„In deinem Kopf lebst du immer noch in diesem Haus, in diesen Möbeln, du bist hier nie wirklich ausgezogen“, wirft die über 20 Jahre jüngere zweite Ehefrau ihrem Liebsten vor. Jener Uli wollte nur das Haus verkaufen, in dem er, seine Ex-Frau Vera und ihre beiden Töchter zwei Jahrzehnte lang so etwas wie eine glückliche Familie waren. Sticheleien, Vorhaltungen und Streit hätte er ausschließlich von seiner ersten Frau erwartet, die wie immer gut organisiert am Tag vor dem Verkauf in dem seit zehn Jahren leer stehenden Haus einläuft. Dieser Taffheit kann Uli nur mit ausgestellter Lockerheit begegnen. Stunden später ist diese spielerische Leichtigkeit verflogen: „Diese Frau ist eine einzige Provokation!“ Weiteres Öl ins Feuer einer Beziehung, in der das letzte Wort noch nicht gesprochen ist, schüttet Darius, der neue Partner von Vera, der unerwartet an dem idyllischen Ort nahe der Nordsee auftaucht.
„Wir könnten ein bisschen rumknutschen“, sagt ziemlich gegen Ende des Films „Liebesjahre“ Darius, der Mann vom Theater zu Johanna, die er aus dem Schussfeld geholt hat, dem Schussfeld des letzten Gefechts von Vera und Uli, das einen anderen Verlauf nimmt als erwartet. Sie küssen und sie schlagen sich, wer was tut in diesem Beziehungsdrama mit (tragi)komischen Einlagen, das soll nicht verraten werden. Messer hängen an der Wand – und die werden gewetzt, mit dem Ergebnis scharfzüngiger Dialoge. Zwischen Möbelschleppen und permanentem Weintrinken redet der Mann von früher, während die Frau überbetont, in der Gegenwart zu leben. Sie habe lange nicht mehr an die gemeinsamen Jahren gedacht, und doch hat sie – wie sie später gesteht – jedes Jahr an diesem Ort, der das einstige Glück symbolisiert, etliche Wochen allein verbracht. Vera hat offenbar ihre Trauerarbeit hinter sich. Uli ist noch nicht so weit. „Er ist ein tumber Tor, der alles tut, um diese Liebe zu verdrängen, dabei herbe Verletzungen austeilend“, bringt es sein Darsteller Peter Simonischek auf den Punkt. Im Vorbeigehen wird in diesem Kammerspiel mit dem nur vierköpfigen Ensemble viel schmutzige Wäsche gewaschen. Über Jahre hat sich das Paar gegenseitig systematisch betrogen. Ihre Ehe war zuletzt „eine schön zurecht gemachte Leiche“. Erst im letzten Spülgang dieser Liebesjahre scheinen die Menschen wieder zu sich zu kommen. Ob Flecken zurückbleiben? Ob die Beziehungen „reiner“ fortbestehen werden? Der Zuschauer kann es nur erahnen – und er kann nachdenken, über die Situationen, die Figuren, das eigene Leben.
Iris Berben über die Psychologie des Ex-Paares
„Beide haben das Scheitern ihrer Beziehung und den Verlust ihrer Liebe nie ganz verwunden und tragen die Sehnsucht nach dem Glück, das sie einst hatten, noch in sich. Ihre Unfähigkeit, sich selbst und ihren neuen Lebenspartnern dies einzugestehen, äußert sich in gegenseitigen Vorwürfen und Anfeindungen.“
„Wir sind in der Welt, um am Ende alles zu verlieren… Die Arbeit der Zeit ist eine Zumutung“, heißt es in den einführenden Gedanken der von Iris Berben gespielten Vera. In diesen Worten klingt es nicht so recht nach einem Aufbruch, der auf diese erinnernde Rückkehr in die Jahre einer Ehe folgen mag. Ein Gefühl der Melancholie liegt über der Szenerie. „Unwiederbringlich“ – so könnte diese konzentrierte, fein beobachtete und wunderbar tonlagensicher gespielte Beziehungsstudie von Matti Geschonneck nach dem lebensklugen Buch von Magnus Vattrodt auch heißen. Und doch markieren die 90 Filmminuten mehr als das Ende einer Beziehung. Der Gedanke an die unaufhaltsame Vergänglichkeit des Lebens schwingt mit in dem ZDF-Film.
In „Silberhochzeit“ holte Geschonneck 2006 acht Schauspieler an einen Tisch, auch damals Berben in der tragenden Hauptrolle und auch damals Axel Milberg als Gast im Haus – eines entfremdeten Ehepaars. In „Liebesjahre“ erfährt die Einheit von Raum, Zeit und Handlung eine weitere Verknappung des Personals und eine Reduktion der gestreiften „Problemfelder“. Funktionierte die von Daniel Nocke geschriebene „Silberhochzeit“ als projektions- und stimmenreiches Vexierspiel einer komplexen Beziehungsstruktur, die von den Konventionen der Gesprächskultur immer wieder verdeckt werden, geht es in „Liebesjahre“ gleich deutlich verbissener in medias res. Anstelle des Rituals einer kleinen Feier unter Freunden wird dem alten Bauernhaus sinnlich und symbolhaft ein wichtiger Platz eingeräumt, um die emotionalen Begehrlichkeiten des Quartetts in Gang zu setzen. „Willkommen in der Ehe! Die Kinder werden größer, die Träume kleiner und am Ende verlassen beide gemeinsam das Haus…“