Landauer – Der Präsident

Bierbichler, Hain, Knaup, Steinbichler. Vergessener Name, vergessene Geschichte

Foto: BR / Willi Weber
Foto Volker Bergmeister

„Landauer – Der Präsident“ ist mehr als „nur“ ein Bio-Pic.Hans Steinbichlers kraftvoll & mit viel Liebe zum Detail in Szene gesetzte Film ist ein Nachkriegs-„Dokument“, das uns erahnen lässt, wie sich Juden, die nach 1945 nach Deutschland zurückgekehrt sind, fühlen mussten. „Landauer“ schlägt gleichzeitig unterhaltsam ein vergessenes Kapitel deutscher Fußballgeschichte auf. Der Mann mit den jüdischen Wurzeln erfand quasi vor und nach dem Krieg den FC Bayern München. Josef Bierbichler macht die BR/ORF-Koproduktion endgültig zum Ereignis. Einzige kleine Schwäche: Bei der Musik wäre weniger mehr gewesen.

Kaum einer kannte Kurt Landauer beim FC Bayern. Den Ultra-Fans der „Schickeria“ gebührt die Anerkennung, ihn aus der Vergessenheit geholt zu haben. Sie riefen schon vor Jahren ein Gedächtnis-Turnier für den ehemaligen Präsidenten des Vereins ins Leben und starteten weitere Aktionen. Erst 2013 wurde Landauer dann zum Ehrenpräsident des FC Bayern ernannt. Die Idee zum Film stammt nicht von der „Schickeria“, aber Regisseur Hans Steinbichler würdigt ihr Engagement, indem er am Ende seines Films eine Chorerographie der Bayern-Südkurve zu Kurt Landauer vor der Bundesliga-Partie der Münchner gegen Eintracht Frankfurt zeigt. Die Idee zu „Landauer“ stammt von Ica Souvignier, der leider viel zu früh verstorbenen Frau des Zeitsprung-Geschäftsführers Michael Souvignier. Und der hat mit seiner Firma gemeinsam mit BR, ARD Degeto, WDR und Alpha 1 das Projekt realisiert.

Landauer – Der PräsidentFoto: BR / Willi Weber
Die Prominenz macht große Augen beim Derby 1860 gegen FC Bayern. Oben: auf den Trümmern im Grünwalder Stadion

Eigentlich ist Kurt Landauer, Ex-Spieler & Präsident des FC Bayern, 1947 nur auf Durchreise in München. Er kommt aus dem Schweizer Exil, will in der amerikanischen Besatzungszone sein Visum abholen und in die USA auswandern. Als Jude war er von den Nazis als Vereinsboss abgesetzt, verfolgt, ins KZ gesperrt und ins Ausland getrieben worden. Schockiert stellt er fest, dass sowohl von seiner Familie, als auch von seinem einstmals geliebten Club fast nichts mehr übrig ist. Die einzige, auf die er trifft, ist die langjährige Haushälterin seiner Eltern. Da er auf sein Visum noch warten muss, engagiert der Ur-Bayer sich wieder für seinen geliebten Verein. Und das, obwohl Misstrauen auf beiden Seiten herrscht. Viele Mitglieder im Verein würden ihn aus eigenen Schuldgefühlen heraus oder nach wie vor tief sitzenden Ressentiments gegen den „Juden Landauer“ am liebsten rasch auf dem Dampfer nach Amerika sehen. Doch Landauer schlüpft wieder in die Chefrolle, bringt das Stadion in einen bespielbaren Zustand, schließt Frieden mit dem Stadtrivalen 1860 München und schafft es, wieder ein Team auf die Füße zu stellen – und er legt damit den Grundstein für einen der erfolgreichsten Fußballvereine der deutschen Nachkriegsgeschichte.

Autor Dirk Kämper und Regisseur Hans Steinbichler gelingt der Spagat zwischen Fiktion und Fakten. Einiges ist historisch absolut korrekt. Einiges auch nicht: So gab es das erste Nachkriegs-Derby zwischen Bayern und 1860 bereits 1945 – also vor Landauers Rückkehr. Und es war der erste Nachkriegspräsidenten Franz Xaver Heilmannseder, der für die erste Partie seines FCB gegen Wacker München am 24. Juni 1945 keine Genehmigung hatte und für 48 Stunden in Haft ging. Und auch in der Oberliga kickten beide Klubs bereits 1945/46. Aber man will auch eine Geschichte erzählen, die emotional berührt und exemplarisch für das Nachkriegs-Deutschland steht. Für die Frauen, die in der zerbombten Heimat ihre Kinder und Verwandten durchbringen müssen, steht die Figur der Buchhalterin Inge. Sie kümmert sich um den Sohn ihres Bruders. Landauer kümmert sich um die Frau und den Jungen, der ein begeisterter Fußballer ist. Bis sein Vater aus dem Krieg heimkehrt. Der Mann steht für Antisemitismus und nationalsozialistisches Denken, das in der Stunde Null nicht über Nacht aus Deutschland verschwunden war. Und auch die Gruppe derer, die mit den Nazis kollaborierten, um sich selbst und andere durchzubringen, findet ihren Platz im Film – in der Figur des damaligen Bayerntrainers Heidkamp. Gerade das Verhältnis und die Annäherung zwischen ihm und Landauer wird in intensiven, dichten Szenen eindrucksvoll beschrieben.

Landauer – Der PräsidentFoto: BR / Willi Weber
Andere Zeiten, andere Sitten. Landauer, der Präsident, und Hermann, der FC-Bayern-Vize. Josef Bierbichler und Herbert Knaup

Zweimal hat Steinbichler Josef Bierbichler bisher als Hauptfigur in Filmen besetzt: dem Grimme-Preis-gekrönten „Hierankl“ und in „Winterreise“. Die beiden können gut miteinander. Bierbichler agiert nicht äußerlich, er ist kein Poser, er kriecht vielmehr in das Innere, zeigt dem Zuschauer die verborgene Seelenlage des fußballbesessenen, jüdischen Kaufmanns Kurt Landauer. Man kann und möchte sich keinen anderen Schauspieler in dieser Rolle vorstellen. Mit welcher Präsenz der Mime diesen Mann, der da sein will und doch nicht da sein will, der nach München gehört und doch nicht hierher gehört, fast neunzig Minuten durch den Film trägt, die Zerrissenheit zwischen dem Schmerz des ihm widerfahrenen und der Liebe zu seiner Stadt und ihrer Menschen sowie seinem Verein mit einer Mischung aus Ruhe, Würde und bayerischem Grant spielt, ist einfach grandios. Bierbichler braucht keine großen Gesten, er ist ein so präziser, einfühlsamer Schauspieler, dass der Film allein schon durch seine Darstellung ein Ereignis ist. Ein Mann voller Moral und Menschlichkeit, ein Mann der Selbstzweifel, tief verletzt, aber ohne Hass. Als jüdischer Rückkehrer balanciert dieser Landauer auf einem schmalen Grat zwischen Vergeben und Verantwortung. Rund um ihn agiert ein klug ausgewähltes Ensemble: Jeanette Hain als Landauers geliebte Maria, Andrea Wenzl als Inge, Herbert Knaup als Landauers langjähriger Weggefährte Siggi Hermann, Eisi Gulp als Löwenpräsident Radschuweit & Harry Täschner als Münchner OB Karl Scharnagl.

Tief bewegend hat Steinbichler „Landauer“ inszeniert – dafür steht exemplarisch eine Szene, in der er den kleinen Buben, den er eigentlich fördern will, vom Fußballplatz verbannt, weil er einen Mitspieler als „Drecksjude“ beschimpft. Der Regisseur konzentriert sich auf die Zeit nach 1947, Stadionruinen sowie historische Schwarz-Weiß-Aufnahmen, als Einsprengsel dienend, zeigen das zerbombte München in großer Not. Mit viel Liebe zum Detail und hohem technischen Aufwand (allein die Musik trägt etwas dick auf) lässt Steinbichler hier ein Stück deutsche Geschichte lebendig werden. Schlichter Titel, beeindruckender Film: „Landauer – Der Präsident“ ist weit mehr als „nur“ ein Bio-Pic. Es ist ein Nachkriegs-„Dokument“, das uns ein Stück weit erahnen lässt, wie sich Juden, die nach 1945 nach Deutschland zurückgekehrt sind, fühlen mussten. „Landauer“ erzählt aber auch sehr unterhaltsam ein vergessenes Kapitel deutscher Fußballgeschichte. „Das gute Kino findet heute im Fernsehen statt“, sagt Hans Steinbichler. Auf seinen „Landauer“ jedenfalls trifft dies zu. (Text-Stand: 15.9.2014)

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Fernsehfilm

ARD Degeto, BR, ORF

Mit Josef Bierbichler, Jeanette Hain, Herbert Knaup, Andreas Lust, Andrea Wenzl, Johannes Lechner, Eisi Gulp, Harry Täschner, Johannes Krisch, Markus Böker, Andreas Lechner, Bernhard Butz, Billie Zöckler

Kamera: Bella Halben

Szenenbild: Volker Schäfer

Kostüm: Katharina Ost

Schnitt: Wolfgang Weigl

Musik: Alex Komlew

Produktionsfirma: Zeitsprung

Produktion: Michael Souvignier, Daniel Mann, Mark Horyna

Drehbuch: Dirk Kämper

Regie: Hans Steinbichler

Quote: 3,11 Mio. Zuschauer (10,4% MA)

EA: 14.10.2014 20:15 Uhr | ARD

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