Ein Mann feuert aus seinem Haus auf den benachbarten Biergarten. Erste Treffer. Panik bricht aus. Eine SEK-Einheit rückt an. Auch die evangelische Pastorin Lena Fauch, übergangsweise als Polizeiseelsorgerin tätig, wird zum Einsatzort gerufen. Sie kümmert sich um die Augenzeugen, die unter Schock stehen. Als der Amokläufer seine Tochter Tatjana sprechen möchte, besteht Fauch darauf, sie zu begleiten. Die Einsatzleitung verhindert in letzter Sekunde, dass die Seelsorgerin sich mit in den ersten Stock des Hauses begibt, wo sich der verwirrte Mann mit Tatjanas Baby und seiner toten Frau befindet, die sich kurz zuvor das Leben genommen hat. Die Situation ist unübersichtlich. Schüsse fallen. Der Vater ist tot, seine Tochter schwer verletzt, das Kind lebt… Für die Polizei ein Fall für die Akten. Doch weshalb verschwindet der Sohn des SEK-Leiters spurlos? Offenbar ist jener Max schwer traumatisiert? Hat er die tödlichen Schüsse abgegeben? Lena Fauch glaubt, so etwas von der aus dem Koma erwachten Tochter des Amokläufers vernommen zu haben. Ihr Chef indes wittert einen privaten Rachefeldzug der Pastorin, deren Mann, auch beim SEK, unter demselben Einsatzleiter in einer ähnlichen Situation ums Leben kam.
„Eine Polizeiseelsorgerin ist nicht nur dem Gesetz, sondern auch der Seele verpflichtet. Das gibt ihr eine besondere Position, da Gesetze und Seele nicht immer kongruent sind. Im Umgang mit Menschen und Taten interessiert sie mehr das Seelenheil als die juristische Gerechtigkeit.“ (Produzentin Kirsten Hager)
Foto: ZDF / Hendrik Heiden
Nun also auch die Ferres! Das ZDF schickt eine neue Krimi(drama)heldin in den Einsatz. Der zweite Film der Reihe um die Polizeiseelsorgerin Lena Fauch wird zurzeit in und um München gedreht. Dass diese nicht – wie bei „Kommissar Süden“ beispielsweise – die letzte Episode sein wird, ist anzunehmen. Veronica Ferres ist noch immer ein Quoten-Garant. Außerdem ist „Lena Fauch und die Tochter des Amokläufers“ bestes Krimi-Handwerk. Packend, sehr physisch, mit Handkamera gedreht ist beispielsweise die Exposition. Die ersten 23 Minuten brechen mit der Wucht eines Naturereignisses über den Zuschauer herein. Dieser wird Augenzeuge des Amoklaufs und der missglückten Polizeiaktion. Doch wie der Heldin ist auch dem Zuschauer beim entscheidenden Schusswechsel die Sicht versperrt. Später dagegen hat man einen Wissensvorsprung gegenüber Lena Fauch. Das sichert die Sympathien für diese Frau, die sich ansonsten recht spröde gibt und bei der die Macher so einiges aus ihrer Vergangenheit andeuten, das nicht mit dem Bild der Heiligen Lena, das sie heute abzugeben versucht, übereinstimmt.
„Eine Polizeiseelsorgerin hat andere Möglichkeiten, sich den Menschen zu nähern und ihr Vertrauen zu gewinnen. Ihre ethische, moralische und religiöse Stellung hilft ihr, die Hintergründe zu erspüren. Das liegt zum einen an der Schweigepflicht, an die sie gebunden ist, und am Zeugnisverweigerungsrecht, das sie wahrnehmen kann.“ (Veronica Ferres)
„Lena Fauch und die Tochter des Amokläufers“ ist ein Krimidrama, das einen zwar mit Mord, Nervenkitzel und Suspense ködert, das aber nicht den üblichen Ermittlungsweg einschlägt. Es geht stärker um Innenwelten, darum, was Gewaltverbrechen mit einem Menschen machen (können). Die Ferres-Figur ist das Zentrum der Geschichte, der tragische Fall geht mitten durch ihre Seele, die innere Logik des „Verbrechens“ wird nicht vertieft. Die Gefahr, dass durch die Subjektivierung des Falls die in ZDF-Krimireihen gern genommene Befindlichkeitssoße über den Plot geschüttet wird, umgeht der Autor dadurch, dass er Fauch auch noch ein Leben gibt – mit kriminellem Bruder, Übergangs-WG und eigener unseliger Vergangenheit. Außerdem setzt die Erzählung immer wieder auf Perspektivwechsel, die den Fokus auf andere Figuren richten: Opfer, Opfer-Täter, Täter wider Willen. Viel Erhellendes indes zum Thema Polizeiseelsorge befördert der Fauch-Auftakt nicht zutage. Da ist außerdem viel Testosteron im Spiel. Das Seelchen muss zeigen, dass es Paroli bieten kann. Der blindwütige Macho-Diskurs gibt die Tonlage der Geschichte vor. Ein Männer-Frau-Duell mit etwas zu deutlicher Sympathieverteilung ist dramaturgisch nicht gerade originell. Die Frage ist, ob ein solches Knall-Bonbon mit Amoklauf und Blutbad überhaupt der richtige Einstieg ist für ein Seelenkrimidrama. Der Ausgangspunkt zur Reihe war offenbar nicht primär die Faszination dieses Berufsfeldes und seine gesellschaftliche Bedeutung. Ausgangspunkt war eher die Frage: Von welcher Seite kann man Krimi noch aufziehen? Welche andere Perspektive kann man dem Genre geben? Wie kann man mehr Drama aus dem Krimi pressen?
Foto: ZDF / Hendrik Heiden