Der Wind kündigt Unheil an, es rauscht gewaltig in den Bäumen zu Beginn von Maria Schraders Regie-Debüt „Liebesleben“. Ein Gespenst aus der Familiengeschichte begegnet der Studentin Jara, der das kleine Glück zwischen Akademiker-Karriere und beschaulicher Zweisamkeit nicht mehr genügt. Ein alter Bekannter ihres Vaters ist nach längerer Abwesenheit wieder nach Israel zurückgekehrt. Der Mutter bereitet dieser Mann Übelkeit, und der Vater versucht, krampfhaft den Familienfrieden aufrecht zu erhalten. Dieser verlebte Don Juan bringt auch bei Jara etwas in Gang. Der alte Mann zieht sie magisch an, sie verfolgt ihn, sie gibt sich ihm hin, sie unterwirft sich ihm. „Du bist hungrig und ich bin satt“, sagt jener emotional ausgebrannte Arie. Kommt sie ihm nahe, stößt er sie weg. Zieht sie sich gedemütigt und verletzt zurück, lockt er sie. Der Strudel, in den Jara diese amour fou stürzt, reißt alle Dämme ihres bisherigen Lebens nieder und zieht sie in eine Suche nach sich selbst.
Maria Schrader über die Dreharbeiten ihres Regie-Debüts:
„Es war ein kompliziertes, nicht leicht zu überschauendes Projekt, auch für eine Produktionsfirma. Es gab keinen Masterplan. Der Film ist die Summe von intuitiven Momenten. Ich finde das schön und auch irgendwie romantisch. Diese Momente blieben immer Kraftquellen für mich.“
Maria Schrader ist mit „Liebesleben“ nach Zeruya Shalevs Roman-Bestseller ein Film von internationaler Größe gelungen, was nicht allein am israelischen Cast und dem Drehort Israel liegt. Metaphorik, Bildsprache und Fotografie (Kamera: Benedict Neuenfels) bewegen sich auf höchstem Arthaus-Niveau und zeugen von einem feinen Gespür für Kinostimmungen. Und die Geschichte einer unausweichlichen amour fou – so universal und häufig erzählt sie auch sein mag – ist unterfüttert mit den politischen Besonderheiten dieses Landes, beiläufig eingefangen, aber zu dichter Atmosphäre beitragend: die Heldin meidet Busse, es heulen die Sirenen und Militärkontrollen sind an der Tagesordnung. Die Unruhe, von der das Land ergriffen ist, springt über auf die Studentin Jara (ausdrucksstark: Netta Garti), sie spiegelt sich in individueller Verwirrung und endet mit der Entdeckung eines Familiengeheimnisses.