Parade-Vita eines opportunistischen Künstlers
Luis Trenker sah sich Zeit seines langen Lebens als Geschichtenerzähler, dem die Wirkung stets wichtiger war als die Wahrheit. Er wollte Filme drehen, er wollte erfolgreich sein, er wollte gefallen. Wie konnte einer die Dreistigkeit besitzen, 1948 ein selbst eilig gefälschtes Tagebuch von Eva Braun an die Öffentlichkeit zu bringen und es jüdischen Hollywood-Filmbossen zur Verfilmung anzubieten?! Für den möglichen Applaus tat er alles. Applaus von der falschen Seite kannte er nicht. Das Leben dieses Südtiroler Tausendsassas zu verfilmen, der als Bergsteiger, Schauspieler, Regisseur, Schriftsteller und Fernsehstar jahrzehntelang eine Berühmtheit war, ist politisch längst überfällig, aber auch ästhetisch-konzeptionell eine gute Idee: Weil Luis Trenkers Parade-Vita eines opportunistischen Künstlers mit dem Wirken einer anderen schillernden Kunst-Ikone der Nazizeit, Leni Riefenstahl, eng verbunden ist. Und weil der Film einige sehr interessante filmgeschichtliche und (kultur)politische Fußnoten „dieser furchtbar dunklen Zeit“ (Trenker), elegant über die sogenannte „Stunde Null“ hinaus verlängert und mit der notorisch beschönigenden Art des begnadeten Geschichtenerzählers den Weg vorwegnimmt, den die Bundesrepublik in den 1950er Jahren gehen wird: den Weg der Verdrängung und den Weg, sich das Schreckliche noch schrecklicher schönzureden.
Foto: BR / Christian Hartmann
„Ja, so ein Krieg, meine lieben Freunde, ist nicht mit dem Waffenstillstand vorbei. Der hängt ja jahrelang noch wie eine dunkle Wolke über allem. Aber da muss man sich irgendwann einmal sagen: so, jetzt ist’s wieder gut, jetzt vergisst man die ganzen furchtbaren Geschichten, diese furchtbare dunkle Zeit, und schaut wieder nach vor.“ (Ich-Erzähler Luis Trenker im Film)
Der famose Fabulierer blitzt bei Goebbels ab
„Luis Trenker – Der schmale Grat der Wahrheit“ ist anders erzählt als viele andere Biopics. Autor Peter Probst („Grimme-Preis für „Die Hebamme“) erliegt nicht dem beliebten Trugschluss, biographische Ereignisse eines interessanten Menschen chronologisch aneinandergereiht, ergäben mit etwas dramaturgischem Geschick schon eine spannende Geschichte. Indem er Trenker zum Erzähler seiner eigenen Lebenserinnerungen macht, entwickelt sich die Geschichte des Films aus der Wesensart der Hauptfigur heraus: Der famose Fabulierer, der sich gern hineinsteigert in seine Erzählungen, es mit der Wahrheit nicht immer so genau nimmt und der sich an den eigenen Aufschneidereien berauscht, schlägt den verharmlosenden Grundton an. Dass es aber in Wirklichkeit nicht immer so heiter und flapsig zugeht wie in Trenkers Rhetorik („in Berlin ist es ein bisschen zu gefährlich geworden mit der ganzen Bomberei“), zeigen dann die Situationen, in die dieser Mann, der jahrelang Nazi-Deutschland und das faschistische Italien geschickt gegeneinander ausspielte, trotz seiner Bauernschläue und großen Anpassungsfähigkeit hineingerät: Nach dem Eklat um die deutsch-italienische Koproduktion „Condottieri“, in der Trenker Hitlers Leibstandarte als Komparsen vor dem Papst auf die Knie fallen lässt, ist das Band zwischen ihm und Goebbels, der „Der Rebell“ noch als Meisterwerk lobte, für immer zerschnitten. Zwar ködert der Propagandaminister den Filmemacher mit der Aussicht auf weitere deutsche Produktionen und drängt ihn in die politische Verantwortung, Filme mit deutschen Geldern wird er aber in den 40er Jahren nicht mehr machen. Alles also umsonst: das Optieren des Südtirolers Trenker für Deutschland, der Umzug ins Reich und im Jahre 1940 der Eintritt in die NSDAP.
Foto: BR / Christian Hartmann
„Luis Trenker hat seinem Publikum stets das geliefert, was es hören wollte. Darin war er ein Meister. Eine gute Geschichte war für ihn allemal mehr wert als eine langweilige Wahrheit. Für einen Drehbuchautor ist Trenker damit Inspiration und Wahrheit zugleich.“
„Ich glaube, dass beide ihre Lügen so oft wiederholt haben, dass sie selbst dran geglaubt haben.“ (Drehbuchautor Peter Probst)
Die gute Geschichte zählt mehr als die Wahrheit?
Diesen Mann mit dem „kleinen“ Wahrheitsproblem, der das Glück hatte nach dem Krieg als Italiener nicht „entnazifiziert“ werden zu müssen, ein Stück weit an seiner Legende mitstricken zu lassen, ist ein kluger dramaturgischer Schachzug. So wird immer gleich auch der Trenkersche Hang zum Mythos mit thematisiert und damit auch per se das Wesen jeder Geschichte – auch einer historischen Betrachtung. Sensibilisiert wird nicht nur für den pfundigen Lügner, den Schönredner seiner eigenen Biographie, der sich gern zum Opfer der Nazis stilisiert hat, sondern auch für den subjektiven Faktor des Geschichtenerzählens. Problematisch wird es ja vor allem, wenn Filme nach wahren Begebenheiten behaupten wollen: so und nicht anders war’s. „Der schmale Grat der Wahrheit“ vermittelt einem, auch gegenüber diesem Verständnis von Geschichte auf der Hut zu sein. Und er verpackt diese kritischen Vorbehalte selbst wieder in eine reizvolle Erzählung über Lügen, kleine Schwindeleien und über die Wertlosigkeit der Anekdote als moralischer Erzählform. Dass Tobias Moretti die Rolle angenommen hat, hat viel mit der (Erzähl-)Haltung des Films zu tun. „Mit der Gegenüberstellung von Dichtung und Wahrheit war die klare Zuordnung, die so ein Projekt braucht, gegeben“, sagt der Tiroler, der an der Grenze zu Südtirol geboren wurde. Außerdem sah er in dem Österreicher Wolfgang Murnberger (Brenner-Trilogie) mit „seiner ironischen Distanz zur Situation und auch zu den Figuren“ den geeigneten Regisseur für dieses gewagte Biopic. Moretti: „So hatte ich manchmal den Eindruck, als würde ich meiner Figur im Spiegel zuschauen, aber nie denunzierend, sondern mit warmem Befremden.“
Foto: BR / Christian Hartmann
„Das Filmemachen als ständiges Austarieren zwischen Kunst, Geld und Machtinteressen ist nicht nur ein Thema von damals, sondern eine Tatsache, der auch wir uns als Künstler und Filmemacher heute stellen müssen.“ (Produzentin Annie Brunner über einen Branchen-internen Aspekt des Films)
Traumpaar ohne Technicolor: Moretti & Hobmeier
Dieser ARD-Fernsehfilm, als Koproduktion zwischen BR und ORF entstanden, ist nicht nur klug entwickelt, sondern auch höchst unterhaltsam und auch optisch sehr gut anzuschauen. Das muss auch so sein bei einem Film über Luis Trenker. Auf seine Unterhaltungstechniken, diese versöhnliche Rhetorik und seine enorme Vitalität, als physische Reize zurückzugreifen, ohne ihnen zu erliegen, das ist eine Kunst. So etwas gelingt nur, wenn die Schauspieler mitziehen. Und Tobias Moretti und Brigitte Hobmeier sind einfach grandios als der Luis und die Leni – warum die beiden also nicht Traumpaar nennen?! Beide entwickeln das richtige Gespür für dieses Doppelspiel: ganz Verführer und Schwindler – und ein kleines bisschen dann aber doch neben der Rolle. Und die Sprachfärbung, die Leidenschaft in der Stimme, aber auch die Verharmlosungsrhetorik oder der unruhige Geist, das alles gelingt Moretti perfekt. Eindrucksvoll sind auch die typischen Ikonografien der verschiedenen Jahrzehnte in den Film eingegangen: die Stummfilmjahre erscheinen noch in einem leicht Sepia-farbenen Grundton, die 30er Jahre und frühen 40er Jahre werden ein wenig farbenfreudiger, doch erst in den Tiroler Bergen und in Venedig von 1948 erstrahlt sie, die Röte des Rots von Technicolor. Die Kunst des Filmemachens schwingt also ständig auch mit in diesem besonderen Fernsehfilm; diese Kunst der Illusion ist präsent wie die Lüge des Helden.