Last Exit Schinkenstraße

Heinz Strunk, Hosemann, Hübner, Mädel, Grosch. Posse aus der Fremdschäm-Welt

Foto: Prime Video / Bonet & Montserrat
Foto Martina Kalweit

Sie sind so alt wie das Rohwurst-Forum. Ohne es zu ahnen geben zwei Musiker jenseits der 50 auf der Jubiläumsveranstaltung nordischer Wursthersteller ihre Abschiedsvorstellung. Soll es das gewesen sein? Nein: Nach dem Rausschmiss aus der Band ist vor dem Einchecken nach Malle. Im Mekka des Feiervolks will das vor schlechten Ideen sprühende Duo am nächsten Karriere-Kick feilen. „Last Exit Schinkenstraße“ (I&U TV Produktion, Odeon Fiction) begleitet die zwei Honks durch die Hölle von El Arenal, vorbei an illustren Gaststars und immer am Abgrund des schlechten Geschmacks entlang. Da und dort blitzt etwas Ironie, über die Gesamtstrecke überwiegt Buddy-Humor und aggressive Spruch-Beballerung.

Knapp 20 Jahre nach seinem Debütroman „Fleisch ist mein Gemüse“ kann man Heinz Strunk getrost als Tausendsassa in allen Genres bezeichnen. Was sein Drehbuch zu „Last Exit Schinkenstraße“ betrifft, hat sich – zumindest musikalisch – in zwei Jahrzehnten nicht viel getan. Die Zeit der Bläser ist passé, die Landkapelle setzt auf Frontfrau mit Soul in der Stimme. Alle haben das kapiert, außer Peter Voss (Heinz Strunk) und Torben Bruhn (Marc Hosemann. Also sagt es Manni den Herren nochmal ganz deutlich: Tschüssikowski heißt die Parole. In seiner Doppelrolle als Bandleader und volltrunkener Metzgermeister eröffnet Charly Hübner den Reigen an Gaststars, die „Last Exit Schinkenstraße“ um einige Hingucker bereichern. Die Authentizität versprechen in einer Welt, die das Authentische ad absurdum führt. Dabei bringt kein anderer so viel Fleisch in die Suppe wie Hübner. Wie zuletzt in „Legend of Wacken“ wirkt er herrlich normal. Manni sagt, was Sache ist. Damit ist er die Ausnahme im Gebrumm drumherum. Leider machen auch Peter Voss und Torben Bruhn dabei keine Ausnahme. Auch sie werfen sich vor allem die Sinnsprüche alternder Männer um die Ohren. Von handlungsrelevanten Dialogen kann nicht die Rede sein. Da muss nun durch, wer die Genese des El-Arenal-Krachers „Breit in hundert Sekunden“ verfolgen will.

Last Exit SchinkenstraßeFoto: Prime Video / Bonet & Montserrat
Manni (Charly Hübner) schmeißt Peter und Torben aus der Band. Das ist der Startschuss für „Last Exit Schinkenstraße“ und für die Ballermann-Karriere der Ex-Bläser.

Erste Blicke in eine andere Welt wirft Regisseur Jonas Grosch („Beste Freunde“, 2014), wenn er seine Anti-Helden vom speckigen Kunstledersofa im Proberaum runterholt und in das kristall-klimpernde Wohnzimmer von Torbens Familie beamt. Radiohörer fühlen sich in die Welt der NDR-Produktion „Wir sind die Freeses“ versetzt. So müssen die aussehen, die Freeses. Schmerzlich gut verkörpert Bettina Stucky Torbens Frau Ilona. Bei der heißt das Smartphone Sabbelknochen und zum Abschied ruft man sich ein fröhlich-verlogenes ceausescu ins Ohr. An der Küchenwand prangt ein Spruch aus der IKEA-Deko-Abteilung, im Hintergrund schwingen kleine feine Wahrheiten über dysfunktionale Familien von heute mit. Familien, in denen (erwachsene) Kinder über Mamis Wurstgulasch herfallen, Frauen nur noch als Mütter existieren, und Paare einander seit Ewigkeiten nicht mehr die Wahrheit sagen. Den „Last Exit“ aus dieser Art Hölle nimmt zu einem späteren Zeitpunkt eine andere Frau in dieser Geschichte. Es sind diese kleinen Verlinkungen, die man in „Last Exit Schinkenstraße“ finden kann, aber nicht bemerken muss. Genauso wie ein paar hübsch komponierte Irritationen in der Bildsprache. Bei der Aufnahme des Fliegers im Sinkflug auf Palma schneiden konditionierte Zuschauer im Kopf automatisch auf die beiden Malle-Eroberer beim Ausschecken, da wandern die beiden schon sichtbar dehydriert am unteren Bildrand und am Maschendrahtzaun der Landebahn durchs Bild. Sie sind längst auf dem Boden der Tatsachen gelandet.

Der Schauplatz Mallorca besteht aus einer maroden Absteige, diversen Balenario-Strandbars und dem Musikclub „Royal Palace“. Dort muss auf die Bühne, wer im nächsten Schritt den Ballermann erobern will. Nach einer ersten verrissenen Show schafft das auch Peter Voss. Während Torben offiziell den Manager mimt, wird Peter von Clubbesitzer Tarek (José Barros) ins richtige Kostüm gesteckt und unter dem Künstlernamen Pierre Panade vermarktet. Auf dem Weg zum Erfolg merken weder Peter noch Torben, wie sie von den Business-Profis verarscht werden. In weiteren Gastauftritten geben sich Olli Schulz als Club-Hausmeister, H.P. Baxxter als Musikproduzent und Mickie Krause als Mickie Krause die Ehre. Vor allem Letzterer spielt seine Rolle überaus sympathisch. Natürlich wird auch Torbens Familie noch am Strand auftauchen, aber das bleibt Nebensache.

Last Exit SchinkenstraßeFoto: Prime Video / Bonet & Montserrat
Die beiden Schlager-Fuzzis erliegen dem Ballermann. Doch dann das große Erwachen. Hat da etwa jemand unsere Songs geklaut? Heinz Strunk und Marc Hosemann

Handlungsrelevant sind da schon eher die Parts von Clubbesitzer Tarek und dessen rechter Hand Nina (Lo Rivera) sowie, in einem Parallelstrang, von Katharina Wackernagel und Bjarne Mädel als einem deutschen Paar, dessen Traum von der Liebe auf Mallorca versandet. Wackernagels Lena, mit Pagenkopf und blendend weißen Zähnen äußerlich auf Perfektion getrimmt, outet sich mit zwei, drei Sätzen als ernstzunehmender Charakter. „Ich will endlich wieder schlafen, ohne mich schlafend zu stellen“ erklärt sie ihrem verdutzten Mann. Auch solche Sätze kann Autor Strunk. Man hätte sich ein paar mehr davon gewünscht. Hier aber ist damit alles gesagt und alle Ernsthaftigkeit auch schon wieder vorbei. Mit einem von Klavierklängen untermalten Dialog dreht die Inszenierung auf Dramamodus à la englische Südküste und auf Übertreibung als Grundprinzip der Erzählung. Lena bringt etwas Licht in Torbens frustrierende Managerlaufbahn, während Peter als Pierre Panade zusehends unter seiner Fellkapuze verschwindet und damit den quer über die Insel verteilten Doubles Tür und Tor öffnet. Clubbesitzer Tarek wird an diesem Dreh nicht lange gut verdienen, denn die  Gewinnerin in diesem Spiel ist seine Assistentin. Lo Rivera geht wie einst Pam Grier in Tarantinos „Jackie Brown“ durch den Sumpf. Am Ende wird sie die Kuh auch melken.

Zu viel verraten? Um eine geschickt gebaute Geschichte geht es in „Last Exit Schinkenstraße“ohnehin nicht. Um einen Kommentar auf das Musikbusiness wie in Lars Jessens 80er Mockumentary „Fraktus“ (2012, ebenfalls mit Strunk/Schamoni) auch nicht. Drehbuchautor Strunk und Regisseur Grosch widmen sich dem Wahnsinn von Malle ohne da noch etwas entlarven zu wollen. Sie reiten einfach die Welle. Das ist manchmal herrlich skurril, oft albern und bei einigen, sich ständig wiederholenden Standards wie dem Alkoholiker-Fragebogen aus der Apothekerzeitung, den Sinnsprüchen bis zur Schmerzgrenze und dem infantilen Nein-doch-Ping-Pong zwischen Peter und Torben auf die Dauer echt anstrengend. Die eigentliche Überraschung: Jeder Song könnte der nächste Ballermann-Hit werden.

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Mit Heinz Strunk, Marc Hosemann, Bettina Stucky, Charly Hübner, Lo Rivera, José Barros, Rocko Schamoni, Björn Meyer, Katharina Wackernagel, Olli Schulz, Bjarne Mädel, H.P. Baxxter, Mickie Krause

Kamera: Fabian Spuck

Szenenbild: Dorle Bahlburg

Schnitt: Christoph Lumpe, Diana Matous Songs: Heinz Strunk

Produktionsfirma: i&u TV Produktion, Odeon Fiction

Produktion: Nina Etspüler, Pierre Übelhack, Tobias Schober

Drehbuch: Heinz Strunk

Regie: Jonas Grosch

EA: 06.10.2023 10:00 Uhr | Amazon Prime Video

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