„Vögeln, ficken, bumsen – das mach ich so lange, bis einer sagt: ‚Ich will nicht weg von dir.’“ So sieht Sarahs Traum vom Ritter auf dem weißen Pferd aus, der sie aus der Hochhaussiedlung und der Symbiose mit ihrer sexsüchtigen Mutter irgendwann herausholen wird. Und bis es soweit ist, sagt sie, „mache ich einfach die Augen zu und stelle mir vor, dass es immer der gleiche Typ ist“. Momentan sind Sommerferien, das bedeutet Abhängen und Party ohne Ende – Blödsinn machen, Drogen und möglichst viel Sex. Sich begehrt zu fühlen, ist das Größte für die erst 13-Jährige. Was soll man sonst auch machen?! Ihrer drei Jahre älteren besten Freundin Charly geht es noch viel beschissener. Sie ist schwanger und ihr verwahrlostes Zuhause ist der blanke Horror; sie träumt vom Hartzen – „Chillen und Geld kriegen“ und von einem „Papa, der sich um das Kleine kümmert – und um mich“. Familie ist auch für Sarah kein Hort der Geborgenheit, auch wenn alle ihrer Freunde die 29-jährige Mutter cool finden. Nur sieht diese ihre mütterliche Fürsorgepflicht allein darin, der Tochter ihren Dildo auszuleihen, um im Gegenzug mal ihren neuen Freund zu vernaschen. Beide „Familien“ sind so gut wie vaterlos. Das stärkt den Traum, dass irgendwann mal einer bleibt. Ob es vielleicht Lukas ist, der zurückhaltende Junge aus besserem Hause? Der denkt zwar nicht immer nur ans Bumsen, dafür aber verscheuert er mit seinem Freund selbstgedrehte Wackelpornos. Und den Avancen von Sarahs Mutter ist er auch nicht ganz abgeneigt.
Ist etwas dran am Schlagwort von der „Generation Porno“? Oder gilt es nur für die, die am Rande der Gesellschaft stehen, die nichts haben als ihren Körper, keine anderen Vorbilder als ihre Eltern und für die Familie ein geschlossener Kreis ist, in dem es weder eine wirkliche Kindheit noch ein erfülltes Erwachsenenleben gibt? Für den bemerkenswerten Abschlussfilm „Little Thirteen“ von Christian Klandt („Weltstadt“) nach dem offenbar genau recherchierten Drehbuch von Catrin Lüth ist die Frage nach der Allgemeingültigkeit dieses pornografischen Lebensstils eher zweitrangig. Diese kleine Kinokoproduktion ist in erster Linie ein psychologisch genauer, gut beobachteter Film, der immer dann am besten ist, wenn er seine jungen Protagonisten bei ihrem Alltag begleitet, sie beim sich treiben lassen zeigt. Auch die Sexszenen sind in einem eher spröden Homevideo-Look gedreht, was ihnen eine gewisse Beiläufigkeit und Monotonie verleiht. Solche Situationen machen deutlich, dass es Klandt & Co weder um Pädagogik noch ums Spekulieren aufs Milieu geht. Allerdings muss man einen solchen Realismus, dem auch die bruchstückhafte, alltagsnahe Dramaturgie folgt, aushalten. Für eine Sozialstudie ohne Anfang und ohne Ende können 90 Minuten eine lange Zeit sein.
„Der Regisseur wanzt sich an seine Figuren heran wie ein lüsterner Sozialarbeiter. Abgestoßen und fasziniert zugleich, sieht er vor allem das Spektakuläre in diesem Stoff und wundert sich nach seinen ethnologischen Recherche-Ausflügen in die Lebenswelt seiner Figuren, dass Menschen, die – angeblich – in der Realität so leben, das alles ganz normal finden.“ (Berliner Zeitung)
„Der Film kommt seinen Figuren ganz nah, ohne sie zu denunzieren. Das ist nicht nur wahrhaftig und authentisch, sondern vor allem unglaublich traurig.“ (Cinema)
„Little Thirteen“ wirft weitere Fragen auf. Muss es denn ausgerechnet das Prekariat als Milieu der Geschichte sein? Thematisch mag man den Plot in so manchem Reality-TV-Billigformat schon tausendfach abgehandelt gesehen haben, aber in narrativer Form wagen sich so radikal nur selten Filme in die Unterschicht-Randzone. Und man hat hier – anders als bei den Filmen von Larry Clark („Kids“ & „Ken Park“) – nicht den Eindruck, als ob dieser intime Einblick ins sexualisierte Tagebuch von Teenagern und Erwachsenen, die sich wie Teenager aufführen, sein Thema ausbeuten. Bleibt der visuelle Voyeurismusgedanke. Ein gewisser Voyeurismus ist dem Medium Film immanent. In diesem Sinne macht auch „Little Thirteen“ den Zuschauer zum Elends- und Sexvoyeur. Hauptdarstellerin Muriel Wimmer (die beim Dreh nicht 13 sondern knapp 18 war) ist zudem hübsch, wird auf Lolita geschminkt und darf gelegentlich verführerisch in die Kamera schauen, die in diesen Momenten einen männlichen Blick generiert. Bei aller „Objekthaftigkeit“ ist dieser Blick aber nie ein pornografischer, denn er ist nicht direkt an den Zuschauer gerichtet. Und auf der narrativen Ebene ist die Hauptfigur ohnehin ganz Subjekt – sprich: eine aktiv Handelnde. Sie spielt allenfalls das nach, was sie in Sexfilmen oder bei ihrer Mutter auf der Wohnzimmercouch gesehen hat. Sexy sein und aussehen ist nun mal Quell des Selbstwerts dieser Figur. Auch wird sie keineswegs als „Opfer“ dargestellt. Als Filmcharakter ist Sarah stark und sie hat (noch) eine positive Haltung dem Leben gegenüber. Sie scheint besser zu wissen, welchen Weg sie gehen muss, um ein Stück vom erträumten Glück zu erhaschen, als ihre der Jugend nachlaufende, unreife Mutter. Auch wenn es wenig Hoffnung auf dieses Glück zu geben scheint. (Text-Stand: 31.7.2014)