Georg Büchners Novelle „Lenz“, erschienen 1839, ist für seine Entstehungszeit ein Text von außerordentlicher Sinnlichkeit. Der am Rande des Wahnsinns wandelnde Sturm-und-Drang-Dichter hört Stimmen, sieht die Wolken jagen und in der Sonne erkennt er „ein gleißend Schwert“, das die Landschaft durchschneidet. Der junge Dichter verliert jegliches Gefühl für Raum und Zeit. Auch die Neuverfilmung („Lindenstraßen“-Regisseur und Ex-Jungfilmer George Moorse adaptierte den Stoff bereits 1971) sprengt die raumzeitliche Ordnung, verzichtet auf ein finales Erzählen und setzt umso stärker auf die Sinne des Zuschauers.
Zwar plädiert der Aufklärer Jakob Michael Reinhold Lenz für den „Ausgang aus der selbst verschuldeten Unmündigkeit“, doch geredet wird in der Hauptsache so, wie man es anno 2009 zu tun pflegt. Auch die Dinge des Lebens entstammen der Jetztzeit: Mit dem Auto rast der Dichter durch den Wald oder er haut in die Tasten seines Laptops. Die Rede ist von der „Wende“, von „lückenloser Aufklärung“ und auch ein Bundeswehrsoldat stellt sich dem „aus der Welt Geworfenen“ entgegen. Dieser Lenz rockt und rollt.
Der Film schmeißt die Sehgewohnheiten über den Haufen. Die Bilder der Natur weben sich in die Spurenelemente des existenzialistischen Geschehens. „Wir ahnen alles – wir müssen es nur lesen“, schwärmt der Dichter und jammert im selben Atemzug: „Es ist doch alles schon erzählt.“ Lenz will (er)leben, will lieben, sich verzehren, will verschmelzen mit der Natur. Er fiebert. Schreiben geht kaum noch. Heute würde man sagen: Lenz hat eine Schreibblockade. Die Kunst ein Rätsel, die Welt eine Chiffre, die Empfindung der helle Wahn. Regisseur Andreas Morell findet für all das faszinierende Bilder: gezeichnet vom Gegenlicht, von intensiven Kontrasten. Bilder zwischen wilder Clip-Ästhetik und einem trockenen, magisch reduzierten Realismus.
Foto: ZDF / Florian Foest
Über diese Bilder und über den großartigen Lust-Schauspieler Barnaby Metschurat, der ungewohnte Nuancen zwischen Naivität und Euphorie, zwischen kindlicher Freude und verkopftem Idealismus zum Ausdruck bringt, wird der Zuschauer hinein gerissen in die rätselhaft strukturierte Geschichte. „Die Geschichte ist nicht deutlich genug“, bemängelt Lenzens Verleger, „der Zuschauer verlangt klare Antworten auf klare Fragen.“ Das kommt einem bekannt vor. Der Dichter gibt sich wenig kompromissbereit: einen „schönen Mord“ will er seinem Publikum nicht geben. Sein Credo indes lautet: „Geheimnis ist spannend.“ (Text-Stand: 10.11.2009)