Lehman. Gier frisst Herz

Joachim Król, Mala Emde, Eisfeld, Raymond Ley. Die Bankenpleite als Doku-Drama

Foto: HR / AVE / Dominik Berg
Foto Tilmann P. Gangloff

Es gibt nicht viele, die das Genre Dokudrama so gut beherrschen wie Raymond Ley. Mit seinem Film „Lehman. Gier frisst Herz“ (HR / AVE) über den Betrug mit faulen Anlagezertifikaten bleibt der für „Die Nacht der großen Flut“ oder „Mörderische Entscheidung“ vielfach ausgezeichnete Regisseur jedoch deutlich hinter früheren Arbeiten zurück. Anders als gewohnt entsteht aus der Kombination von Spielszenen und Interviews mit Tätern und Opfern kein einheitliches Bild, zumal zu viele der Betrogenen keinen bleibenden Eindruck hinterlassen. Ausgerechnet die inszenierten Passagen, sonst stets die große Stärke von Leys Filmen, sind diesmal zudem eine Schwäche, weil fast alle Nebenrollen klischeehaft sind und auch nicht überzeugend gespielt werden. Einsamer Star des Films ist daher Joachim Król als altgedienter Anlageberater einer Frankfurter Sparkasse, der zunehmende Skrupel bekommt, seinen Kunden die faulen Eier unterzujubeln… Es gibt Besseres zum Thema.

Ein Film zum Jahrestag einer Bankenpleite: Das ist ungewöhnlich. Aber natürlich war der Zusammenbruch der New Yorker Investmentbank Lehman Brothers im September 2008, der eine weltweite Finanzkrise auslöste, keine gewöhnliche Insolvenz. Zehn Jahre später ist die Erinnerung daran längst verdrängt: durch Eurokrise, Flüchtlingsdebatte und Rechtsruck. Schon deshalb ist es richtig und wichtig, dass die ARD an das Ereignis erinnert, zumal es sich jederzeit wiederholen kann. Damals haben viele deutsche Kleinsparer ihr Geld verloren, und von deren Schicksal handelt dieser Film mit dem schlichten Titel „Lehman“ und dem treffenden Zusatz „Gier frisst Herz“. Korrekt lautet das geflügelte Wort „Gier frisst Hirn“. Es umschreibt das leichte Spiel, das die Investmentberater der Banken dank der versprochenen Rendite bei ihren Kunden hatten. Autor und Regisseur Raymond Ley hat die Redensart paraphrasiert, weil er die Geschichte aus Sicht zweier Mitarbeiter einer Frankfurter Sparkasse erzählt. Die beiden repräsentieren zwei unterschiedliche Verkaufstypen: hier Arno Breuer, mit Joachim Król perfekt besetzt, ein freundlicher Herr von Mitte fünfzig, dem seine Kunden bedingungslos vertrauen, zumal sie teilweise schon seit Jahrzehnten mit ihm zu tun haben, dort Nele Fromm, eine junge Frau aus der Abteilung für Online-Kunden. Auch sie ist dank der Besetzung mit Mala Emde auf Anhieb sympathisch, aber beide sorgen dafür, dass viele Menschen ihre kompletten Ersparnisse verlieren, nachdem sie zum Kauf von angeblich sicheren Zertifikaten der Lehman-Bank überredet worden sind.

Lehman. Gier frisst HerzFoto: HR / AVE / Dominik Berg
Verkaufstyp B: Online-Beraterin Nele Fromm (Mala Emde), jung & sympathisch. Verkaufstyp A (Aufmacher-Foto): Investmentberater Arno Breuer, mit Joachim Król perfekt besetzt, ein freundlicher Herr von Mitte fünfzig, dem seine Kunden bedingungslos vertrauen.

Ley setzt sich seit vielen Jahren regelmäßig mit Ereignissen auseinander, die Geschichte geschrieben haben. Seine Arbeiten, die meist in Zusammenarbeit mit seiner Frau Hannah Ley entstehen, sind vielfach ausgezeichnet worden: „Die Nacht der großen Flut“ (über die Hamburger Sturmflut 1962, Deutscher Fernsehpreis 2006), „Eine mörderische Entscheidung“ (über den Luftangriff in Kundus, Grimme-Preis 2014), „Meine Tochter Anne Frank“ (Fernsehfilmpreis des Fernsehfilmfestivals Baden-Baden 2015). Sein Stilmittel ist das Dokudrama. Auch in „Lehman“ (nach einem Drehbuch  von Dirk Eisfeld) kommen immer wieder Menschen zu Wort, die an den Ereignissen beteiligt waren, sei es als Täter oder als Opfer. Die meisten blicken dabei direkt in die Kamera, was etwas irritiert, weil sie doch mit Ley sprechen. Der Anwalt der Geschädigten sitzt in einer Küche, der damalige SPD-Finanzminister Peer Steinbrück fläzt auf einem Sofa, reckt seinen Bauch in die Kamera und spricht in Rätseln: „Wenn du die Affen warnen willst, schlachte ein Huhn.“ Die Aussagen der Betrogenen sind überwiegend eher oberflächlicher Natur, und da es recht viele sind, wirken ihre Auftritte wie ein beliebiges Kommen und Gehen. In Erinnerung bleibt allein eine Frau, deren Erlebnisse auch im Film aufgegriffen werden, weil einer der Telefonberater eine persönliche Beziehung zu ihr begonnen hat. Auf diese Weise hinterlassen die Aussagen der verschiedenen Bankmitarbeiter einen ungleich prägnanteren Eindruck. In den Spielszenen ist das etwas anders, weil es eine ausführliche Opferebene gibt: Oliver Stokowski spielt den Besitzer und Koch eines florierenden Lokals, der gemeinsam mit seiner Frau geerbt hat. Dieses Geld investieren sie aufgrund von Breuers gutem Zureden in Lehman-Zertifikate. Als nach einem Kurzschluss die Küchenelektrik ausgetauscht werden muss, brauchen sie das Geld, aber es hat sich in Luft aufgelöst. Nele Fromm hat womöglich noch größere Schuld auf sich geladen und drei Frauen in einem Altenheim um insgesamt über 100.000 Euro gebracht.

Die szenische Ebene ist in der Regel die große Stärke von Ley. Andere Autoren konzentrieren sich oft auf die dokumentarischen Teile und nutzen Spielszenen nur zur Ergänzung, bei ihm stehen sie stets im Mittelpunkt. Seine Arbeit zeichnet sich durch eine kongeniale Verknüpfung der beiden Ebenen aus; das macht Leys Filme so besonders. Diesmal jedoch haben die inszenierten Passagen deutliche Schwächen, was an Auswahl & Führung der Nebendarsteller liegt sowie an den eindimensionalen Figuren. Król, in dem thematisch ähnlichen ZDF-Film „Der Bankraub“ (2016) noch als Betroffener zu sehen, hat zwar einen eindrucksvollen Auftritt in einer Karaoke-Bar, versieht seinen Kundenberater aber ansonsten mit stiller Intensität; am Ende rät Breuer den Wirtsleuten sogar indirekt davon ab, die Lehman-Zertifikate zu zeichnen. Neben dem Kundenberater gibt es nur eine Rolle, die dank ihres Darstellers ein ähnliches Charisma entfaltet, und das ist der Deutschlandchef von Lehman Brothers, dem Richard van Weyden auch physiognomisch ähnelt. Alle anderen sind darstellerisch nicht überzeugend und als Figur Abziehbilder, darunter Max Schimmelpfennig als Kollege von Nele Fromm, ein Überflieger, der Eskimos Kühlschränken verkaufen könnte (einer der wenigen Klischeesätze, die nicht fallen), oder Hannah Schröder als Breuers Chefin, die ohne Rücksicht auf Verluste Umsatz machen will und dauernd eine überlegene Miene zur Schau trägt. Fast schon grotesk ist Max Ehrich als Leiter des Telefon-Marketing, aber vielleicht hat das ja auch Methode: Der Mann spielt sich auf wie einer der „Masters of the Universe“ aus den „Wall Street“-Filmen von Oliver Stone oder Martin Scorsese, hat aber bloß das Format eines kleinen Würstchens, weshalb seine Sprüche lächerlich klingen. Und Susanne Schäfer soll als Frau des Kochs mit ihrem Frankfurter Dialekt vermutlich etwas Lokalkolorit in den Film bringen, aber die entsprechenden Momente wirken wie Ausschnitte aus einer HR-Familienserie.

Lehman. Gier frisst HerzFoto: HR / AVE / Dominik Berg
Ihr Geld hat sich in Luft aufgelöst: die Büttners (Oliver Stokowski, Susanne Schäfer)

Einige dieser Szenen sind flott geschnitten; dramaturgisch aber wirkt das unmotiviert, und den Inhalt lässt die rasche Schnittfolge erst recht betulich erscheinen. Sinniger sind dagegen die Zwischenspiele mit ihren Stadtimpressionen, die mal mehr, mal weniger als Kommentar zur Handlung interpretiert werden können. Schon der Vorspann bietet eine regelrechte Kaskade an Eindrücken, und daran knüpfen die Intermezzi stilistisch an. Mal spielen Jungs unter einer Brücke Basketball, im Hintergrund ist ein Wandgemälde von Karl Marx zu sehen; andere Bilder zeigen Obdachlose oder Straßenkehrer, und als Breuers Chefin ahnt, dass der Lehman-Crash unausweichlich ist, folgen als plakatives Ausrufezeichen Aufnahmen aus einer Schlachterei. Seltsam auch, dass Ley die Frau gleich dreimal im Squashcourt zeigt; vielleicht, um ein wenig Dynamik in den größtenteils aus Dialogen bestehenden Film zu bringen. Beim dritten Besuch zertrümmert sie ihren Schläger. Die Männer von Lehman führen eins ihrer Krisengespräche auf einem Schießstand. Das mag authentisch sein, wirkt aber ebenfalls wie der Versuch, die Handlung an einen anderen Schauplatz zu verlegen. Ein weiteres Gespräch dieser Art findet in einem der Türme im Frankfurter Bankenviertel statt. Hinter den großen Fenstern ist der Abendhimmel zu sehen. Das Bild passt viel besser zur Götterdämmerung, die sich in diesem Moment bereits vollzieht, ändert aber auch nichts daran, dass „Lehman. Gier frisst Herz“ gleich mehreren Vergleichen nicht standhält: weder dem mit Leys eigenen Arbeiten noch mit Werken, die ebenfalls davon erzählt haben, wie die Träume kleiner Leute an großen Klippen zerschellen, allen voran Dieter Wedels Klassiker „Einmal im Leben – Geschichte eines Eigenheims“ (1972). Leys Film an den erwähnten Hollywood-Produktionen zu messen, wäre nicht fair, aber selbst die ZDF-Serie „Bad Banks“ ist nicht in Sichtweite.

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Fernsehfilm

BR, HR, NDR, rbb

Mit Joachim Król, Mala Emde, Oliver Stokowski, Richard van Weyden, Max Schimmelpfennig, Hannah Schröder, Max Ehrich, Susanne Schäfer, Isaak Dentler

Kamera: Dominik Berg

Szenenbild: Fritz Günthner

Kostüm: Teresa Grosser

Schnitt: David Kuruc

Musik: Steffen Britzke und Ralf Hildenbeutel

Soundtrack: Barret Strong („Money – That’s What I Want“)

Redaktion: Esther Schapira, Sabine Elke, Julia Klüssendorf (HR), Marc Brasse, Eric Friedler (NDR), Susanne Poelchau (BR), Rolf Bergmann (RBB)

Produktionsfirma: AVE

Produktion: Walid Nakschbandi

Drehbuch: Dirk Eisfeld

Regie: Raymond Ley

EA: 23.09.2018 20:15 Uhr | ARD

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