Schon die Titel der bisherigen „Lotta“-Filme verdeutlichen den Anspruch der Reihe. Klang der Auftakt, „Lotta & die alten Eisen“ (2010), noch eher verspielt, weil die Heldin ein Praktikum in einem Seniorenheim machte, so legten einige der weiteren Episodentitel bereits jenen Ernst des Lebens nahe, der nun im sechsten Film beginnt (etwa „Lotta & die großen Erwartungen“ oder „Lotta & die frohe Zukunft“). Die Reihe genießt schon deshalb eine Ausnahmestellung, weil sie ihre Protagonistin als TV-Pendant zum klassischen Entwicklungsroman über viele Jahre hinweg begleitet; im Dokumentarfilm würde man von einer Langzeitbeobachtung sprechen. Aber dieser Reiz ist natürlich eher abstrakter Natur. Im Fernsehalltag muss jeder Film für sich funktionieren, weshalb die Besetzung der Hauptrolle mit Josefine Preuß ein großer Glücksfall war. Obwohl sie mittlerweile seit 15 Jahren vor der Kamera steht, ist sie immer noch erst Anfang dreißig und wirkt trotz Dutzender Filmrollen nach wie vor frisch und unverbraucht. Andernfalls würde Lotta Brinkhammer womöglich auch weitaus weniger sympathisch wirken: Die junge Frau hat durchaus Ecken und Kanten und ist nicht immer nett zu ihren Mitmenschen. In den früheren Filmen hatte darunter öfter ihr Vater (Frank Röth) zu leiden, diesmal trifft es Tochter Lilo (Matilda Jork) und Mitbewohnerin Mona (Carol Schuler).
Wann der Ernst des Lebens beginnt, ist Ansichtssache, aber für Lotta ist es nun definitiv so weit: Sie zieht samt Lilo aus der Provinz nach Berlin, wo sie eine Stelle als praktische Ärztin in einer Gemeinschaftspraxis gefunden hat. Das Drehbuch von Sebastian Orlac, der die Reihe nach dem ersten Film von Stefan Rogall übernommen hat, orientiert sich an jenem Muster, nach dem auch die „Eifelpraxis“-Filme der ARD funktionieren. Es kombiniert einen medizinischen Hauptstrang mit den privaten Erlebnissen der Heldin: Auf der einen Seite hat sie es mit einem Patienten (Jürgen Tarrach) zu tun, den sie zunächst für einen arbeitsscheuen Hypochonder hält, weil er allerlei Beschwerden vorgibt, um ein Attest zu bekommen. Tatsächlich leidet der Mann unter Depressionen, seit seine Frau gestorben ist, aber das findet Lotta erst raus, als es schon fast zu spät ist. Auf der anderen Seite ergibt sich eine Romanze mit Junis (Kostja Ullmann), einem Koch mit marokkanischen Wurzeln, und weil er ebenfalls alleinerziehend ist, hat Orlac womöglich bereits die Basis für die nächste Folge gelegt: eine Patchwork-Komödie, in der Lotta Junis’ vielköpfige Familie näher kennenlernt, als ihr lieb ist.
Zunächst handelt „Lotta & der Ernst des Lebens“ von den typischen Herausforderungen der Kleinstfamilie: Lotta kommt allmorgendlich zu spät zur Arbeit, weil sie Lilo erst noch zur Schule bringen muss, und steht umgehend vor Problemen, wenn sich unvorhergesehene Zwischenfälle ereignen. Junis geht es nicht anders, zumal sein etwas vernachlässigter Sohn Moritz bereits unübersehbare Verhaltensauffälligkeiten zeigt: Er lässt in der Schule alles mitgehen, was nicht niet- und nagelfest ist, und steckt zu allem Überfluss auch noch Lilo mit dieser kindlichen Form der Kleptomanie an. Das Mädchen ist sowieso unglücklich in Berlin; prompt wird die anfangs idyllische Harmonie zwischen Mutter und Tochter kräftig erschüttert. Regie führt erstmals im Rahmen der Reihe Florian Gärtner, der dem vorwiegend heiteren Tonfall der bisherigen Filme zwar treu bleibt, die Mühen der Ebene aber nicht weglächelt; spätestens gegen Ende, wenn sich die beiden Kinder aus dem Staub machen und irgendwo im riesigen Moloch verschwinden, nimmt die Geschichte dramatische Züge an.
Soundtrack:
Adele („Right As Rain“), Feist (“Mushaboom”), Kool & The Gang (“Celebration”), Sugar Pie DeSanto (“Do The Whoopie”), Jennifer Lopez (“Let’s Get Loud”), Tina Dico (“Old Friends”), Daughter (“Youth”), José González (“Stay Alive”)
Gärtner liegen Komödien mit ernsten Untertönen, das hat er unter anderem bei „Trennung auf Italienisch“, „Die Mongolettes“ oder „Mann kann, Frau erst recht“ gezeigt. Lotta ist längst nicht mehr der unbefangene Wirbelwind aus den ersten Episoden, selbst wenn die poppige Musik und der mitunter flotte Schnitt nach wie vor eine gewisse Unbeschwertheit verbreiten. Trotzdem ist die Handlung diesmal verwechselbarer: Episode 6 ist eine typische Berlin-Komödie mit den üblichen Singles auf Partnersuche. Dafür steht Paradiesvogel Mona; die Sängerin liefert sich mit Lotta einige amüsante, aber auch vielgesehene Freundschaftsszenen. Dennoch ist Carol Schuler eine reizvolle Ergänzung zu Josefine Preuß. Die Schweizer Schauspielerin durfte ihre vortreffliche Gesangsstimme schon zuletzt in der ZDF-Komödie „Zweibettzimmer“ erheben, und Orlac kann sämtliche Erzählstränge zu einem guten Ende verknüpfen: Alle Beteiligten finden sich zu Monas Konzert auf Junis’ Restaurantschiff ein.
Stärker noch als in den bisherigen Filmen orientiert sich das Drehbuch an der Dramaturgie des Lebens: Ereignisse heißen so, weil sie sich unvorhergesehen ereignen. Oder, wie Mona es formuliert: „Das Leben macht, was es will.“ Das lässt den Film etwas episodisch wirken, was sich aber nicht negativ bemerkbar macht; der Alltag gibt die Erzählstruktur vor. Lottas Dasein dreht sich um drei Konstanten: um ihre Tochter, um Junis und schließlich um den deprimierten Herrn Pawlowski, dem sie nach Ansicht ihres Chefs zuviel Zeit widmet (auch das eine Parallele zu „Eifelpraxis“). Es gibt ein paar ungereimte Kleinigkeiten, etwa den wenig überzeugenden Berliner Dialekt des Rheinländers Jürgen Tarrach oder die unsympathische Quotenschwäbin beim Elternabend, aber die können den guten Gesamteindruck nicht trüben. Über allem steht zudem eine Botschaft, die Lottas Vater seiner Tochter ihr auf den weiteren Lebensweg mitgibt: „Auch die Mutigen brauchen mal Ermutigung.“ (Text-Stand: 4.5.2017)