Bei Lotta Brinkhammer hat es klick gemacht. Während ihres Pflegepraktikums in „Lotta & die alten Eisen“ hatte das sprunghafte „Girlie“, das auf die Schauspielschule gehen wollte, endlich einen Sinn in ihrem Leben gefunden. Das „Haus Abendrot“ mit seinen ebenso eigenwilligen wie liebenswerten Alten ist ihr zur zweiten Heimat geworden, sodass sie nun, nach ihrer bestandenen Prüfung als Altenpflegerin, ins ländliche Schwielow an den Ort ihrer Selbsterkenntnis zurückkehrt. „Lotta & die großen Erwartungen“ heißt nun die zweite Episode aus dem Leben des rotmähnigen, streitbaren Wirbelwinds. Mit ihrem Vater zofft sie sich noch immer und auch die neue Chefin kann sie mal kreuzweise. Die soll nur gekommen sein, um den Altenstift abzuwickeln. Um die Zukunft der Senioren kann sich Lotta in den ersten Tagen nur in zweiter Linie kümmern, zunächst muss sie sich im Klaren sein, was sie selbst für die nächste Zeit vom Leben will: Lotta ist schwanger. Sie will aber noch kein Kind.
Foto: ZDF / Britta Krehl
Autor Sebastian Orlac über die Nähe zwischen Lotta und Pippi Langstrumpf:
„Zwischen Pippi und Lotta gibt es einige Ähnlichkeiten: Beide sind nicht bereit, Autoritäten anzuerkennen. Beide sind stark , setzen sich für Schwache ein und sind manchmal sehr einsam. In solchen Momenten ist mir Lotta am sympathischsten – wenn sie aller Energie zum Trotz auch mal Schwäche zeigen kann.“
Lotta ist ein Sympathieträger allererster Güte. Sie ist jung, frech, sie hat eine große Klappe, ihr fällt immer etwas ein und sie kuscht nicht vor Autoritäten, sondern gehorcht ihrem (!) gesunden Menschenverstand, dem jeglicher Spießer-Beigeschmack fehlt und der bei ihr viel von geistiger Flexibilität und kreativem Ungehorsam besitzt. Dass die Schriftstellerin Annegret Held, nach deren Roman „Die letzten Dinge“ die beiden Filme sehr frei entstanden sind, ihre Titelheldin Lotta nannte, ist kein Zufall: Lotta, da denkt jeder an Astrid Lindgrens berühmte Mädchenfigur aus der Krachmacherstraße. Auch wo Lotta Brinkhammer auftritt, macht sie gern eine Riesenwelle – doch mittlerweile nicht mehr zum Selbstzweck, sondern aus gutem Grund. Mehr noch als im ersten Film – obwohl die Schwangerschaft ihr allen Grund dafür gäbe – dreht sich die Titelheldin nicht mehr nur um sich selbst. Neben dem Respekt fürs Alter, das richtige Gefühl für die Würde, die einem gelebten Leben entgegenzubringen ist, muss sie sich nun auf die eigene Lebensplanung einlassen – und auch das macht sie gründlicher und verantwortungsvoller, als es auf den ersten Blick erscheint. Diese Lotta nimmt jede Herausforderung an, sie ist ein Hoffnungsträger für jung und alt.
Foto: ZDF / Britta Krehl
Soundtrack: Adele („Right as rain“ & „I’ll be waiting“), White Stripes („Seven Nation Army“), Nat King Cole („Quizas, quizas, quizas“), Khan feat. Julee Cruise („Say Goodbye“), Feist („How come you never go there“), Phoenix („Fences“), Ayo („I’m gonna dance“), Madeleine Peyroux („Smile“), Dr. John („Right Place, wrong time“), Snap! („The Power“), INXS („Need you tonight“), Ben E. King („Stand by me“), Crew-Cuts („Sh-Boom“), Gus Black („Today is not the day“)
„Lotta & die großen Erwartungen“ fehlt die zwar von Barbara Auer stark gespielte Ersatzmutter, an der sich die Heldin im ersten Film abarbeiten musste, dafür aber ist das Beziehungsgeflecht, das die vielfältigen Herausforderungen des Lebens mit Anfang 20 versinnbildlicht, vielschichtiger. Lotta ist gereift – und das macht sich auch schauspielerisch gut. Josefine Preuß, die in „Lotta & die alten Eisen“ noch weitgehend auf die darstellerischen Manierismen ihrer Lena aus „Türkisch für Anfänger“ zurückgreifen musste, hat mit der gereiften Lotta den Sprung ins Erwachsenenfach geschafft. Sie ist die ideale Darstellerin für diese Lebensphase, weil ihr jugendliches Aussehen deutlich macht, wie schnell es gehen kann, dass das Kind selbst zur Mutter wird und wie gut man Verantwortung für sein Leben übernehmen kann – auch in jungen Jahren. Und auch das Spiel des Comedy-Lieblings hat sich verfeinert, ist nicht mehr so äußerlich. Tiefe Gefühle glaubt man Preuß plötzlich. Das liegt gleichsam am (Dreh-)Buch, dem es wunderbar gelingt, dem leichten Grundton einige Problemtupfer und tragische Momente beizumengen. Fazit: ein frisch gefilmter, angenehm getimter und popmusikalisch gut untermalter Unterhaltungsfilm über das Leben und das Sterben – aus der Perspektive einer jungen, engagierten Frau erzählt. (Text-Stand: 9.4.2012)