Die Blumenbergs geben sich locker und wirken nach außen glücklich, doch ein Damoklesschwert schwebt über der Familie. Mutter Caren (Christina Hecke) hat eine Zisten-Niere. Ihr Mann Sebastian (Benjamin Sadler) kommt als Organspender nicht in Frage. Sie sind langsam zermürbt von der täglichen Dialyse und dem Warten auf ein geeignetes Spenderorgan. Ihrer Kinder zuliebe bewahren sie den Schein der Normalität, so gut es eben geht. Die Kempes haben das gleiche Problem. Vater Jan (André Szymanski) ist nierenkrank – und auch seine Frau Birthe (Annette Frier) kann ihm nicht helfen. Möglich aber wäre eine Crossover-Spende zwischen den beiden Ehepaaren. Da man sich bei einer solchen Lebendspende in einer gesetzlichen Grauzone befindet, entscheidet eine Ethikkommission über den Vorgang. Voraussetzung ist: Es muss eine emotionale Verbindung, möglichst eine tiefe Freundschaft, zwischen Spender und Empfänger bestehen. Aber wie stellt man eine solche Verbundenheit in der Kürze der Zeit her? Oder wie täuscht man sie zumindest glaubhaft vor? Was grundsätzlich schon schwierig ist, erweist sich im konkreten Falle der Blumenbergs und der Kempes als fast unlösbares Unterfangen. Denn das eine Paar ist aufgeschlossen, weltoffen und modern, das andere dagegen wirkt ziemlich bieder, unsicher und verkrampft.
Foto: ZDF / Guido Engels
„Mehr als 10.000 Menschen warten in Deutschland auf eine Organspende“, verrät ein Insert im Abspann. „Leben über Kreuz“ ist dennoch kein klassischer Themenfilm. Geschickt verpacken Annika Tepelmann (Buch) und Dagmar Seume (Buch & Regie) die juristische Ausgangslage für Lebendspenden, wie sie für Deutschland gilt, in ein packendes Drama, in dem sie den tragischen Grundkonflikt erwartungsgemäß emotional behandeln, ihn aber ebenso häufig auch auf komische Weise brechen. Es geht in diesem ZDF-Fernsehfilm eben nicht nur um Leben, Tod und die Möglichkeit, das Ehe- und Familienglück um ein paar Jahre zu verlängern, es geht auch um die unterschiedlichen Lebenskonzepte und Mentalitäten, die in dieser Geschichte existentiell und deshalb mit besonderer Wucht aufeinanderprallen. Die einen mögen hipp, die anderen mögen spießig sein. Gemeinsam aber ist beiden Paaren die Verzweiflung, die Liebe zu ihren Kindern und der natürliche Wunsch zu (über)leben. Dass diese Gemeinsamkeiten, diese universalen Werte, am Ende größer sein werden als die Kräfte des Vorurteils und des sozialen Gefälles, das darf an dieser Stelle verraten werden, weil die Tonlage des Films – den Depressionen des männlichen Nieren-Patienten und den cholerischen Anfällen des gesunden Mannes zum Trotz – dies von vornherein vermuten lässt.
Dramaturgisch ist das erwartbar, das Muster bekannt: Damit die Familien zusammenkommen, muss das Problem durch die Einführung eines anderen Problems gelöst werden. Nach Geläster über die anderen hinter vorgehaltener Hand („Was ist denn das für ein Kerl!?“) wird wenig später köstlich Tabula Rasa gemacht. Nach einem Segelausflug droht das Zerwürfnis. Wer in Sebastians Boot kotzt, wird schnell zur „blöden Kuh“ und nachdem es nicht gut aussieht für die Organspende über Kreuz brennt beim weltmännischen Everybody’s Darling die nächste Sicherung durch: „Ihr mit euren blöden Funktionsjacken!“ Da dauert es dann nicht mehr lange – und die Männer prügeln sich. Aus Vorbehalten sind handfeste Aggressionen geworden, und die Konventionen zivilisierter Kommunikation werden über Bord geworfen. Das wäre saukomisch, wenn es nicht zugleich so ungemein tragisch wäre. Laune macht es dennoch, weil es Benjamin Sadler, Annette Frier, Christina Hecke und André Szymanski gelingt, das sensible Verhältnis zwischen Tragik und Komik immer wieder neu auszuloten. Der Beziehungszoff macht im Übrigen auch vor dem eigenen Partner nicht Halt. Die Spannungen sind enorm, der innere Druck immens. Beim Geben und Nehmen herrscht mitunter emotionaler Ausnahmezustand. So sucht der charmante Macher platonische Zuflucht in den Armen einer Prostituierten, und die Gesunden, die Lebensretter, tauschen sogar untereinander Küsse aus.
Foto: ZDF / Guido Engels
Auch der Zuschauer ist mitunter hin und hergerissen, was die Sympathieverteilung betrifft. Lädt das von Sadler und Hecke verkörperte Paar anfangs zur Identifikation ein, so bleibt nur die Frau freundlich, während der Ehemann zum arroganten Schnösel mutiert, dem sein geliebtes Segelboot über alles geht. Annette Frier spielt die Patente, eine Grundschullehrerin, etwas kleinkariert, nett, dann aber auch wieder nicht nett. Und ihr Mann, geschlagen mit einer lebensbedrohlichen Krankheit und einem kreuzlangweiligen Beruf, zeichnet sich durch Aussetzer und Übersprungshandlungen aus. „Der Typ ist doch irre“, beurteilt ihn sein gesundes männliches Gegenüber. Jans Lebenswille scheint zu versiegen. Je mehr man als Zuschauer dessen schwierige Lebenssituation versteht, umso mehr Sympathie entwickelt man für diesen eigensinnigen Charakter. Dass er es letztendlich ist, der den verfahrenen Beziehungskarren aus dem Dreck zieht (Sebastian: „Respekt!“), erweist sich als dramaturgisch folgerichtig: Nur er, der zwischenzeitliche Boykotteur des Organspende-Deals, kann das gestörte Gleichgewicht dieses ungleichen Quartetts einigermaßen wiederherstellen.
Die Geschichte ist gut strukturiert, die Figuren geben den Ton an, und die Handlung kommt weitgehend ohne störende Informationsdialoge aus. Das nötige Hintergrundwissen wird den Charakteren (und damit auch dem Zuschauer) kompakt in einer narrativ plausiblen Szene beim Arzt mit beiden Familien vermittelt. Dabei werden die juristischen Vorbehalte ebenso wie die kommunikativen Voraussetzungen angesprochen: Organhandel muss ausgeschlossen sein, es darf kein Geld fließen, keine Abhängigkeit, keine Nötigung. „Lernen Sie sich kennen, werden Sie Freunde“, rät der Arzt. Von diesem Ding der Unmöglichkeit erzählt „Leben über Kreuz“ in den verbleibenden Minuten. Dabei wird der Handlungsfluss immer wieder unterbrochen durch komprimierte Momentaufnahmen aus den vorweggenommenen Befragungen der Ethik-Kommission, die die Diskrepanz deutlich machen zwischen der ernüchternden Wirklichkeit und den beschönigenden Antworten. Die Flucht in die Lüge („sehr herzliche Leute“, „super“, „echte Männerfreundschaft“) scheint die einzige Lösung zu sein. In der finalen Befragungs-Montage hört sich das Happyend-gemäß dann schon anders an. Die statt auf Herz und Nieren, auf Psyche & Beziehung befragten Figuren sprechen nun aus innerer Überzeugung, mit deutlich persönlicher Haltung. „Natürlich hat man Angst, dass irgendetwas schiefgeht“, bringt es Jan, der Mann mit dem wiedergefundenen Lebenswillen, auf den Punkt, „aber wir haben es untereinander beschlossen, vor allem beschlossen, dieses Risiko einzugehen.“
Foto: ZDF / Guido Engels