Karl Valentin war ein Wortzerklauberer, ein Sprachakrobat, der die Widersprüche des Alltags aufspießte. Seine lange, hagere Gestalt war ihm Resonanzboden für seine Komik. Jenseits des Rampenlichts war der 1882 bei München geborene Kabarettist ein Grantler, ein Kritikaster, ein Pessimist. Untrennbar mit seiner Person und seiner Kunst verbunden ist der Name Liesl Karlstadt. „Sie Fräulein, Sie als Soubrette, des is nix“, soll er 1911 zu ihr gesagt haben. „A Soubrette muss kess sein, die muss an Busen haben. Des is nix für Sie. Aber Sie sind sehr komisch.“
Mit dieser Szene beginnt der Fernsehfilm „Liesl Karlstadt und Karl Valentin“ von Jo Baier. Der Grimme-Preisträger hat den notorischen Querdenker anlässlich seines 100. Geburtstags 1982 bereits in einem Dokumentarfilm gewürdigt. Nun setzt er ihm und seiner kongenialen Partnerin in einem Spielfilm ein Denkmal. „Ich bin davon überzeugt, dass keiner der beiden ohne den anderen das erreicht hätte, was sie zusammen erreicht haben“, so der Regisseur.
Foto: BR / Walter Wehner
„Valentin konnte überhaupt nur überleben, indem er die Welt so lange um und um gedreht hat, bis nicht nur für ihn sichtbar war, dass sie keinen Sinn ergibt“, sagt Ruth Toma. Die renommierte Autorin erzählt den Film aus Karlstadts Perspektive – weil sie, die stets Verständnis fand für seine hypochondrischen Leiden und wechselhaften Stimmungen, die Emotionen der Zuschauer stärker auf sich zieht als der egozentrische Valentin. Ihr Schicksal ist tragisch: weil sie ihren Entdecker liebt, tut sie alles für ihn. Sie ist die gute Seele und sie muss stark sein. Toma: „Unter diesem Druck ist Karlstadt schließlich zusammengebrochen und konnte nur durch jahrelange Trennung von Valentin wieder zu sich finden.“
Die Original-Sketche von Valentin und Karlstadt sind unerreicht. „Ein Imitat verbietet sich“, so Baier. Es käme ja auch keiner auf die Idee, Szenen von Charlie Chaplin nachzuspielen! Und doch ist Toma und Baier ein außergewöhnlicher Film gelungen. Das liegt am klugen Drehbuch, das episodisch einen Bogen über die Jahrzehnte spannt. Außerdem deutet Toma Sketche wie „Der Firmling“ nur an. Kunstvoll fließen Leben und Spiel ineinander. Besonders eindringlich ist eine Szene, in der Liesl Karlstadt vor laufender Kamera einen Heulkrampf bekommt.
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„Ein Leben ist nicht unbedingt so schön dreiaktig strukturiert, wie man es im Film gerne hat“, meint Autorin Toma. Die tragische Ko-Abhängigkeit der beiden „Helden“ ist der Motor des Films und dieser psychologische Mechanismus ist in der Lage, die erzählten 37 Jahre zu mehr als einer Chronologie der Ereignisse werden zu lassen. Toma und Baier zeichnen das Leben und die Liebe des Künstlerpaars kammerspielartig und zugleich sehr atmosphärisch nach. Die Ausstattung ist äußerst liebevoll. Dialoge in der typischen valentinesken Diktion und Doppelbödigkeit ziehen sich auch durch das Privatleben der beiden. „Ich, wenn ich ein Türke wär’, ich würd’ Sie sofort nehmen“, so wirbt er um das Mädchen mit den großen Augen. Doch Valentin heiratet eine andere und lebt fortan den klassischen Männertraum: eine patente Ehefrau daheim und außerhalb der erdrückenden vier Wände die Muse und Zweitfrau.
Eine große Hürde war die Besetzung. Für den Asthmatiker von der traurigen Gestalt musste Baier lange suchen: Johannes Herrschmann schafft problemlos den Sprung vom 29- zum 65-Jährigen, er spült seinen Valentin nicht weich – und doch verleiht er dem menschlichen Vampir liebenswerte Züge. Für Liesl Karlstadt wählte Baier eine Doppelbesetzung. Besonders bezaubert Filmpreisgewinnerin Hannah Herzsprung als lebenslustiges Mädchen für alles. Nach einem Selbstmordversuch übernimmt Bettina Redlich Karlstadts Schlusspart. Ein Blick in ihr Gesicht – und man sieht, wie die Jahre mit dem lebensuntüchtigen Genie ihre Spuren hinterlassen haben.