Deutschland, 1959. Lulu und Jimi begegnen sich auf der Kirmes. Die Tochter aus gutem, aber bankrottem Hause ist dem dekadenten Spross einer wohlhabenden Unternehmerfamilie versprochen. Jimi dagegen ist nur ein Gelegenheitsarbeiter, der auf dem Rummelplatz jobbt und – Jimi ist schwarz. Offener Rassismus entlädt sich über der großen Liebe der beiden. Und der Psychiater, der bereits Lulus lebenslustigen Vater auf dem Gewissen hat, wartet schon auf die Widerspenstige und deren Zähmung. Doch Lulu und Jimi können fliehen. Daraufhin setzt die monströs gefühlskalte Mutter einen sadistischen Killer auf den „Neger“ an.
Foto: WDR / Joseph Wolfsberg
„Lulu und Jimi“ ist unglaublich. Dass man so etwas in Deutschland noch mal erleben darf: eine Kino-Romanze als Rock-&-Roll-Märchen, Gesellschaftskritik als Melodram. Die 50er Jahre in einen Farbtopf gefallen, Wirtschaftswunder-Parodie mit Gespenstern aus der deutschen Geschichte. Da lecken Stalingradkämpfer ihre Wunden, da wird Sadismus zur deutschen Sekundärtugend. Vergangenheitsbewältigung einmal ohne braven Realismus. Was braucht Oskar Roehler Psychologie, wenn er Schauspieler hat wie Hans-Michael Rehberg, Udo Kier oder allen voran Katrin Saß als grell überzeichnetes Mutter-Monster. Ein schmissiger Original-Soundtrack, ein Blick für die richtigen Vorbilder (Douglas Sirk, Todd Haynes’ „Dem Himmel so fern“, Rainer Werner Fassbinder, David Lynch, Quentin Tarantino) und viel Gespür für kinomythologische Stimmungen. Das alles gibt (mehr als) den Hintergrund ab für die „Wild at Heart“-like Liebesgeschichte, die sich zum knallbunten Road-Movie mit zwei unbekannten, aber sehr ansehnlichen Hauptdarstellern rockt. Das ist mehr als Zitat-Kino. Das überrascht, das betört, das langweilt nie. Lange nicht mehr so gebannt und fasziniert vor dem Fernseher gesessen. Der Spiegel schrieb: „Roehler schenkt seinen Liebenden alles, was der Himmel erlaubt.“ Roehler beschenkt auch den Zuschauer. (Text-Stand: 11.8.2011)