Frei nach Franz Beckenbauer: „Ja, is’ denn heut’ scho’ wieder Sonntag?!“ Aber nein, „Mandat für Mai“ ist kein ZDF-„Herzkino“, auch wenn zumindest der Anmutung nach alles dafür spricht: die gefällige Musik, der Titelsong, die freundlichen Farben, der Schauplatz in der Provinz. Ultrakurze Einschübe bringen jedoch immer wieder in Erinnerung, warum Titelheldin Maria „Mai“ Gardner (Julia Hartmann), Anwältin aus Berlin, im sächsischen Teil des Vogtlands geblieben ist, nachdem sie eine juristische Auseinandersetzung gütlich beendet hat. Die Sprachnachrichten, die Lebensgefährte Bo (Kai Schumann) ihr schickt, sind äußerst liebevoll, doch die Rückblenden wirken zunehmend bedrohlich; ein Blick auf Mais Rücken offenbart Spuren von häuslicher Gewalt. Ein Problem ist die Trennung vor allem für ihren Sohn Khaleb (Jashan Gupta). Bo ist zwar offenkundig nicht der Erzeuger des Jungen, aber ein Vaterersatz. Dem Teenager hat die Gegend außer der imposanten Göltzschtalbrücke ohnehin nicht viel zu bieten; bis er Lutzie trifft.
Foto: ZDF / Anke Neugebauer
„Mandat für Mai“ ist eine Serie von Marc Terjung, dem Schöpfer der vielfach ausgezeichneten Sat-1-Serien „Edel & Starck“ (2002 bis 2005) und „Danni Lowinski“ (2010 bis 2014). Die sechs Folgen behandeln zwar ebenfalls juristische Fälle, aber im Grunde ist Mai vor allem als Mediatorin gefragt, weil sie dank ihrer Empathie ein gutes Gespür dafür hat, wie sie den Menschen zu einer außergerichtlichen Einigung verhelfen kann. Anders als in vergleichbaren Produktionen gibt es zudem kaum Episodenrollen. Personen, die zunächst wie Zaungäste wirken, rücken in späteren Folgen in den Mittelpunkt; und umgekehrt. Die Mitwirkenden bilden also tatsächlich ein Ensemble, zumal sich die Gemeinschaft regelmäßig im „Dorfkrug“ einfindet, wenn Mai wieder mal als Streitschlichterin gefragt ist. Julia Hartmann wiederum versieht ihre Rolle mit einer ganz eigenen Note. Die Anwältin verliebt sich zwar auf Anhieb in die zauberhafte Gegend, weiß aber selbst nicht so recht, was sie von ihrem Entschluss, hier zumindest vorübergehend Wurzeln zu schlagen, halten soll, zumal die Einheimischen der Berlinerin regelmäßig zu verstehen geben, sie sei ja „nicht mal von hier“. Anfangs agiert Hartmann entsprechend zurückhaltend. Das ändert sich, als die Menschen Mai zunehmend akzeptieren, nun spiegelt ihre Mimik auch ihre Gefühle wider. Dass sich das Kostümbild ändert, gehört zum Grundhandwerkszeug solcher filmischen Assimilierungsprozesse, trägt aber ebenfalls seinen Teil zur Glaubwürdigkeit der Annäherung bei.
Clou der Serie sind jedoch die Episodenfälle, selbst wenn die meisten auf den ersten Blick nicht weiter ungewöhnlich wirken. Terjung und Koautorin Hille Norden haben jede Geschichte mit einer unerwarteten Wendung versehen, auf die mitunter noch eine zweite folgt: Ein kleiner Junge ist betrübt, weil ihm seine Eltern (Peter Schneider, Anne Kanis) nie vorlesen. Die Erklärung ist simpel: Sie haben erhebliche Leseprobleme; aber das eigentliche Problem ist ein ganz anderes. Sehr berührend ist auch die Geschichte eines Mannes (Jörn Hentschel), den alle nur Gleisgeher nennen, weil das früher mal sein Beruf war: Lutzies Vater ist seit dem Tod seiner Frau schwer depressiv und klaut alles, was niet- und nagelfest ist; vorausgesetzt, es handelt sich um Verkehrsschilder. Das klingt lustig, hat aber bereits zu einem Todesfall geführt, wie Mai entdeckt, als sie sich heimlich in seinem Haus umschaut. In dieser Episode schließt sich der Kreis zu jenem Mandat, das die Anwältin überhaupt ins Dorf gebracht hat: Ein vom Windrad gefallener Eisbrocken hat einen kleinen Jungen erschlagen. Die Eltern (Bea Brocks, Timo Fakhravar) wollen das Unternehmen verklagen, aber Mai macht ihnen klar, dass sich ein Prozess nicht gegen den Betreiber, sondern gegen die Gemeinde richten würde, denn ihr obliegt die Verkehrssicherungspflicht; doch das entsprechende Warnschild ist geklaut worden.
Foto: ZDF / Rainer Lauter
Solche juristischen Feinheiten machen einen großen Reiz der Geschichten aus, zumal sie oft im Kleinen erzählen, was die Gesellschaft bewegt: Eine einsame Witwe (Susanne Bredehöft) wäre gern Mitglied des örtlichen Chors, aber die Männer wollen unter sich bleiben. Ein Kunstwerk erregt öffentlichen Anstoß, weil das eigens für die Serie entworfene Seepferdchen aus anderen Perspektiven verblüffende Ähnlichkeiten mit männlichen und weiblichen Genitalien hat. Eine Frau (Anna Herrmann) beklagt sich, dass sich ihr Mann (Sebastian Griegel) regelmäßig über sie hermacht, während sie schläft; vor einer Anzeige wegen Vergewaltigung in der Ehe schreckt sie jedoch zurück. Dass alle verwandt, verschwägert oder sonstwie miteinander verbandelt sind, macht die Sache für Mai nicht einfacher. Ihr Widerpart ist in den meisten Fällen ein einheimischer Ex-Jurist (Christian Kuchenbuch).
Sehr sympathisch ist das Bonusmaterial, mit dem Terjung und Norden einige Figuren versehen haben: Die Bürgermeisterin (Birge Schade) entwirft Dessous, der von Mai schwer angetane protestantische Pfarrer (Christoph Schechinger) muss mit den ironischen Kommentaren von Jesus (Raphael Zari) leben; Mai findet aber auch den Förster (Moritz Otto) ziemlich sexy. Für gute Stimmung sorgt ein lebenskluger Tscheche (Robert Besta), der zu Khalebs väterlichem Freund wird. Die schönste Nebenebene gilt jedoch der jugendlichen Romanze, zumal die junge Meta Luis eine echte Entdeckung ist: Dank ihr ist die verschmitzte Lutzie eine faszinierende Mischung aus Pippi Langstrumpf und freundlichem Waldgeist. Trotzdem bringen Buch und Regie (Sven Fehrensen, Eva Wolf) regelmäßig Misstöne in die vermeintliche „Herzkino“-Beschaulichkeit: Immer dann, wenn Mai sich sicher fühlt, erscheint wie ein schlechtes Lenor-Gewissen Bo neben ihr, was mitunter für regelrechte Thrillermomente sorgt. Natürlich taucht er in der letzten Folge, scheinbar geläutert, auch leibhaftig auf, was schließlich zu einer gänsehautguten solidarischen Vorschlussszene führt. Das letzte Wort hat allerdings Lutzie, die die Vorlage für eine Fortsetzung liefert.