Marie räumt auf

Tanja Wedhorn, Gaby Dohm, Marco Girnth, Lorenz, Grobler. „Herzkino“ mal anders

Foto: ZDF / Hans Joachim Pfeiffer
Foto Tilmann P. Gangloff

Dem Titel zum Trotz ist der Sonntagsfilm „Marie räumt auf“ eine durchaus anspruchsvolle und sehr glaubwürdig gespielte Tragikomödie über die Emanzipation einer Frau, deren Legasthenie stets verhindert hat, dass sich ihre Träume erfüllten. Im Zentrum dieses ebenso unterhaltsamen wie nachdenklichen Films mit Tanja Wedhorn und Gaby Dohm steht die ungewöhnliche Freundschaft zwischen einer Putzkraft & einer verwirrten alten Dame.

Titel sind bei Fernsehfilmen immer Glücksache, weil sie entweder beliebig sind, das Thema verfehlen oder falsche Erwartungen wecken. „Marie räumt auf“ zum Beispiel klingt nach hochgekrempelten Ärmeln und hartem Durchgreifen: Hier schafft jemand Ordnung. Das ist in diesem Fall zwar nicht ganz falsch, wirkt angesichts der Seriosität der Handlung aber allzu flapsig, denn Dominique Lorenz, die Autorin von „Sturköpfe“, und der „Katie Fforde“-erfahrene Regisseur Sebastian Grobler erzählen ihre Geschichte mit viel Feingefühl.

Das beginnt schon mit der ungewöhnlichen Titelfigur: Marie leidet unter schwerer Legasthenie; ihr Lese- und Schreibvermögen ähnelt dem einer Siebenjährigen, weshalb all ihre Träume unerfüllt geblieben sind. Seit kurzem arbeitet sie als Putzkraft in der Villa des vermögenden Konstanzer Ehepaars Viviane (Caroline Vera) und Niklas von Schermann (Marco Girnth). Ebenfalls im Haus lebt Niklas’ verwirrte Mutter Greta (Gaby Dohm). Als die alte Dame ihre Pflegerin vergrault und das Paar kurzfristig keinen Ersatz findet, aber geschäftlich verreisen muss, überreden die beiden Marie, sich um Greta zu kümmern. Menschlich stellt diese Aufgabe für Marie keinerlei Herausforderung dar, zumal sie Greta trotz deren Jähzorn schon nach kurzer Zeit in ihr Herz geschlossen hat; aber die Medikationsliste kann sie nicht lesen. Greta kommt jedoch nicht nur auch ohne die Medizin klar, sie blüht dank Maries Zuwendung regelrecht auf. Allerdings sind nicht alle zurückkehrenden Erinnerungen angenehm; offenbar gibt es ein Geheimnis, das schon seit Jahrzehnten auf ihrer Seele lastet.

Marie räumt aufFoto: ZDF / Hans Joachim Pfeiffer
Die feine, bisweilen verwirrte alte Dame ist gar nicht wasserscheu. Gaby Dohm und Tanja Wedhorn

Zum Glück haben weder Lorenz noch Grobler einen Krimi aus der Handlung gemacht; dabei wäre das durchaus möglich gewesen. So aber konzentriert sich dieser ungewöhnlich tiefsinnige ZDF-Sonntagsfilm ganz auf die Beziehung zwischen den beiden Frauen. Gerade Wedhorn verkörpert Maries Empathie ausgesprochen glaubwürdig. Während Gaby Dohm viel Spielmaterial hat und dauernd aus sich herausgehen kann, weil Greta regelmäßig zwischen verschiedenen Bewusstseinszuständen wechselt und sich mal wie ein Kind, mal wie eine alte Kratzbürste aufführt, muss Tanja Wedhorn viel stärker nach innen agieren; Mitgefühl lässt sich nicht spielen. Gleiches gilt für die Persönlichkeit hinter der fröhlichen Fassade: „Marie räumt auf“ ist ein Sommerfilm, die Titelfigur trägt bunte, luftige Kleidung und zeigt viel Bein; aber die Legasthenie ist längst nicht das einzige Päckchen, das sie zu tragen hat.

Trotz der düsteren Anteile ist der Tonfall des Films in erster Linie heiter; nicht im Stil eines munteren Lustspiels, schließlich gibt es immer wieder nachdenkliche Zwischentöne, aber durchaus im Sinn einer anspruchsvollen Komödie. Gerade für die sich anbahnende Freundschaft haben Lorenz und Grobler viele schöne Szenen gefunden, etwa, als die zwei Frauen die Blumen auf einem Teppich gießen. Gretas Schabernack sorgt zwar für Heiterkeit, aber ihre Tourette-artigen Wutausbrüche sind gar nicht lustig; und dass sie davon überzeugt ist, ihr Leben sei eine Seifenoper, ist auch nur im ersten Moment witzig. Rund um die Freundinnen gruppiert die Autorin einige Nebenfiguren, die der Geschichte zu größerer Komplexität verhelfen, zumal einige der Rollen mit ungewöhnlichen Attributen versehen wurden. Maries Mann (Johann von Bülow) zum Beispiel ist Streifenpolizist, dessen Freizeit ganz auf sein Hobby als Bahnradfahrer ausgerichtet ist. Der attraktive Niklas wiederum hat zeitlebens unter der Distanziertheit seiner Mutter gelitten; ein Foto lässt schon früh den Grund dafür erahnen. Außerdem hat der Sohn mit einer falschen Entscheidung das Familien-Unternehmen ruiniert und Schulden in Millionenhöhe; das erklärt, warum er vorübergehend durch den Wind ist und eine kurzfristige Liebelei mit Marie beginnt. Während sonst Erotik im „Herzkino“ offenbar als verpönt gilt, ist Wedhorn hier ziemlich sexy; erst recht, nachdem sie im Nachthemd in den Pool gehüpft ist, um den vermeintlich ertrinkenden Niklas zu retten.

Dennoch sind die schönsten Szenen die unbeschwerten Augenblicke, wenn Greta dank Marie aus ihrem goldenen Käfig ausbrechen darf. Im Verlauf einer dieser kleinen Fluchten wird Maries Argwohn geweckt: Als die beiden Frauen zum Konstanzer Münster radeln, wo Greta einst im Kirchenchor gesungen hat, erfährt Marie vom Pfarrer (Peter Prager), dass so eine Demenz manchmal auch ihr Gutes haben kann; prompt bringt die Zeit des Erwachens den dunklen Fleck in der Familiengeschichte zum Vorschein. (Text-Stand: 17.1.2016)

Marie räumt aufFoto: ZDF / Hans Joachim Pfeiffer
Stimmiger Erzählton im „Herzkino“! Mit Wasser haben es die zwei Frauen offenbar. Es gibt allerdings auch bittere Momente in „Marie räumt auf“.

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Fernsehfilm

ZDF

Mit Tanja Wedhorn, Gaby Dohm, Marco Girnth, Johann von Bülow, Carolina Vera, Dagmar Sachse, Peter Prager, Tilman Günther

Kamera: Jana Marsik

Szenenbild: Myriande Heller

Kostüm: Monika Jacobs

Schnitt: Achim Seidel

Musik: Fabrizio Tentoni

Soundtrack: Lilian Harvey („Irgendwo auf der Welt”), Marlene Dietrich (“Du liegst mir im Herzen”), Tony Renis („Quando Quando Quando“)

Produktionsfirma: Opal Filmproduktion

Drehbuch: Dominique Lorenz

Regie: Sebastian Grobler

Quote: 5,38 Mio. Zuschauer (14,4% MA)

EA: 21.02.2016 20:15 Uhr | ZDF

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