Letzte Ausfahrt Gera – Acht Stunden mit Beate Zschäpe

Lisa Wagner, Joachim Król, Christina Große, Raymond Ley. "Die Jungs im Griff"

Foto: ZDF / Janett Kartelmeyer
Foto Thomas Gehringer

Beate Zschäpe darf ihre Großmutter in Thüringen besuchen und soll auf der Fahrt von BKA-Verhörspezialisten zum Reden gebracht werden. Die harmlos wirkenden Plaudereien kombinieren Raymond und Hannah Ley („Meine Tochter Anne Frank“) mit weiteren Spielszenen aus dem Prozess, aus dem Zusammenleben des NSU-Trios sowie mit Interviews und Dokumentarbildern. „Letzte Ausfahrt Gera – Acht Stunden mit Beate Zschäpe“ bietet eine fesselnde, abwechslungsreiche Montage, in der die Opfer-Perspektive nicht ausgeklammert bleibt. Lisa Wagner spielt überzeugend, aber diese erste fiktionale Annäherung an die Persönlichkeit Zschäpes kommt zu früh und weist noch viele Leerstellen auf.

Noch bevor ein Urteil im Prozess gegen Beate Zschäpe gesprochen wurde, versucht das ZDF die erste fiktionale Annäherung an diese Persönlichkeit, die vor Gericht so lange geschwiegen hat. Grundlage des Drehbuchs ist neben dem Gerichtsverfahren selbst vor allem ein Gesprächsprotokoll, das Beamte des Bundeskriminalamts (BKA) nach einer gemeinsamen Fahrt mit Zschäpe nach Gera angefertigt hatten. Im Juni 2012, also noch vor Beginn des Münchner Prozesses, war Zschäpe erlaubt worden, ihre Großmutter in Thüringen zu besuchen. Die Gespräche auf der Fahrt waren kein offizielles Verhör, dennoch versuchten die BKA-Ermittler, Zschäpe Aussagen zu den Verbrechen des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) zu entlocken. „Wenn wir sie bei unserem Ausflug nicht zum Reden bringen, dann wird es ein langer Prozess“, sagt einer der beiden „Verhörspezialisten“ im Film, dargestellt von Joachim Król. So ist es dann auch gekommen. Zschäpe gab bei den Plaudereien auf der Reise nichts Wesentliches preis, dennoch gilt das BKA-Protokoll als ein seltenes Dokument, das Einblicke in die Persönlichkeit dieser jungen Frau aus der Neonazi-Szene gibt.

Letzte Ausfahrt Gera – Acht Stunden mit Beate ZschäpeFoto: ZDF / Janett Kartelmeyer
Beate Zschäpe (Lisa Wagner) in Begleitung der BKA-Beamten Troller (Rollenname geändert; Joachim Król) und Dietrich (Rollenname geändert; Christina Große).

Es scheint so, als wollten die Fernsehsender Aufsehen erregende Fälle immer früher zu fiktionalen Dramen verarbeiten. Beim Steuersünder Uli Hoeneß war zuletzt immerhin noch das Prozessende abgewartet worden. Im Fall Zschäpe ist zum Zeitpunkt der Erstausstrahlung des Films noch weitgehend unklar, ob man der Angeklagten eine Beteiligung an den NSU-Morden nachweisen kann. Und wer weiß schon, ob man zur Persönlichkeit Zschäpes in den nächsten Wochen und Monaten nicht doch noch bedeutende Erkenntnisse gewinnt. Gerade weil fiktionale Produktionen nicht aktuell sein können, erscheint ein größerer zeitlicher Abstand zu den Ereignissen, auf die sie Bezug nehmen, als sinnvoll. So beschäftigt sich „Letzte Ausfahrt Gera“ auch nicht mit der langen Erklärung, die die Angeklagte Zschäpe Anfang Dezember 2015 nach 19 Monaten Prozessdauer vor Gericht verlesen ließ. „Auf eine erschreckende und fast ,unheimliche‘ Art und Weise korrespondieren unser Film und Zschäpes Erklärung miteinander“, sagt zwar Autor-Regisseur Raymond Ley („Meine Tochter Anne Frank“) mit Recht. Aber in dem Film selbst spielt Zschäpes erste öffentliche Wortmeldung keine Rolle.

Abgesehen von Fragen der Aktualität und der Halbwertzeit einer solch frühen fiktionalen Aufarbeitung, bietet „Letzte Ausfahrt Gera“ eine fesselnde Mischung aus Spielszenen und dokumentarischem Material. Die Klammer bildet eine Art Kammerspiel „on the road“, in dem die Gefangene Zschäpe (Lisa Wagner) im Polizei-Transporter in harmlos wirkende Gespräche verwickelt wird. Ihr gegenüber sitzt ein freundlich-gemütlicher BKA-Typ, eine mit Joachim Król perfekt besetzte Rolle. Christina Große als zweite Verhörspezialistin, neben Zschäpe platziert, gibt sich reservierter, sucht aber ebenfalls keine Konfrontation. Im Mittelpunkt des angenehm ruhig & konzentriert inszenierten Dialogdreiecks: Lisa Wagner als Beate Zschäpe. Die schwarze Perücke ist gewöhnungsbedürftig, doch Wagners Mienenspiel ist gerade deshalb exzellent, weil es die undurchsichtige Figur nicht auf eine Interpretation festlegt.

Vielleicht trägt die Bezeichnung „bauernschlau“ noch am ehesten. Zschäpe regt sich im Gespräch mit den BKA-Beamten über eine solche Charakterisierung auf, die Kontrolle aber verliert sie nie vollständig. Auch nicht als sie der Mutter und der geliebten Großmutter gegenüber sitzt. „Ich würde mich gerne bei meiner Oma entschuldigen“, hatte sie den BKA-Beamten auf der Fahrt zuvor gesagt. „Gerne erklären, wie alles gekommen ist.“ Das klingt beinahe nach Schuldgefühlen und Geständnis. Und weil sie gerne von Köln nach Thüringen verlegt werden würde, fließen im Gespräch mit den Angehörigen auch Tränen. Doch als die Großmutter konkret nachfragt, ob sie mit Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt gemeinsam losgezogen sei, da steht Zschäpe nur wortlos auf.

Letzte Ausfahrt Gera – Acht Stunden mit Beate ZschäpeFoto: ZDF / Janett Kartelmeyer
Zschäpe (Lisa Wagner) & der BKA-Mann (Joachim Król) bei der Ankunft vor der JVA Gera

Raymond Ley & seine Frau Hannah als Co-Autorin entwerfen kein komplettes Bild, vermeiden eine Vorverurteilung und fügen die Fragmente zu einem kurzweiligen Film zusammen. Darin wechseln häufig die Perspektiven, die Montage ist abwechslungs- und temporeich und hält die Spannung hoch. Entscheidend ist zudem, dass die Leys dem Blickwinkel der Opferfamilien viel Platz einräumen. Die Spielszenen vor Gericht sind beklemmend und werden noch durch Interviews mit Angehörigen ergänzt. Auch der Ermittlungsskandal kommt so zur Sprache. Die Polizei hatte jahrelang die sogenannte „Döner-Spur“ verfolgt und auch Angehörige verdächtigt. Zu dem Thema inszeniert Ley außerdem einen Dialog, in dem die beiden BKA-Ermittler offenbar mit einem ihrer Chefs, gespielt von Udo Samel, streiten.

Rein fiktional sind auch die Alltagsszenen vom Leben des NSU-Trios. Die Leys halten sich  tendenziell an die Zeugenaussage eines Cousins von Beate Zschäpe. Der hatte vor Gericht erklärt, sie sei robuster als andere Frauen im Umgang – „und sie hatte die Jungs im Griff“. Das Verhältnis des Trios ist natürlich von Bedeutung: Was wusste Zschäpe? Wie reagierte sie auf die Taten von Mundlos und Böhnhardt? Die szenische Auflösung fällt zwiespältig aus. „Schuhe aus“, kommandiert Zschäpe nur, als ihre Mitbewohner nach dem Mord an Enver Simsek im September 2000 wieder nach Hause kommen. Und die Neonazis gehorchen brav. Das wirkt doch arg klischeehaft. Erotische Motive werden an anderen Stellen ebenfalls diffus angedeutet. Hatte die „Nazi-Braut“, wie Zschäpe vom Boulevard getauft wurde, zu Hause also die Hosen an? War sie „die schwarze Sonne von den beiden“, wie es der BKA-Ermittler formuliert? Und warum soll uns das interessieren, wenn daraus keine Schlüsse über ihre Tatbeteiligung gezogen werden können?

Der Banalisierung entgehen die Leys nicht nur durch die Opfer-Perspektive, sondern auch weil sie aus den vor Hass triefenden NSU-Texten und dem berüchtigten Paulchen-Panther-Bekennervideo zitieren. Wie stark sich Zschäpe mit diesem erschreckenden Gedankengut identifiziert, bleibt aber unklar. Die Zeugenaussagen ergeben kein eindeutiges Bild. Und dass hier Patrick Wieschke, der NPD-Fraktionsvorsitzende Eisenachs, wie ein seriöser Zeitzeuge auftreten darf, ist ohnehin ärgerlich und überflüssig. Am Ende inszeniert Raymond Ley, wie Zschäpe in ihrer Zelle einen Brief des norwegischen Rechtsterroristen Anders Breivik auseinander faltet. Gegenüber den BKA-Leuten hatte sie dessen Texte als wirr bezeichnet. Nun sieht man Lisa Wagner in der Zschäpe-Rolle schweigsam Breiviks nationalistisches Gefasel lesen. Für einen Mann wie ihn, der im Juli 2011 insgesamt 77 Menschen tötete, ist Beate Zschäpe eine natürliche Verbündete. Ob dies auch umgekehrt gilt, bleibt vorerst offen.

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Fernsehfilm

ZDF

Mit Lisa Wagner, Joachim Król, Christina Große, Hannah Schröder, Axel Milberg, Udo Samel, Kai Malina, Christoph Förster

Kamera: Philipp Kirsamer (szenisch), Johannes Päch (dokumentarisch)

Schnitt: Ulf Albert

Musik: Hans P. Ströer

Produktionsfirma: AVE, Ufa Fiction

Drehbuch: Hannah Ley, Raymond Ley

Regie: Raymond Ley

Quote: 2,46 Mio. Zuschauer (7,5% MA)

EA: 26.01.2015 20:15 Uhr | ZDF

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