Sie wohnen zwar im selben Haus, aber sonst haben die Kellnerin Judith Kreuzer (Tanja Wedhorn) und der Mathematik-Professor Leonard Damovsky (Heino Ferch) wenig gemeinsam. Er forscht auf dem Feld der Windkraft, sie ist das Mädchen für alles im Campus-Café. Weil Judith keine Universitätsmitarbeiterin ist, muss sie demnächst ihr preiswertes Appartement räumen. Das bringt ihre Langzeit-Affäre Stefan Bach (Knut Berger), PR-Chef der Universität, auf die Idee, ihr einen Arbeitsplatz an der Uni zu schaffen: Gemeinsam mit dem Mathe-As soll sie Schüler für Mathematik begeistern. Für Damovsky, der wegen seiner Angststörungen keine Vorlesungen halten muss, ein Ding der Unmöglichkeit. Aber ihm bleibt keine Wahl; denn Bach, der seine Kompetenzen überschreitet, droht mit der Streichung von Forschungsgeldern. Der Professor lässt sich sogar auf die Schnapsidee ein, dass bei einer Präsentation, sein Vater (Michael Gwisdek), eine heute nur noch peinliche Komikerlegende, eine Einführung halten wird. Mit Hilfe von Judith könnte er es hinbekommen. Diese Frau, deren spielerischen Lernansatz und deren lebenskluge Unbeschwertheit er zunehmend bewundert, wird seine Vertraute. Was er bei seinem Vater ein Leben lang nicht geschafft hat: Ihr gegenüber kann er sich öffnen, mit ihr kann er über seine Schweißausbrüche und Panik-Attacken reden. Der PR-Coup mit dem alten Herren geht aber trotzdem nach hinten los.
Foto: Degeto / Britta Krehl
Axel Milberg gab 2015 als „Liebling des Himmels“ den „Psycho“-Vorreiter. Der Zuspruch der Zuschauer war überschaubar, und so tat sich bis zum Überraschungserfolg von „Ella Schön“ (ZDF) mit verhaltensauffälligen Hauptfiguren im Ersten wenig. Plötzlich aber entdeckte auch die Degeto Autismus und Asperger-Syndrom („Verliebt in Valerie“) als Charaktere-bildende Persönlichkeitsstörungen. Der Ruf nach mehr Diversität in den Geschichten, auch im Bereich der Unterhaltung, ist sicherlich ein Grund für diesen Trend. Darüber hinaus ergibt sich die Möglichkeit, mit solchen schwierigen Charakteren namhafte Schauspieler zu locken und so den ARD-Freitagsfilm, dessen Image schon mal besser war, zu bereichern. Nach Oliver Mommsen („Papa auf Wolke 7“) und Benjamin Sadler („Pohlmann und die Zeit der Wün-sche“) ist es nun in der Degeto-Komödie „Liebe ist unberechenbar“ Heino Ferch, dessen Professor in der Öffentlichkeit Schwindelattacken und Angstzustände überkommen und der deshalb einen großen Bogen um seine Mitmenschen macht. Verhaltenstraining könnte helfen, im Notfall auch mal Tabletten, sagt er der Frau, die fortan die dritte Möglichkeit der Symptom-Linderung (von Heilung zu sprechen wäre vermessen) darstellen könnte: jemand, der ihn versteht und dem er vertrauen kann. Sein Vater war diese Person nicht. Der reißt heute noch Witze über seinen kranken Sohn. Und was Leonards Verhältnis zu der unverbesserlichen berlinernden Rampensau angeht – auch dabei könnte diese so lebenspraktische Frau verspätete Hilfestellung geben, umso mehr, als sich Judith anfangs als eine ähnlich laute Person zeigt.
Anders als in der romantischen Roadmovie-Komödie „Liebe verjährt nicht“ erfüllen die beiden Hauptdarsteller Heino Ferch und Tanja Wedhorn die hohen Erwartungen, die man an sie stellen darf. Ferch ist und bleibt einer unserer besten Charakterköpfe, der mit seinem hauchzarten „Spiel“ in jedem Genre zu beeindrucken weiß. So macht der Schauspieler auch hier das Handicap seiner Figur nicht zur Macke, sondern als inneren Dauerkonflikt sichtbar. Und Wedhorn ist deutlich besser als ihre in die Jahre gekommene Degeto-Reihe „Praxis mit Meerblick“, wie sie zuletzt in der Serie „Fritzie – Der Himmel muss warten“ (ZDF) beweisen konnte. Die 48-Jährige ist ein Lichtblick im leichten Fach des öffentlich-rechtlichen Fiction-Fernsehens. Dass sie für die Rolle des Campus-Wirbelwinds etwas zu alt sein könnte, erweist sich als graue Theorie. Einfach die Haare noch etwas kräftiger von der Berliner Luft zerzausen lassen – und schon ist sie der perfekte Wirrkopf für diese Beziehungskonstellation, die in der ersten Filmhälfte durchaus etwas Screwball-Comedy-Touch verströmt. Verkopfter Professor vs. quirlige Frau war in diesem Genre – von „Leoparden küsst man nicht“ bis „Is was, Doc?“ – ein beliebtes Muster. Doch die nie zu romantische ARD-Komödie von Jörg Lühdorff (Buch) Ingo Rasper (Regie) muss – damit es zum Happy End kommen kann – sich auch ernsthaft der Probleme des Mannes annehmen (wozu auch die kranke Beziehung zu seinem egozentrischen Vater gehört). Und so kommen in dem Film auch Dramedy-Momente nicht zu kurz.
Foto: Degeto / Britta Krehl
„Liebe ist unberechenbar“ bringt Sommer und Sonne in die grauen Januartage. Es ist ein lebenskluger Wohlfühlfilm, der sein Herz für Außenseiter auf eine unaufdringliche Art und Weise an die Zuschauer*innen bringt. Das beginnt bei der Dramaturgie und setzt sich sehenswert in der Inszenierung fort. Autor Lühdorff startet mit einer knackigen Komödien-Exposition, in der die ersten Sätze, „Eigentlich war mein Leben ganz in Ordnung“ und „Mein Leben war eigentlich ganz cool“, in Kombination mit dem Erzähltempo fast schon wie eine Parodie auf die Degeto-Dramödien der 00er Jahre klingen (fast jede Presseheft-Inhaltsangabe begann mit „eigentlich“). Die Bilder lassen unschwer die großen Mühen der Macher erkennen. Da liegt der Professor hingebungsvoll auf einem Windrad, allein und eins mit seiner Arbeit; und wir sehen Judith, im Trubel des Cafés, multitaskingfähig und zufrieden. Auch in der Folgezeit sprechen die Situationen für sich: Die Gegensätze des Paares werden launig ausgespielt; das Syndrom hinter dem seltsamen Verhalten des Professors wird aber erst zur Halbzeit explizit angesprochen. Der Zuschauer kann sich also im wahrsten Sinne des Wortes ein Bild machen. Das ist nicht nur rezeptionstechnisch klug, sondern entspricht auch der Logik des „Helden“: Eine menschenscheue Person trägt nun mal nicht das Herz auf der Zunge.
Das ist ganz anders beim Vater dieser Figur, die der unvergessliche Michael Gwisdek in einer seiner letzten Rollen unnachahmlich verkörpert. Sein abgehalfterter Ex-Komiker mit Hang zur Beleidigung und zum tragischen Feierbiest ist eine kleine, feine, nicht ganz klischeefreie und doch nuancenreiche Rolle: Dieser Greis ist heiß, so der erste Eindruck, nachdem der alte Danovsky das Zimmer seiner Seniorenresidenz geschrottet hat. Später wird er ausfallend, verletzend, peinlich, bevor ihm der Autor am Ende eine angenehm kitschfreie Wandlung gönnt. Dass die obligatorische Vater-Sohn-Versöhnung als eine der nachhaltigsten Szenen in Erinnerung bleiben wird, hat weniger mit Gwisdeks Tod zu tun als vielmehr mit dessen wunderbar akzentuiertem Zusammenspiel mit Heino Ferch. Gutes Timing, vor allem ein flottes Tempo, besitzt über die gesamten 90 Minuten auch Ingo Raspers Inszenierung. Selbst dem beliebten romantischen Last-Minute-Rescue am Flughafen kann man als Zuschauer in dieser Form, mit diesem Helden und seinen Phobien noch etwas Neues abgewinnen. Sympathisch ist dabei im Vorfeld auch, dass das retardierende Moment kein künstliches Missverständnis zwischen dem Paar ist, sondern dass es auf der „Intrige“ beziehungsweise der Lüge eines Dritten basiert. Die krankhafte Schüchternheit des Helden spielt dabei auch eine Rolle. Doch für die Liebe lässt die sich schon mal überwinden… (Text-Stand: 16.12.2020)