Polizeiseelsorgerin Lena Fauch begleitet die Eltern einer missbrauchten & getöteten 19Jährigen zum Prozess gegen den mutmaßlichen Täter. Der hat zwar bei der Polizei ein Geständnis abgelegt, widerruft es aber vor Gericht. Und weil der verantwortliche Kommissar Thomas Lammers einen formalen Fehler begangen hat, wie er im Zeugenstand einräumen muss, ist das Geständnis wertlos. Aus Sicht der Eltern des Opfers bahnt sich eine Katastrophe an. Besonders für Frank Weingartner scheint alles davon abzuhängen, dass der Tod der einzigen Tochter vor Gericht mit der Höchststrafe gesühnt wird. Seine Frau Martha kostet es bereits gewaltige Überwindung, zum Prozess zu gehen und dem Angeklagten zu begegnen.
Der nachvollziehbare Schmerz der Eltern, die angespannte Atmosphäre im Gerichtssaal – die Intensität der Anfangsminuten zieht einen sofort hinein in diesen Film. Johannes Fabrick folgt dabei im dritten Fall der „Lena Fauch“-Reihe nicht so sehr einem Krimi-Schema. Die Suche nach der Wahrheit, die Ermittlung des Täters, steht nicht im Vordergrund, sondern die Psychologie der Figuren, ihre Trauer, Schuld- und Rachegefühle. Fabrick streut keine Zweifel an der Schuld des Angeklagten, wie man es in einem klassischen Whodunit erwarten dürfte. Irgendwann gibt Lena Fauch immerhin zu bedenken: „Vielleicht war er’s ja gar nicht.“ Außerdem besucht sie den Angeklagten in der Untersuchungshaft und spricht auch mit dessen Mutter. Die Möglichkeit eines anderen Tathergangs bleibt anfangs offen.
Eindrucksvoll erzählt werden vor allem die Folgen einer solch schrecklichen Tat für die Angehörigen. Frank Weingartner ist buchstäblich getrieben von dem Wunsch nach Rache. Darsteller Felix Vörtler spielt ihn wie einen Rasenden, immer kurz davor, die Beherrschung zu verlieren. Was Weingartner zwar nicht im Gerichtssaal, aber in seinem Beruf als Fahrlehrer passiert. Stark auch Sylvana Krappatsch als verzweifelte, in sich gekehrte Martha, die sich selbst die Schuld gibt, weil der am Tattag geplante Ausflug mit der Tochter wegen ihres Friseurtermins verschoben wurde. Bedrückend das Schweigen zwischen den Eheleuten. Die Dialoge bleiben wohldosiert, auch Lena Fauch muss nicht pausenlos gute Ratschläge erteilen.
Eine Stärke des Films ist zudem, dass sich am Ende nicht alles in Wohlgefallen auflöst. Der moralische Appell (Du musst für deine Fehler gerade stehen) bringt den Täter kurz ins Wanken, doch dann zieht er unbehelligt ab. Wirklich frei ist er damit nicht, wie Fabrick schon mittels einer gespenstischen Szene zwischen dem angeklagten Muttersöhnchen und seiner dominanten, ordnungsfanatischen Mutter erzählt hatte. Aber er hat die Wahl – und entscheidet sich gegen die von Lena Fauch angebotene „Freiheit“ durch Therapie. Ein intelligentes Ende eines Films, der philosophische Themen trotz gelegentlich plakativer Lehrsätze in einer spannenden Dramaturgie verarbeitet. Und das sensible Thema der Selbstjustiz behandelt Autor-Regisseur Fabrick differenziert und dennoch mit einer klaren Haltung.
Auffällig, dass Ferres nicht mehr wie in den ersten Filmen kurze Haare trägt. Sie komme „nach dem traumatisierenden Tod ihres Mannes mehr und mehr zu sich und findet zu ihrer Weiblichkeit zurück. Sie wird weicher, öffnet sich“, sagt die Schauspielerin über ihre Figur. Dies kommt vor allem in einer von Fabrick behutsam inszenierten Annäherung an Lammers (Kampwirth) zum Ausdruck – Ausgang offen. Auch das ist stimmig, wobei der Kommissar nicht zwingend noch eine gescheiterte Ehe und einen Sorgerechtsstreit gebraucht hätte.
Dass die Hauptdarstellerin zurückgenommen agiert, ist sicher klug, weil die starke Geschichte ohnehin reich an Emotionen ist. Doch diese Lena Fauch ist einfach zu abgeklärt, immer mitfühlend, scheinbar nie zweifelnd an sich oder an ihrem Glauben. Dass sie mal den Termin mit einer jungen Polizistin vergisst, ist das Äußerste. Und wenn ihr der angetrunkene Lammers in der Kneipe von seinen Problemen und seiner Abkehr von der Religion berichtet, erklärt sie oberlehrerhaft: „Das nennt man die dunkle Nacht der Seele“ (oder „Macht der Seele“? Könnte auch sein). Immerhin sucht sie auch mal bei ihrem Vorgänger Rat. Ihr Mentor, den Lena Fauch selbst liebevoll als „alten Kauz“ bezeichnet, rät, die Verzweiflung der Weingartners nicht einfach wegzutrösten. Ihm nimmt man auch den Satz „Jesus war ein Revolutionär“ ab. Aber das betont lockere Tischgespräch (Bier aus der Flasche!) ändert nichts daran, dass hier dank einer konturarmen, von Veronica Ferres steif gespielten Titelfigur recht theoretisch über Religion und Glauben philosophiert wird. (Text-Stand: 7.11.2014)