Das hat es in der langen Geschichte des deutschen Fernsehfilms garantiert noch nicht gegeben: Wegen der schweren Erkrankung von Hannelore Elsner mussten die Dreharbeiten zu „Lang lebe die Königin“ abgebrochen werden. Als sie dann im April 2019 starb, stand der Bayerische Rundfunk vor der Frage, wie es mit dem unvollendeten Film weitergehen sollte. Autorin Gerlinde Wolf hatte die ungewöhnliche Idee, Elsners Rolle in den noch fehlenden fünf Szenen von fünf verschiedenen Schauspielerinnen verkörpern zu lassen. Die Entscheidung war gewissermaßen eine Flucht nach vorn: Mit einem Double hätte der Nachdreh nicht funktioniert. Wäre nur eine Kollegin eingesprungen, hätte das vermutlich seltsam gewirkt. Filme werden ja nicht chronologisch gedreht, es wäre ein ständiges Hin & Her geworden. Das ist es nun natürlich auch, aber eben demonstrativ. Trotzdem ist die BR-Idee ein Experiment, auf das sich die Zuschauer einlassen müssen. Wer darauf nicht vorbereitet ist, wird sich irritiert die Frage stellen, wieso die Figur plötzlich von Gisela Schneeberger und dann auch noch von Judy Winter, Iris Berben, Hannelore Hoger und Eva Mattes verkörpert wird.
Foto: Degeto / ORF / Marco Nagel
Der Film handelt von einer jener Mutter/Tochter-Geschichten, wie sie schon oft erzählt worden sind: Nina (Marlene Morreis) hat immer um die Anerkennung ihrer Mutter Rose kämpfen müssen; ihr älterer Bruder Leon (Ole Puppe) war stets Mamas Liebling. Als Rose schwer erkrankt, stellt sich Nina endlich dem Konflikt. Allerdings nimmt die Handlung allerlei Umwege, damit Wolf den Dramenstoff als Tragikomödie erzählen kann. Unter anderem hat sie aus der Tochter eine Figur gemacht, die im Grunde ähnlich unvollendet ist wie der Film: Nina ist ausgebildete Schauspielerin, verdient ihren Lebensunterhalt aber als Moderatorin eines Münchener Teleshoppingsenders, was Rose gern mit einiger Bosheit kommentiert („Fernsehquatsch“); Leon hat dagegen, wenn auch eher schlecht als recht, seinen Traum als Musiker verwirklicht. Marlene Morreis verkörpert diese Frau trotzdem nicht als Gescheiterte, selbst wenn sie in der Beziehung mit ihrem Chef (Philipp Moog) mutmaßlich nicht glücklich ist und die Utensilien, die sie anpreist, eher skurril als wirklich nützlich sind; die entsprechenden Szenen gehören zu den heiteren Höhepunkten des Films. Dass in Nina eine Rebellin schlummert, verdeutlicht nicht zuletzt ihr Auto, ein Ford Mustang Convertible, der jedoch dauernd den Geist aufgibt. Das passt zwar ins Bild – der Wagen macht ähnliche Zicken wie seine Besitzerin –, ist aber ein Trick der Autorin, um Mike (Matthias Kelle) einzuführen, einen Pannenhelfer, der so lange an Nina rumschraubt, bis sie seinem Werben endlich nachgibt. Originell ist auch die Idee, die Autofahrten mit Klassikern der Popmusik zu unterlegen, deren amerikanische Interpreten das Liedgut aber auf Deutsch zum Besten geben; ein deutlicher Kontrast zur schön sparsamen sanften Filmmusik (Dürbeck & Dohmen).
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Soundtrack: Nat King Cole („L.O.V.E.”), Frank Alamo („Heureux tous les deux”), The Supremes („Moonlight And Kisses”, „Come See About Me”, „Where Did Our Love Go”), Marvin Gaye (“Sympatica”), Brian Ferry („Miss Otis Regrets”), The Temptations („My Girl”, „Blue Bird”), Marie Laforêt („Marie douceur, Marie colère”), Cousteau („Last Good Day Of The Year”)
Herzstück der Handlung sind jedoch die von einer Art Hassliebe geprägten Auseinandersetzungen mit Rose. Auch auf dieser Ebene sorgt ein kurioser Einfall dafür, dass der von Grimme-Preisträger Richard Huber („Dr. Psycho“) souverän in der Schwebe gehaltene Film trotz der lebensbedrohlichen Erkrankung zumindest eine komische Note behält: Rose hat einen Nierentumor. Nina macht umgehend klar, dass sie als Spenderin nicht infrage komme, weil sie ein Kind erwarte. Da die Geschichte mehrfach sieben Monate vor und zurück springt, kann Wolf die Schwangerschaft als Scharade entlarven, ohne ein Wort darüber zu verlieren. Ähnlich lakonisch ist der Witz einer eigentlich nicht lustigen Szene, als Nina ihre Mutter im Krankenhaus besucht und ihr Blutdruck in den Keller sackt. Kurz drauf kommt sie wieder zu sich; die Ärztin (Therese Hämer) teilt ihr trocken mit, sie habe die „Schwangerschaft“ (ein künstlicher Bauch) in einer Tasche deponiert. Diese Form des Humors zieht sich durch den ganzen Film, der immer dann am besten ist, wenn das Offensichtliche nicht auch noch ausgesprochen wird. Deshalb hätte er vermutlich auch ohne die Gebrauchsanweisung funktioniert, mit der Morreis zu Beginn aus dem Off das Etikett „Emanzipationsgeschichte“ setzt: Wir werden als Prinzen & Prinzessinnen geboren und von unseren Müttern zu Fröschen gemacht. Den Rest unseres Lebens verbringen wir damit, den Urzustand wiederherzustellen.
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Hannelore Elsner hat solche Übermütter, an denen sich die Töchter ein Leben lang abarbeiten, in den letzten Jahren oft gespielt: in „Alles inklusive“ (2014), in „Ferien vom Leben“ (2017) und in „Die Diva, Thailand und wir!“ (2017). Jedes Mal die gleiche Konstellation und trotzdem jedes Mal aufs Neue sehenswert; auch und gerade wegen ihr. In „Lang lebe die Königin“ sind die gemeinsamen Szenen mit Morreis ebenfalls großes Schauspiel. Die später gedrehten Ergänzungen offenbaren, dass tatsächlich niemand anders als Elsner diese „Alltagssadistin“ spielen konnte, die mit Vergnügen Salz in die Wunden ihrer Tochter streut; zumindest nicht auf ihre ganz spezielle Weise, mit dieser stets etwas verwirrenden Mischung aus Attraktivität, Charme und Giftigkeit. „Sie war schon ein seltenes Miststück“, stellt Roses Lebensgefährte Werner (Günther Maria Halmer), gewissermaßen das Korrektiv in ihrem Leben, gegen Ende voller Respekt fest. Natürlich haben die Kolleginnen solche Rollen ebenfalls drauf, wenn auch nicht alle auf diesem Niveau; Berben kommt Elsners Interpretation noch am nächsten. Ihren Darbietungen fehlt jedoch ein Element, dessen Erwähnung fast ein bisschen makaber ist: Bei den Dreharbeiten war Elsner bereits von der Krankheit gezeichnet, was nicht nur perfekt zur Rolle passt; die Mischung aus sichtbarer Fragilität und ungebrochener darstellerischer Intensität macht einen besonderen Reiz des Films aus. Abgesehen davon ist „Lang lebe die Königin“ – schon der Titel ist eine Hommage an die Hauptdarstellerin – eine große Würdigung dieser letzten deutschen Diva; ihre Schlussszene wäre auch ohne ihren Tod ein überaus berührender Moment gewesen. (Text-Stand: 1.4.2020)