Männertreu

Matthias Brandt, von Borsody, Thea Dorn, Huntgeburth. Mit dem Staat ins Bett gehen

Foto: HR / Bettina Müller
Foto Rainer Tittelbach

Auch wenn „Männertreu“ mit Matthias Brandt einen Helden ins Zentrum stellt, der deutlich Züge des im Juni 2014 verstorbenen Frank Schirrmacher trägt, so hat dieser Film weder etwas von einem Schlüssel-TV-Roman, noch setzt er auf Event-Appeal. Schriftstellerin Thea Dorn baut in ihrem dritten Drehbuch auf die kluge, vielschichtige Verschränkung einer Familiengeschichte mit einem Medienskandal. Ein Mann, der Bundespräsident werden soll, hat Probleme mit der Monogamie. „Männertreu“ von Hermine Huntgeburth erzählt vom Flirt mit der Macht & von der Sehn-Sucht, von möglichst vielen Menschen geliebt zu werden, und der Film erzählt von Politik und Medien, die regulierend in dieses Spiel eingreifen und ihm so eine soziale Dimension verleihen. Eine Rarität im Fernsehfilm dieses Jahrzehnts

Georg Sahl gehört als Herausgeber eines der letzten Qualitätsblätter, der „Frankfurter Nachrichten“, zu den Meinungsführern der Republik. Das weiß auch die Kanzlerin – und so lässt sie Sahl über die mit ihm befreundete Oberbürgermeisterin der Main-Metropole mitteilen, dass sie ihn gern als den nächsten Bundespräsidenten sähe. Der „Publizist aus Leidenschaft“ und der „letzte große bürgerliche Liberale“, wie er gern tituliert wird, fühlt sich geehrt. Die Anfrage kitzelt sein Ego – und so steht er bereit, um mehr Demokratie zu wagen. Als Ehefrau Franziska, eine taffe Anwältin, sich langsam mit dem Gedanken anfreunden kann, droht Sahls Faible für junge Frauen, ihm einen Strich durch die staatstragenden politischen Pläne zu machen. Insbesondere seine aktuelle Affäre, die Volontärin Nina, macht Probleme. Aufgebracht von einer (gefälschten) E-Mail, die ihr Sahls Sohn vom Account seines von ihm verachteten Vaters aufs Handy schickt, taucht sie bei ihrem geliebten Chef im Hotel auf, macht ihm eine Szene und läuft wenig später in ein Auto. Ausgerechnet nach einer Talkshow, in der Georg Sahl zur Lichtgestalt am düsteren Himmel der Polit-Schranzen aufsteigt. Tags darauf haben die Online-Medien den Zusammenhang zwischen Herausgeber und Volontärin bereits hergestellt. Ist Sahl als Kandidat für das höchste Amt im Staat jetzt noch tragbar?

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Das Bild des Journalisten – kein Grund zum Fremdschämen. Neben dem großen gesellschaftspolitischen Entwurf stimmen auch die medialen Details – dank Brandt, Michelsen, Huntgeburth & Thea Dorn, die auch als TV-Moderatorin arbeitet.

Deutsche Filme über Politik, über Affären im Amt oder die Macht der vierten Gewalt sind selten im deutschen Fernsehen. Gibt es sie doch einmal, suchen sie reale Ereignisse, um Event-Charakter generieren zu können. Sie bespielen die politische und mediale Klaviatur, die in den Filmen selbst zum Gegenstand kritischer Betrachtung wird. Auf diese Weise kamen Filme wie „Der Rücktritt“, „Die Spiegel-Affäre“ oder „Der Minister“ massenmedial zu Ehren und erreichten schließlich auch ein großes Publikum. Hermine Huntgeburths „Männertreu“ nach dem Drehbuch der Schriftstellerin Thea Dorn schlägt einen anderen Weg ein. Auch wenn die HR-Produktion einen Helden ins Zentrum stellt, der deutlich Züge des im Juni 2014 verstorbenen Frank Schirrmacher trägt, so beißt sich der Film nicht an der Chronologie realer Ereignisse fest, setzt weder auf außerfilmische Mutmaßungen im Sinne eines Schlüssel-TV-Romans noch auf eine populäre Genre-Aufmachung. Dorn setzt vielmehr auf eine komplexe Narration, auf die kluge Verschränkung einer Familiengeschichte mit einem Medienskandal. Engmaschig verwebt nicht nur die Geschichte Privatleben und Öffentlichkeit miteinander, auch dramaturgisch findet man hier nicht die gängige Funktionalisierung des Politischen im Namen des Privaten, nicht die Vermenschlichung und Relativierung von Moral, nicht die (Vor-)Verurteilung von Haltungen, nicht tausendfach gesehene persönliche Konflikte und Bewertungen. Das Verhandelte wird nicht nur aus einer Perspektive besehen & beurteilt. Jede Figur bietet eine etwas andere Sicht auf diese moralische Geschichte und ihren Helden.

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Georg Sahl ist konsequent (polygam) und bleibt sich treu. Er weigert sich, einen christlich-sozialen Ministerpräsidenten wegen eines unehelichen Kindes in seiner Zeitung zu maßregeln. Seine Prinzipien, die propagierte Trennung von privatem und politischem Leben, gelten nicht nur für ihn selbst. Matthias Brandt, Peri Baumeister

Georg Sahl ist eine ambivalente Figur. Im Rahmen seiner öffentlichen Skandalgeschichte, bei der die Verlogenheit der (Medien-)Gesellschaft hysterisch hochkocht, dürften ihm die Sympathien der meisten Zuschauer sicher sein. Sein Standpunkt ist klar. Was zählt sind Selbstverantwortung und Selbstbestimmung. Übersteigerte Gefühle gehören nicht zu seinem Naturell. Der Unfall seiner Geliebten war ein Unfall. Die Haltung gegenüber seiner Geliebten mag menschlich kalt erscheinen. Aber kann man diesen Vorfall mit der politischen Karriere verquicken? Hat ein Bundespräsident monogam zu sein? Matthias Brandt spielt den intellektuellen Charismatiker als grauen Anzugträger, der hinter seiner männlichen Uniform mehr zu verstecken weiß als nur einen klugen Kopf und der mehr zu bieten hat als ein alles kontrollierend vorausschauender Machtmensch. Keine Frau entgeht seinen süffisanten Blicken. So überzeugend letztlich seine Haltung gegenüber dem „System“ & der öffentlichen Doppelmoral (obgleich seine Rolle als Verführer & narzisstischer Manipulator zwischenzeitlich an seiner Glaubwürdigkeit kratzt), so klar sein ehrliches Schlussplädoyer, frei von wohlfeiler Polit-Rhetorik, so angreifbar ist Sahl in der privaten Geschichte, die Thea Dorn erzählt. Sein Sohn Thomas hat ein gestörtes Verhältnis zu seinem Vater. Zunächst ist es der Umgang seiner Eltern, der immer wieder seinen Unmut hervorruft. Er betrügt sie, sie steht treu zu ihm. Er will Bundespräsident werden, sie gibt ihre Bedenken auf und unterstützt ihn. Er ist nach dem Unfall der Geliebten völlig am Boden, sie verwischt die Spuren und richtet ihn wieder auf. Unheilvoll bringt Sohn Thomas die Familienaffäre durch die gefälschte Mail in Gang und löst eine Staatsaffäre aus, aber auch familiär zieht sie weitere verhängnisvolle Kreise. Am Ende bleiben sich alle treu. Sahl sich selbst – sprich: seiner freiheitsliebenden Überzeugung, aber auch seiner Haltung als Mann, der die Frauen liebt. Franziska Sahl bleibt sich treu als selbstbewusste Dulderin und der Sohn in seiner Verachtung gegenüber seinen Eltern.

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Kritik an der Medienkultur. „Es gefällt mir überhaupt nicht, in welche Richtung unsere Zeitung in der letzten Zeit steuert. Pinkelnde Prinzen und schlecht gelaunte Schauspielerinnen, ein uneheliches Ministerpräsidentenkind. Man muss doch mal runter von diesem Firlefanzkarussell. Was meinen Sie, weshalb unsere Zeitung als einzige in der alten Printlandschaft noch einigermaßen gut dasteht? Weil wir den Müll, der täglich 5 x über die Welt gekippt wird, mit Druckerschwärze veredeln?“ Philipp Hochmair und Matthias Brandt

Thea Dorn verortet die gesellschaftliche Moral respektive Doppelmoral an der Schnittstelle von privatem und öffentlichem Leben, dort, wo die Rollen bei Georg Sahl zu kollidieren scheinen, der Vater und Ehemann mit dem geistigen Vordenker und streitbaren Publizisten. Das Matthias Brandt diese Rolle spielt, ist ähnlich pikant wie einst seine Besetzung als Günter Guillaume im TV-Drama über den Sturz seines Vaters. Auch Willy Brandt soll ein Mann gewesen sein, der sein labiles Ego mit Hilfe weiblicher Unterstützung aufbauen musste. Auch er ein Charismatiker, ein von Vielen Verehrter, der sich im öffentlichen Raum sicherer als im privaten zu bewegen und die eigene Familie oft genug vor den Kopf zu stoßen wusste. Matthias Brandt konnte bei der Rolle also gewiss auch auf den eigenen Erfahrungsschatz zurückgreifen. Was die große Beredtheit seiner Figur angeht, hat Adorno-Fan Dorn ganze Arbeit geleistet: scharfer Verstand, spitzzüngige Dialoge, charmantes Geplänkel – Georg Sahl ist Kommunikationsprofi durch und durch. Nur gegen den Druck der Meute findet der 78er, der die 68er-Ideale von der Straße holte und sie in einem patriarchalischen Selbstverständnis kultiviert, kein Mittel. Er will es auch nicht, denn die Mittel, die er anwenden müsste, sind ihm verhasst. Er verachtet die Sprachregelungen des Krisenmanagements. Und doch, wäre er nicht in diesen Skandal geraten – er hätte sich die Situation schön geredet („ich könnte Akzente setzen“) und wäre mit dem Staat ins Bett gegangen. „Männertreu“ erzählt davon, wie das ist mit dem Flirt mit der Macht, mit der Sehn-Sucht, von möglichst vielen Menschen geliebt zu werden, und der Film erzählt von Politik und Medien, die regulierend in dieses Spiel eingreifen und ihm eine soziale Dimension verleihen. Das ist das besondere Verdienst dieses bestens besetzten und ganz stark getakteten Films von Grimme-Preisträgerin Hermine Huntgeburth. Eine Rarität im Fernsehfilm dieses Jahrzehnts. (Text-Stand: 1.7.2014)

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Fernsehfilm

HR

Mit Matthias Brandt, Suzanne von Borsody, Maxim Mehmet, Lisa Hagmeister, Peri Baumeister, Claudia Michelsen, Margarita Broich, Ronald Kukulies, Philipp Hochmair

Kamera: Sebastian Edschmid

Szenenbild: Susann Bieling

Kostüm: Sabine Böbbis

Schnitt: Silke Franken

Soundtrack: David Bowie („Modern Love“), Velvet Underground („Sunday Morning“)

Produktionsfirma: Hessischer Rundfunk

Drehbuch: Thea Dorn

Regie: Hermine Huntgeburth

Quote: 4,97 Mio. Zuschauer (17,7% MA); Wh.: 2,83 Mio. (10,4% MA)

EA: 30.07.2014 20:15 Uhr | ARD

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