief, dazu die passenden Türen – in diesem Haus ist alles eng, heimelig, kuschelig: Mutter und Sohn leben (noch) in einer Art Symbiose, denn nur so ist dieser Alltag zu bewältigen. Das Erzählte mag nicht weltbewegend sein, der zweite Blick aber verrät, dass in dieser Komödie das Meiste stimmt. (Text-Stand: 1.5.2023)