Martha Liebermann – Ein gestohlenes Leben

Wied, Cooper, Hartwig, Rossi, Bühling. Im Dämmer politisch düsterer Zeiten

Foto: Degeto / Stanislav Honzík
Foto Thomas Gehringer

Der von Regina Ziegler produzierte Fernsehfilm „Martha Liebermann – Ein gestohlenes Leben“ (Degeto / Ziegler Film, Mia Film) würdigt eine starke und stolze, von den Nazis in den Tod getriebene Frau. Die jüdische Witwe des 1935 verstorbenen Malers Max Liebermann entzog sich der Deportation nach Theresienstadt im März 1943 durch Suizid. Thekla Carola Wied spielt die Titelrolle mit großer Würde und Eleganz, allerdings erscheint die idealisierende Überhöhung auch etwas fragwürdig. Der Film ist weniger ein Biopic als ein düsteres historisches Drama über Ausgrenzung, Willkür und staatlich organisierte Ausplünderung. Marco Rossi und Stefan Bühling konzentrieren sich auf die letzten Monate im Leben Martha Liebermanns, als ihre Flucht aus Deutschland – vergeblich – vorbereitet wird. So kommt auch der weniger bekannte Widerstand des Kreises um Hanna Solf zur Geltung. Starkes Ensemble (Cooper, Hartwig, Haberlandt), eindrucksvolle Bildgestaltung.

Als die Welt noch in Ordnung war, spazieren Max Liebermann (Rüdiger Vogler) und seine Frau Martha (Thekla Carola Wied) durch den prächtigen Garten ihrer Villa am Wannsee. Der berühmte impressionistische Maler ist gerade 80 Jahre alt geworden und etwas angestrengt von den vielen Ehrungen. Nun will er sich bei seiner Frau bedanken. Er schenkt ihr einen wertvollen Ring, ein Erbstück seiner Großmutter, und nennt sie seine „ehrlichste Kritikerin“, „klügste Beraterin“ und den „gütigsten Mensch, den man sich zur Gattin nur wünschen kann“. Ein Stück Martha stecke in fast allen seinen Bildern, sagt Max. Der „wundervolle Liebesbeweis“ (Martha) wird mit getragener Musik unterlegt – ein arg gediegener Einstieg, der vorbehaltlose Idealisierung befürchten lässt. In der Öffentlichkeit ist Martha die Frau an seiner Seite. Auf dem Foto, das 1927 nach der Verleihung der Ehrenbürgerschaft Berlins für Max Liebermann geschossen wird, sitzt Martha als einzige Frau in einem Meer aus Zylindern. Den tragen die durchgehend männlichen Honoratioren, die sich um die Liebermanns scharen – ein symbolträchtiges Bild zur Zeit, das die allerdings deutlich verbesserte Stellung der Frauen in der Weimarer Repulbik nicht spiegelt. Vielleicht weil sie in den Spitzenpositionen von Politik und Gesellschaft eben noch nicht angekommen waren.

Martha Liebermann – Ein gestohlenes LebenFoto: Degeto / Stanislav Honzík
Ihr Mann, der berühmte impressionistische Maler Max Liebermann (Rüdiger Vogler), schwärmt im Film von seiner Martha (Thekla Carola Wied): „der gütigste Mensch, den man sich zur Gattin nur wünschen kann.“ Mit der Idealisierung von Martha Liebermann im Film geht es zwar weiter, dennoch ist das Drama ein wertvoller Film.

Ob die Idylle einer großbürgerlichen Ehe, die da zu Beginn gezeichnet wird, wirklich zutrifft, sei mal dahin gestellt. Jedenfalls skizzieren Drehbuch-Autor Marco Rossi („Grzimek“) und Regisseur Stefan Bühling („Legal Affairs“, „Im Abgrund“) mit wenigen Szenen die gesellschaftliche Stellung der Liebermanns in der Weimarer Republik. Bühling, der mit „Martha Liebermann – Ein gestohlenes Leben“ sein erstes historisches Drama inszeniert, hält sich nicht mit weiteren Details zu den Biografien oder zur Zeitgeschichte auf. Die Finsternis ist nur einen dramaturgischen Katzensprung und ein paar Filmschnitte entfernt. Martha Liebermann, die eben noch die Berliner Gesellschaft beim 80. Geburtstag ihres Mannes empfing, schreitet über den Flur der Villa und wie durch einen Zeittunnel direkt ins Jahr 1943. Der Kunstgriff ist nachvollziehbar in einem Film, der sich ganz auf die letzten Lebensmonate der Liebermann-Witwe konzentrieren will. Ihr 1935 verstorbener Mann Max ist nur noch in den Gemälden präsent, die an den Wänden hängen.

Hauptdarstellerin Thekla Carola Wied gab nach eigenen Aussagen selbst den Anstoß zu dem Film. Nach der Lektüre des Romans „Dem Paradies so fern“, mit dem Sophia Mott 2019 an Martha Liebermann erinnerte, konnte Wied die erfahrene Produzentin Regina Ziegler für den Stoff begeistern. Und in der keineswegs nur glanzvollen Titelrolle liefert die populäre, während der Dreharbeiten 77 Jahre alte Schauspielerin eine eindrucksvolle Partie ab. „Ihre“ Martha Liebermann ist eine starke Frau, die sich ihren Stolz bewahrt, die bisweilen auch eigensinnig und schroff wirkt, aber auch auf Standesgrenzen pfeift und über Empathie und Menschlichkeit verfügt. Dies zeigt sich insbesondere im Verhältnis zu ihrer Haushälterin Luise (Lana Cooper), eine erfundene Figur, die der historisch tatsächlich existierenden Martha Liebermann an die Seite gestellt wird. Wie Liebermann ihre Haushälterin vor dem Zugriff der Nazis zu schützen versucht, wird zu einem spannenden – und emotionalen – Höhepunkt des Films. Dass es sich dabei um pure Fiktion handelt, wird im Abspann erläutert, dennoch bleibt ein zwiespältiges Gefühl, denn die reale Figur wird zweifellos idealisierend überhöht. Wird das dieser Frau wirklich gerecht? Und bedarf das Schicksal einer von den Nazis in den Tod getriebenen Jüdin weiterer Ausschmückung und tragischer Zuspitzung? Auch bei der musikalisch-melodramatischen Begleitung wäre etwas mehr Zurückhaltung wünschenswert gewesen.

Martha Liebermann – Ein gestohlenes LebenFoto: Degeto / Stanislav Honzík
Interessanter Nebenplot. Die Widerstandsgruppe um Hanna Solf (Fritzi Haberlandt)

Es sind vor allem die Darsteller:innen, die das historische Drama dennoch sehenswert erscheinen lassen. Neben der Grand Dame Thekla Carola Wied überzeugt vor allem Franz Hartwig als Gestapo-Offizier Rudolf Teubner, der seinen Opfern mit einer höflich getarnten Eiseskälte nachstellt. Wer Hartwig in der ersten Staffel von „Der Pass“ oder auch in Ferdinand von Schirachs „Feinde“ gesehen hat, wird sich über die Besetzung des Antagonisten nicht wundern. Überraschender ist schon, dass Lana Cooper hier als berlinernde Haushälterin zu sehen ist. Wenn Cooper als Luise im Dienstmädchen-Outfit zu Beginn verkündet, von Kunst verstehe sie „jenau so viel wie een Frosch von Jeometrie“, ist das gewöhnungsbedürftig. Aber es wird besser, gerade weil sie das Klischee der Berliner Schnoddrigkeit vermeidet. Luises Figur ist ohnehin spannend, denn die unbedingte Treue zu ihrer „Herrschaft“, die man sonst gerne als Ausdruck mangelnden Aufbegehrens gegen überkommene Standesgrenzen abtun würde, hat hier natürlich noch eine andere Dimension. Denn Luise hält dem Druck des Terrorregimes stand, indem sie in Diensten der Jüdin Martha Liebermann bleibt.

In Deutschland ist es 1943 buchstäblich finster geworden, nicht nur wegen der angeordneten Verdunklung während des Krieges. Martha Liebermann wohnt längst nicht mehr in der Wannsee-Villa, sondern musste in eine Wohnung umziehen, in der sie aufgrund der Schikanen des Nazi-Regimes wie eingesperrt lebt. Auf die Straße zu gehen, vermeidet sie, weil sie sonst den gelben Stern tragen müsste und somit Freiwild wäre. Für diese erzwungene Isolation hat Kameramann Jan Prahl eindrucksvolle, in ein trübes Dämmerlicht gehaltene Bilder gefunden. Die Gemälde wie das Porträt Martha Liebermanns des schwedischen Malers Anders Zorn, das in der Villa gut ausgeleuchtet einen Ehrenplatz innehatte, sind im grauen, verschwommenen Hintergrund nur noch schwach zu erkennen. Martha Liebermann lebt wie abgeschnitten von der Außenwelt, aber jederzeit dem Terror hilflos ausgeliefert, wenn mal wieder die Gestapo an die Tür klopft. Die Inszenierung bleibt vergleichsweise reduziert, vor allem auf Martha Liebermanns Wohnung, zwei Straßenzüge, Teubners Gestapo-Büro, dazu später die Wohnungen von Luise und des Kunsthändlers Carl Solbach (Wanja Mues). Die Bombardements auf Berlin, die Anfang 1943 zunahmen, bleiben außen vor. Auch mit Nazi-Symbolen geht Regisseur Bühling dankenswerter Weise sparsam um.

Martha Liebermann – Ein gestohlenes LebenFoto: Degeto / Stanislav Honzík
Eindrucksvoll in einer ungewöhnlichen Rolle: Lana Cooper als treue Haushälterin Luise, die bei der Jüdin Liebermann (Thekla Carola Wied) bleibt – und sie pflegt.

Gleichzeitig erinnert der in dieser Hinsicht verdienstvolle Film an den wenig bekannten Widerstandskreis um Hanna Solf (Fritzi Haberlandt), die Witwe eines ehemaligen deutschen Botschafters, die Verfolgten zur Flucht ins Ausland verhalf. Auch Martha Liebermann hat nach langem Zögern Anträge zur Ausreise gestellt. Sie wird nun von Hanna Solf, deren Tochter Gräfin Lagi von Ballestrem (Johanna Polley) und Baron Edgar von Uexküll (Arnd Klawitter) bedrängt, Gemälde zu verkaufen, um das von den Nazis geforderte „Lösegeld“ (Hanna Solf) von 50.000 Reichsmark aufzubringen. Damit der verbotene Verkauf der staatlich registrierten Bilder nicht auffällt, sollen Kopien von den Originalen angefertigt werden. Für Martha Liebermann wäre der Verlust ihrer Bilder besonders schmerzlich, denn: „Das ist mein Leben.“ Vor der Vernichtung stand bekanntlich die Entrechtung der jüdischen Bevölkerung – und ihre Ausplünderung. Diesen beispiellosen Raubzug zu thematisieren, macht den Film ebenfalls wertvoll. Für Gestapo-Offizier Teubner ist Martha Liebermann freilich nur das Werkzeug, um an die Namen des Solf-Kreises zu gelangen. So entspinnt sich ein durchaus spannendes Katz-und-Maus-Spiel. Dabei mag irritieren, dass Teubner zwar brutale Willkür nicht scheut, aber geradezu manisch und obsessiv nach „handfesten Beweisen“ sucht, als wäre er ein Kommissar im rechtsstaatlich organisierten „Tatort“-Deutschland. Das beruht aber auf einem realen Hintergrund, worauf Drehbuch-Autor Marco Rossi ausdrücklich hinweist: „Herbert Lange, der damals in diesem Fall ermittelnde Kriminalrat, war tatsächlich sehr bemüht, die Anklage gegen Hanna Solf, ihre Tochter Lagi und andere Mitglieder des Kreises durch möglichst solide Beweise zu stützen. Hanna Solfs Ehemann war nämlich lange Zeit Botschafter in Japan und wurde dort sehr geschätzt. Deshalb intervenierte die japanische Regierung zum Vorteil der beiden Solf-Frauen, die vermutlich nur deshalb überhaupt die Haft überlebten. Mit einem Wort: Da Japan einer der Verbündeten des Deutschen Reichs war, wurde der Gestapo von höherer Stelle auferlegt, ,handfeste Beweise‘ zu ermitteln.“

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Fernsehfilm

ARD Degeto

Mit Thekla Carola Wied, Lana Cooper, Franz Hartwig, Fritzi Haberlandt, Wanja Mues, Arnd Klawitter, Johanna Polley, Rüdiger Vogler, Daniel Noël Fleischmann

Kamera: Jan Prahl

Szenenbild: Jörg Baumgarten

Kostüm: Aenne Plaumann

Schnitt: Jens Müller

Musik: Leonard Petersen

Redaktion: Claudia Luzius, Carolin Haasis

Produktionsfirma: Ziegler Film, Mia Film

Produktion: Regina Ziegler

Drehbuch: Marco Rossi – frei nach Motiven des Romans „Dem Paradies so fern“ von Sophia Mott

Regie: Stefan Bühling

Quote: 2,70 Mio. Zuschauer (9,7% MA)

EA: 10.10.2022 20:15 Uhr | ARD

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