Lang lebe die Königin

Hannelore Elsner, Morreis, Halmer, Wolf, Huber. "Sie war ein seltenes Miststück"

Foto: Degeto / ORF / Bernd Schuller
Foto Tilmann P. Gangloff

Dieses Experiment ist wohl einmalig und wird bei Zuschauern, die nicht darauf vorbereitet sind, für Verwirrung sorgen: Nach dem Tod von Hannelore Elsner hat sich der BR entschieden, die fehlenden Szenen des Films „Lang lebe die Königin“ (Neue Schönhauser Filmproduktion) mit fünf verschiedenen Schauspielerinnen zu drehen, die der verstorbenen Kollegin auf diese Weise ihre Referenz erweisen. Die Tragikomödie ist ein gerade von den beiden Hauptdarstellerinnen Elsner und Marlene Morreis herausragend gut gespieltes Emanzipationsdrama mit komischen Zügen: Nina hat ihr Leben lang vergeblich um die Anerkennung ihrer Mutter Rose gekämpft. Eine Versöhnung scheint selbst dann nicht möglich, als Rose schwer erkrankt. Verblüffenderweise gelingt es Buch (Gerlinde Wolf) und Regie (Richard Huber) immer wieder, dem schweren Stoff heitere Seiten abzutrotzen.

Das hat es in der langen Geschichte des deutschen Fernsehfilms garantiert noch nicht gegeben: Wegen der schweren Erkrankung von Hannelore Elsner mussten die Dreharbeiten zu „Lang lebe die Königin“ abgebrochen werden. Als sie dann im April 2019 starb, stand der Bayerische Rundfunk vor der Frage, wie es mit dem unvollendeten Film weitergehen sollte. Autorin Gerlinde Wolf hatte die ungewöhnliche Idee, Elsners Rolle in den noch fehlenden fünf Szenen von fünf verschiedenen Schauspielerinnen verkörpern zu lassen. Die Entscheidung war gewissermaßen eine Flucht nach vorn: Mit einem Double hätte der Nachdreh nicht funktioniert. Wäre nur eine Kollegin eingesprungen, hätte das vermutlich seltsam gewirkt. Filme werden ja nicht chronologisch gedreht, es wäre ein ständiges Hin & Her geworden. Das ist es nun natürlich auch, aber eben demonstrativ. Trotzdem ist die BR-Idee ein Experiment, auf das sich die Zuschauer einlassen müssen. Wer darauf nicht vorbereitet ist, wird sich irritiert die Frage stellen, wieso die Figur plötzlich von Gisela Schneeberger und dann auch noch von Judy Winter, Iris Berben, Hannelore Hoger und Eva Mattes verkörpert wird.

Lang lebe die KöniginFoto: Degeto / ORF / Marco Nagel
Rose (Hannelore Elsner) und ihr Lebensgefährte Werner (Günther Maria Halmer). Elsner hatte die Dreharbeiten wegen ihrer schweren Erkrankung im April 2019 abbrechen müssen. Fünf Szenen konnte sie nicht mehr drehen. Fünf hochkarätige Schauspielerinnen haben sich bereitgefunden, die Rolle von Hannelore Elsner in diesen fehlenden Szenen zu übernehmen. Eine Hommage von Iris Berben, Eva Mattes, Gisela Schneeberger, Judy Winter und Hannelore Holger an die große Kollegin.

Der Film handelt von einer jener Mutter/Tochter-Geschichten, wie sie schon oft erzählt worden sind: Nina (Marlene Morreis) hat immer um die Anerkennung ihrer Mutter Rose kämpfen müssen; ihr älterer Bruder Leon (Ole Puppe) war stets Mamas Liebling. Als Rose schwer erkrankt, stellt sich Nina endlich dem Konflikt. Allerdings nimmt die Handlung allerlei Umwege, damit Wolf den Dramenstoff als Tragikomödie erzählen kann. Unter anderem hat sie aus der Tochter eine Figur gemacht, die im Grunde ähnlich unvollendet ist wie der Film: Nina ist ausgebildete Schauspielerin, verdient ihren Lebensunterhalt aber als Moderatorin eines Münchener Teleshoppingsenders, was Rose gern mit einiger Bosheit kommentiert („Fernsehquatsch“); Leon hat dagegen, wenn auch eher schlecht als recht, seinen Traum als Musiker verwirklicht. Marlene Morreis verkörpert diese Frau trotzdem nicht als Gescheiterte, selbst wenn sie in der Beziehung mit ihrem Chef (Philipp Moog) mutmaßlich nicht glücklich ist und die Utensilien, die sie anpreist, eher skurril als wirklich nützlich sind; die entsprechenden Szenen gehören zu den heiteren Höhepunkten des Films. Dass in Nina eine Rebellin schlummert, verdeutlicht nicht zuletzt ihr Auto, ein Ford Mustang Convertible, der jedoch dauernd den Geist aufgibt. Das passt zwar ins Bild – der Wagen macht ähnliche Zicken wie seine Besitzerin –, ist aber ein Trick der Autorin, um Mike (Matthias Kelle) einzuführen, einen Pannenhelfer, der so lange an Nina rumschraubt, bis sie seinem Werben endlich nachgibt. Originell ist auch die Idee, die Autofahrten mit Klassikern der Popmusik zu unterlegen, deren amerikanische Interpreten das Liedgut aber auf Deutsch zum Besten geben; ein deutlicher Kontrast zur schön sparsamen sanften Filmmusik (Dürbeck & Dohmen).

Lang lebe die KöniginFoto: Degeto / ORF
Iris Berben kommt Hannelore Elsners Interpretation am nächsten. Marlene Morreis & Matthias Kelle in „Es lebe die Königin“

Soundtrack: Nat King Cole („L.O.V.E.”), Frank Alamo („Heureux tous les deux”), The Supremes („Moonlight And Kisses”, „Come See About Me”, „Where Did Our Love Go”), Marvin Gaye (“Sympatica”), Brian Ferry („Miss Otis Regrets”), The Temptations („My Girl”, „Blue Bird”), Marie Laforêt („Marie douceur, Marie colère”), Cousteau („Last Good Day Of The Year”)

Herzstück der Handlung sind jedoch die von einer Art Hassliebe geprägten Auseinandersetzungen mit Rose. Auch auf dieser Ebene sorgt ein kurioser Einfall dafür, dass der von Grimme-Preisträger Richard Huber („Dr. Psycho“) souverän in der Schwebe gehaltene Film trotz der lebensbedrohlichen Erkrankung zumindest eine komische Note behält: Rose hat einen Nierentumor. Nina macht umgehend klar, dass sie als Spenderin nicht infrage komme, weil sie ein Kind erwarte. Da die Geschichte mehrfach sieben Monate vor und zurück springt, kann Wolf die Schwangerschaft als Scharade entlarven, ohne ein Wort darüber zu verlieren. Ähnlich lakonisch ist der Witz einer eigentlich nicht lustigen Szene, als Nina ihre Mutter im Krankenhaus besucht und ihr Blutdruck in den Keller sackt. Kurz drauf kommt sie wieder zu sich; die Ärztin (Therese Hämer) teilt ihr trocken mit, sie habe die „Schwangerschaft“ (ein künstlicher Bauch) in einer Tasche deponiert. Diese Form des Humors zieht sich durch den ganzen Film, der immer dann am besten ist, wenn das Offensichtliche nicht auch noch ausgesprochen wird. Deshalb hätte er vermutlich auch ohne die Gebrauchsanweisung funktioniert, mit der Morreis zu Beginn aus dem Off das Etikett „Emanzipationsgeschichte“ setzt: Wir werden als Prinzen & Prinzessinnen geboren und von unseren Müttern zu Fröschen gemacht. Den Rest unseres Lebens verbringen wir damit, den Urzustand wiederherzustellen.

Lang lebe die KöniginFoto: Degeto / ORF / Luis Zeno Kuhn
V-Effekt: Gisela Schneeberger übernimmt Hannelore Elsners Rolle der Rose. Günther Maria Halmer

Hannelore Elsner hat solche Übermütter, an denen sich die Töchter ein Leben lang abarbeiten, in den letzten Jahren oft gespielt: in „Alles inklusive“  (2014), in „Ferien vom Leben“ (2017) und in „Die Diva, Thailand und wir!“ (2017). Jedes Mal die gleiche Konstellation und trotzdem jedes Mal aufs Neue sehenswert; auch und gerade wegen ihr. In „Lang lebe die Königin“ sind die gemeinsamen Szenen mit Morreis ebenfalls großes Schauspiel. Die später gedrehten Ergänzungen offenbaren, dass tatsächlich niemand anders als Elsner diese „Alltagssadistin“ spielen konnte, die mit Vergnügen Salz in die Wunden ihrer Tochter streut; zumindest nicht auf ihre ganz spezielle Weise, mit dieser stets etwas verwirrenden Mischung aus Attraktivität, Charme und Giftigkeit. „Sie war schon ein seltenes Miststück“, stellt Roses Lebensgefährte Werner (Günther Maria Halmer), gewissermaßen das Korrektiv in ihrem Leben, gegen Ende voller Respekt fest. Natürlich haben die Kolleginnen solche Rollen ebenfalls drauf, wenn auch nicht alle auf diesem Niveau; Berben kommt Elsners Interpretation noch am nächsten. Ihren Darbietungen fehlt jedoch ein Element, dessen Erwähnung fast ein bisschen makaber ist: Bei den Dreharbeiten war Elsner bereits von der Krankheit gezeichnet, was nicht nur perfekt zur Rolle passt; die Mischung aus sichtbarer Fragilität und ungebrochener darstellerischer Intensität macht einen besonderen Reiz des Films aus. Abgesehen davon ist „Lang lebe die Königin“ – schon der Titel ist eine Hommage an die Hauptdarstellerin – eine große Würdigung dieser letzten deutschen Diva; ihre Schlussszene wäre auch ohne ihren Tod ein überaus berührender Moment gewesen. (Text-Stand: 1.4.2020)

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Fernsehfilm

ARD Degeto, BR, ORF

Mit Hannelore Elsner, Marlene Morreis, Günther Maria Halmer, Ole Puppe, Matthias Kelle, Philipp Moog, Marcus Mittermeier, Therese Hämer. Gastrollen: Gisela Schneeberger, Judy Winter, Iris Berben, Hannelore Hoger, Eva Mattes

Kamera: Robert Berghoff

Szenenbild: Gabi Pohl

Kostüm: Alexander Beck

Schnitt: Knut Hake

Musik: Dürbeck & Dohmen

Redaktion: Claudia Simionescu, Christine Strobl, Klaus Lintschinger

Produktionsfirma: Neue Schönhauser Filmproduktion

Produktion: Boris Schönfelder

Drehbuch: Gerlinde Wolf

Regie: Richard Huber

Quote: 6,01 Mio. Zuschauer (18,1% MA)

EA: 29.04.2020 20:15 Uhr | ARD

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