Liebesfilm

Klotzsch, Cooper, Emma Rosa Simon & Robert Bohrer. Sammeln von Augen-Blicken

Foto: ZDF / Marie Zahir
Foto Tilmann P. Gangloff

Zuerst ist es die große Liebe, aber dann endet die Idylle abrupt, als sie die Gretchenfrage stellt: Willst du Kinder? „Liebesfilm“ (ZDF / Basis Berlin) ist dem Titel zum Trotz kein ZDF-„Herzkino“. Emma Rosa Simon und Robert Bohrer erzählen in ihrem gemeinsamen Regiedebüt die etwas sperrige Geschichte eines Berliner Taugenichts, der sich geschickt jeder Verantwortung entzieht: Lenz ist Anfang dreißig und lebt unbekümmert vom Geld seines Vaters in den Tag hinein. Für Irritationen sorgen regelmäßige Begegnungen mit imaginierten Zeitgenossen, die ähnlich aus dem Nichts auftauchen wie ein riesiges Kreuzfahrtschiff, dass in der Spree havariert ist. Das ist alles ein bisschen seltsam und mitunter verwirrend, zumal es keine echte Erzählstruktur gibt, aber unterm Strich unterhaltsam und abwechslungsreich.

Vermutlich machen sich die Beteiligten an einem Film ebenso viele Gedanken über den Titel ihres Produkts wie zum Beispiel ein Verlag bei einem Buch. Im besten Fall ist ein Titel eine Einladung, die Neugier weckt und Vorfreude schürt; aber natürlich soll er auch vermitteln, worum’s geht. Insofern ist „Liebesfilm“ schon mal eine ungewöhnliche Idee; kein Filmverleih käme auf die Idee, einen Actionfilm „Actionfilm“ zu nennen. Der Titel weckt jedoch falsche Erwartungen: Emma Rosa Simon (Buch, Regie, Kamera) und Robert Bohrer (Buch, Regie) erzählen zwar eine Liebesgeschichte, aber ein Liebesfilm ist „Liebesfilm“ trotzdem nicht, zumindest nicht nach ZDF-Maßstäben. Liebesfilme zeigt das „Zweite“ sonntags um 20.15 Uhr auf dem Sendeplatz „Herzkino“, und dort wäre diese Kinokoproduktion der Redaktion Das kleine Fernsehspiel auf fast schon groteske Weise deplatziert. Anders als die ebenfalls im Rahmen der ZDF-Reihe „Shooting Stars“ ausgestrahlte Tragikomödie „Glück ist was für Weicheier“ ist der Sendeplatz um 23.50 Uhr in diesem Fall genau richtig.

LiebesfilmFoto: ZDF / Emma Rosa Simon
Psyche & Körper tanzend im Einklang: Lenz’ Freund und WG-Partner Kenn (Gerdy Zint)

„Liebesfilm“ erzählt eine Geschichte aus dem Dasein eines Berliner Taugenichts: Lenz (Eric Klotzsch) ist Anfang dreißig und lebt unbekümmert vom Geld seines Vaters in den Tag hinein. Das ändert sich, als er die einige Jahre ältere Ira (Lana Cooper) kennenlernt. Die beiden verbringen einen Sommer voller Liebe und Leidenschaft miteinander. Als sie ihn fragt, ob er Kinder wolle, endet die Beziehung abrupt. Kinder heißt Verantwortung, Verantwortung heißt erwachsen werden; eine Vorstellung, die Lenz offenkundig zutiefst erschreckt… Simon und Bohrer hätten ihren gemeinsamen Abschlussfilm an der Deutschen Film- & Fernsehakademie Berlin (dffb) als muntere romantische Komödie mit einem ernsten Unterton gestalten können, aber vielleicht dachten sie ja, dass solche Geschichten bereits oft genug erzählt worden sind. Schon die Auswahl der Hauptdarsteller verdeutlicht, dass sie ihr Werk nicht im Mainstream sahen. Auch die Konzeption stellt sich gegen gängige Seherwartungen. Das Drehbuch ist in mehrere Kapitel mit irritierenden Überschriften unterteilt („Wer erschoss Osama bin Laden oder Der Sommer der Liebe“) und entspricht mit seiner sprunghaften Struktur exakt der Haltung der Hauptfigur: Lenz streift durch sein eigenes Leben und sammelt Augenblicke.

Das Phänomenale am ersten Spielfilm von Robert Bohrer und Emma Rosa Simon liegt in seiner Leichtigkeit und Dynamik. Qualitäten, die im Kino gar nicht so leicht zu fassen sind. Nebenbei, zufällig, wie ein Unfall ereignen sich in „Liebesfilm“ die kleinen großen Momente zwischen Ira und Lenz. Ihr bizarres erstes Treffen auf einer Party am Lagerfeuer, ihr quasi sofortiges Verlieben, fast schon widerwillig ihr nachgeschobenes Kennenlernen zwischendurch und bald der erste größere Zoff – denn sie will ein Kind, und er ist dafür alles andere als bereit. (…) „Liebesfilm“ ist eine Ode an die Erfindung, ans Märchen und an die parabelhafte Verschränkung des Privaten mit den großen moralischen Fragen unserer Gegenwart. (DER SPIEGEL)

Wäre der frühe Woody Allen heute ein junger deutscher Mumblecore-Regisseur, hätte er vielleicht so etwas wie „Liebesfilm“ gemacht. Ein Werk, das schon ein bisschen darauf herumreitet, wie besonders skurril es ist. Dem es aber beiläufig gelingt, in seinem improvisiert wirkenden und dabei doch präzisen Drehbuch viel davon einzufangen, wie die Generation der Mittdreißiger so denkt und redet. Und wie sie damit umgeht, dass ihre heutigen Ideale so ganz andere sind als jene, die ihnen einst vorgelebt wurden. Die surrealen Momente in „Liebesfilm“ fügen sich nicht nahtlos in die Handlung ein. Sie liegen vielmehr auf ihr, heben sich ab durch eine exzentrische Lichtsetzung oder betont künstlich gestaltete computergenerierte Bilder. (TAGESSPIEGEL)

LiebesfilmFoto: ZDF / Sina Eslami
Wird sich etwas ändern an der Beziehung der beiden durch Iras Schwangerschaft und das Baby? Eric Klotzsch, Lana Cooper

Weil das Drehbuch- und Regieduo die Beziehung allein anscheinend für nicht abendfüllend oder originell genug hielt, hat der Antiheld immer wieder Begegnungen mit imaginierten Zeitgenossen, die buchstäblich aus dem Nichts auftauchen. Zu den unsichtbaren Gefährten gehören unter anderem ein Mitglied (David McEnulty) jenes Navy-Seal-Trupps, der 2011 Osama bin Laden erschossen hat, und der Kapitän (Roberto Guerra) der 2012 havarierten Costa Concordia. Später liegt das Kreuzfahrtschiff mit bedenklicher Schräglage in der Spree; ein gerade angesichts des sichtbar sparsamen Filmbudgets verblüffender visueller Effekt. Mehrfach zur Sprache kommt auch das rätselhafte Verschwinden des Malaysia-Airlines-Flug 370 im Jahr 2014. Mit ein wenig künstlerischer Freiheit legt der Film nahe, diese Ereignisse hätten sich alle in jenem Sommer zugetragen, in dem auch die Handlung spielt. Was die Einschübe mit der eigentlichen Geschichte zu tun haben, überlassen Simon und Bohrer der Fantasie ihres Publikums. Das gilt auch für andere Erlebnisse. Lenz’ Freund und WG-Partner Kenn (Gerdy Zint) ist offenbar Psychologe oder Psychotherapeut. Hin und wieder scheint Lenz, der ja sonst nichts zu tun hat, Kenn und seine Klienten zu begleiten, unter anderem in den Zoo, wo sich eine Frau in einen Gorilla verliebt hat. Ebenfalls ein Geheimnis bleibt Iras Job. Sie ist IT-Spezialistin, reist regelmäßig ins Ausland, vor allem nach Afghanistan, weshalb sie eine schusssichere Weste dabei hat; Kenn glaubt, dass sie für einen Geheimdienst arbeitet.

Und so reiht der Film unterschiedlichste Momente aneinander: eine Autonummer in der Waschanlage, eine romantische Zeltnacht im Wald, ein Kurzbesuch bei Lenz’ Vater (Hartmut Becker), eine noch kürzere Begegnung mit seiner Mutter (Sabine Vitua). Weil der junge Mann ohnehin bloß noch bei Ira ist, hat Kenn sein Zimmer an gleich drei Touristinnen untervermietet. Sie finden Lenz süß; neben Cara (Katharina Sporrer) wacht er nach einem Abend mit Koks und Alkohol am nächsten Morgen verkatert im Kinderzimmer auf. Das passt, schließlich ist Lenz letztlich selbst noch ein Kind, und auch deshalb ist „Liebesfilm“ das falsche Genre-Etikett: In Wirklichkeit erzählen Simon und Bohrer, die beim Festival Achtung Berlin 2019 mit den Preisen für das beste Drehbuch und die beste Regie ausgezeichnet worden sind, eine „Coming of age“-Geschichte; ein bisschen seltsam und mitunter verwirrend, aber ähnlich unterhaltsam und abwechslungsreich wie Daniel Glatzels Filmmusik.

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Kinofilm

ZDF

Mit Eric Klotzsch, Lana Cooper, Gerdy Zint, Hartmut Becker, Sabine Vitua, Katharina Sporrer, Roberto Guerra, David McEnulty

Kamera: Emma Rosa Simon

Szenenbild: Caro Ohmert, Denise Baron

Kostüm: Lena Nienaber

Schnitt: Jörg Volkmar

Musik: Daniel Glatzel

Soundtrack: Herbert Grönemeyer („Männer“), Faramarz Aslani („Age Ye Rooz“, Abspannlied)

Redaktion: Jörg Schneider

Produktionsfirma: Basis Berlin Filmproduktion

Produktion: Eva Kemme, Tobias N. Siebert, Ansgar Frerich

Drehbuch: Emma Rosa Simon, Robert Bohrer

Regie: Emma Rosa Simon, Robert Bohrer

EA: 20.07.2020 23:50 Uhr | ZDF

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