Vermutlich war sie die berühmteste erfolglose Spionin der Welt: Bis heute ist nicht restlos geklärt, ob die holländische Tänzerin Margaretha Geertruida Zelle, unter ihrem Künstlernamen Mata Hari fast eine Art Mythos, eine raffinierte Doppelagentin oder bloß ein Justizopfer war. Tatsache ist, dass sie während des Ersten Weltkriegs als Spionin für den deutschen Nachrichtendienst gearbeitet hat. Als sie vom französischen Geheimdienst enttarnt wurde, wechselte sie die Seiten, auch das nützte ihr nichts; im Sommer 1917 wurde sie hingerichtet.
Die Geschichte von Mata Hari („Auge der Sonne“) ist erstmals 1920 verfilmt worden (mit Asta Nielsen); die bekannteste Version stammt aus dem Jahr 1932 und zählt zu den erfolgreichsten Hollywood-Filmen Greta Garbos. Mit den tatsächlichen Ereignissen hatte das Werk allerdings nicht viel zu tun, die Geschichte diente in erster Linie als Vorwand, um „die Garbo“ zu feiern. Davon ist „Mata Hari – Tanz mit dem Tod“ weit entfernt. Der Fernsehfilm zeigt die ehemalige Tänzerin als verblühte Schönheit, die sich im Glanz einer längst untergegangenen Sonne sonnt. Deshalb ist die Besetzung mit der eigentlich deutlich zu alten Natalia Wörner auch nur auf den ersten Blick irritierend. Die Schauspielerin ist fast fünfzig; als sich Mata Hari den Deutschen andiente, war sie 39. Gerade bei den Tanzszenen in den Rückblenden hätte der Altersunterschied etwas heikel werden können, aber Kameramann Jan Kerhart, der seine farbentsättigten Bilder in ein typisch historisches fahles Licht taucht, hat dieses Problem elegant gelöst; die entsprechenden Aufnahmen sind sehr diskret gefilmt.
Der Reiz der Rekonstruktion dieses fraglos ungewöhnlichen Lebens liegt ohnehin woanders. Regisseur Kai Christiansen hat für Vincent TV, die Produktionsfirma von Sandra Maischberger, auch die historischen Dokumentarspiele „Ein blinder Held – Die Liebe des Otto Weidt“ (2014) und „Der gute Göring“ (2016) gedreht. Gerade der Göring-Film lebte vom Gegensatz zwischen den beiden Titelrollen: hier der operettenhafte feiste Reichsmarschall, dort sein schmächtiger Bruder Albert, der vielen Juden das Leben gerettet hat. Ganz ähnlich funktioniert die Konstellation in „Mata Hari“, wenn auch nicht mit derart klar verteilten Vorzeichen: Angeworben und instruiert wird Mata Hari von ihrer deutschen Führungsoffizierin Elsbeth Schragmüller, die bloß „Fräulein Doktor“ (bzw. von den Franzosen „Mademoiselle Docteur“) genannt wird. Über diese Frau ist naturgemäß weitaus weniger bekannt als über die Holländerin, weshalb sich Nora Waldstätten Elsbeth als typische Waldstätten-Figur aneignen kann: äußerlich kalt, scheinbar gefühl- und mimisch regungslos. Zwei kurze Rückblenden, als Elsbeth erst ihren Verlobten in den Krieg verabschiedet und später die Mitteilung über seinen Tod erhält, müssen genügen, um anzudeuten, warum die Frau wurde, was sie ist.
Natürlich macht sich Christiansen den Kontrast zwischen den beiden Hauptfiguren zunutze: hier der verwehte Glamour einer Frau, die nach wie vor auf ihrem Status als Diva beharrt, sich jedoch schon lange bei den Männern für deren Gefälligkeiten revanchieren muss; dort die berechnende Offizierin, die sich die Sehnsucht der Tänzerin nach Anerkennung und einer Fortsetzung des einstigen ausschweifenden Lebensstils zunutze macht. Da die Unterschiede offenkundig sind, hätte es eines Dialoges, bei dem Mata Hari die Deutsche aus der Reserve locken will, gar nicht bedurft: „Sie leben wie eine Nonne, und ihr Herrgott ist der Krieg.“ Dass sich Schragmüller tatsächlich provozieren lässt und kurz aus der Haut fährt, ist erst recht überflüssig, zumal „Fräulein Doktor“ im Grunde die interessantere Rolle ist: Die emanzipierte und promovierte Geheimdienstmitarbeiterin, erste deutsche Offizierin überhaupt, war ihrer Zeit in vielerlei Hinsicht weit voraus. Ihr Chef (Robert Schupp) schlägt sie gegen Ende für einen Orden vor, kann ihr dann aber nur seine „höchste Anerkennung“ aussprechen; Orden waren für Frauen zu jener Zeit nicht vorgesehen. Gerade weil Waldstätten die Rolle so beherrscht interpretiert, fällt ein emotionaler Besuch Elsbeths bei ihrer Schwester im Lazarett regelrecht aus der Handlung; die Szene wirkt, als habe der Regisseur seiner Antagonistin unbedingt auch eine freundliche Facette angedeihen lassen wollen.
Anders als bei „Der gute Göring“ konzentriert sich Christiansen, der diesmal auch das Drehbuch geschrieben hat (nach einer Idee von Heike Brückner von Grumbkow und Jochen von Grumbkow), trotzdem auf die ungleich berühmtere Figur. Deshalb hat Wörner auch die bekannteren Ko-Stars: Vladimir Burlakow spielt den russischen Offizier Vadim, einen jungen Mann mit großen Spielschulden, der dem Charme der von den Deutschen großzügig alimentierten Mata Hari gern erliegt; Francis Fulton Smith, der für Christansen schon der „böse Göring“ war, verkörpert den Leiter der französischen Spionageabwehr, Michael Brandner den Untersuchungsrichter, der die Spionin trotz äußerst dünner Beweise zum Tod durch Erschießen verurteilt. Keiner ihrer früheren Verehrer ist bereit, für sie auszusagen.
Christiansen stand für die Umsetzung offenbar deutlich weniger Geld als für einen üblichen Fernsehfilm zur Verfügung. Die Handlung trägt sich größtenteils in Innenräumen zu, die mitunter sehr nach Studio aussehen; eine Szene, die angeblich in Sumatra spielt, sieht aus, als sei sie im tropischen Gewächshaus eines botanischen Gartens gedreht worden. Außenaufnahmen beschränken sich gern auf Gebäude, die stets schräg nach oben gefilmt sind, weil auf diese Weise das Straßenbild ausgeklammert werden konnte; Menschen-Ansammlungen finden, wenn überhaupt, nur auf der Tonspur statt. Ebenso überflüssig wie die erklärenden Kommentare der Hauptfigur („Im Krieg ist für die Wahrheit kein Platz, nur für den Tod“) ist die Rückblendenkonstruktion: Der Film beginnt mit Mata Haris letztem Gang. Und während kurze Einschlüsse mit schwarzweißen Originalaufnahmen aus dem Ersten Weltkrieg dem Film einen dokumentarischen Anstrich geben, ist die sprachliche Inkonsequenz angesichts des Anspruchs und der Sendezeit umso ärgerlicher: Sämtliche Mitwirkenden, egal, ob Holländerin, Belgier, Franzosen oder Russe, sprechen das gleiche makellose Deutsch.