Womöglich war man sich damals beim ZDF gar nicht im Klaren darüber, welch’ faszinierende Reihenfigur Drehbuchautor Christoph Darnstädt mit dem düsteren Münchener Kommissar Lukas Laim geschaffen hat; es vergingen fünf Jahre, ehe auf die Premiere („Die Tote ohne Alibi“, 2012) der zweite Film folgte, nun auch mit Reihentitel („Laim und die Zeichen des Todes“, 2017). Zum Glück ist die Taktung mittlerweile deutlich kürzer. Die Autorenschaft wechselt zwar munter, doch die wichtigsten Konstanten sind ohnehin Hauptdarsteller Max Simonischek und Regisseur Michael Schneider. Letzterer hat die kühle Anmutung, durch die sich schon der Auftakt auszeichnete, in Zusammenarbeit mit Andreas Zickgraf, Kameramann bei allen Episoden, zu einer beeindruckenden Perfektion gebracht: Der sechste Film, „Laim und die schlafenden Hunde“, imponiert durch eine Bildgestaltung, die hierzulande selbst bei ungleich teureren Kinoproduktionen nur selten zu finden ist. Großen Anteil an der Wirkung der Bilder und somit auch der Handlung hat in diesem Fall zudem der präzise Schnitt (Jörg Kroschel, auch er ein regelmäßiger Partner), der sich spätestens zum eiskalten Finale an der Erzählweise von Horrorfilmen orientiert. Die Musik von Dirk Leupolz ist von ähnlicher Qualität; der Komponist komplettiert das Gewerke-Quartett.
Foto: ZDF / Michael Marhoffer
Über allem aber steht nach wie vor die Hauptfigur. Natürlich bleibt Birgit Maiwald in ihrem ersten „Laim“-Drehbuch dem Bild des dunklen Ritters treu, der sein Dasein auch als Privatier genießen könnte, aber sie betont zudem den Kontrast, indem sie den mitunter Nosferatu-ähnlich inszenierten Laim als Wanderer zwischen den Welten konfiguriert. Gegensätze gehören zwar zum Prinzip der Reihe, aber Maiwald, die zuvor neben einigen Sat-1-Heiterkeiten unter anderem für die ZDF-Reihe „Lotta“ (mit Josefine Preuß) gearbeitet hat, treibt die Diskrepanz auf die Spitze: hier die glitzernde Hightech-Atmosphäre vielversprechender Start-up-Initiativen, dort die Obdachlosigkeit. Repräsentant dieser Divergenz ist ein Mann, der beide Bereiche kannte: Dirk Reimann hatte eine millionenschwere Geschäftsidee. Nun ist er quasi doppelt tot: Erst wurde er überfahren, dann ertränkt. Von der Erfindung profitieren ohnehin längst andere, nachdem er sein Startkapital in den Sand gesetzt hat und auf der Straße gelandet ist; allen voran Anno Waldeck, Firmendevise „Fate loves the fearless“ (Das Schicksal liebt die Furchtlosen), der im Stil des britischen TV-Formats „Dragons’ Den“ (bei uns „Die Höhle der Löwen“, Vox) eine Art Kontaktbörse für hoffnungsvolle Nachwuchsunternehmer veranstaltet.
Mit Christoph Schechinger hat Simonischek einen würdigen Gegenspieler: Der Hauptdarsteller der ARD-Freitagsreihe „Käthe und ich“ kann es sich dank seiner Ausstrahlung leisten, mimisch ähnlich minimalistisch zu agieren; ein kurzer Blick genügt Simonischek, um anzudeuten, wie sehr den Kommissar Waldecks skrupelloses Geschäftsgebaren anwidert. Laim muss sich diesmal ohnehin ungewohnt vieler Provokationen erwehren: Eine mutmaßlich minderjährige Ausreißerin mit dem ungewöhnlichen Namen Karl tanzt ihm ständig auf der Nase rum. Sarah Mahita hat zwar unter anderem dank ihrer Besetzung als Filmtochter (etwa in „Dr. Klein“ mit Christine Urspruch) bereits einige Erfahrung, aber diese Rolle könnte sich in einigen Jahren rückblickend als ihr Durchbruch erweisen. Abgesehen davon sorgt Karl mit ihrem etwas bizarren Humor für einige heitere Momente und somit einen weiteren Kontrast. Unterhaltsam wie stets sind auch die beiläufig und gern auf Kosten Laims eingestreuten trockenen Scherze des Kollegen Simhandl (Gerhard Wittmann).
Foto: ZDF / Michael Marhoffer
Maßgeblicher für die Handlung ist jedoch eine andere Figur. Laim stellt fest, dass in letzter Zeit mehrere Obdachlose ums Leben gekommen sind. Alle wiesen Erfrierungserscheinungen auf, was im Winter nichts Ungewöhnliches ist; aber einige sind schon im Sommer gestorben. Und noch eins hatten alle gemeinsam: Sie waren Gäste von Laims Kindheitsfreundin Cecily (Adina Vetter), die das großzügige Anwesen ihrer Familie vor den Toren der Stadt nach dem Tod des Vaters in ein Heim für Gestrauchelte umgewandelt hat. Cecily kann sehr unleidlich werden, wenn man sich nicht an ihre Regeln hält. Maiwald und Schneider nutzen das Wiedersehen für eine der wenigen Szenen, in denen der Film in Laims riesiger Penthouse-Wohnung dem kalten München etwas Wärme abtrotzt. Außerdem liefern sie ein weiteres biografisches Puzzlestück, um den in sich gekehrten Ermittler zu entschlüsseln.
Cecily hat dem Jugendfreund beim Vorspiel einen blutigen Wangenschmiss verpasst, aber ungleich wirkungsvoller ist ein Umschnitt in eine Nahaufnahme, in der die Erbin dem Publikum sehr kühl direkt in die Augen schaut. In den endlosen Korridoren ihres schlossähnlichen Elternhauses ist die Kamera auch mal unheilvoll wie weiland in „Shining“ auf Dreiradhöhe unterwegs. Zwei andere Details könnten bei den Fans der Reihe allerdings für Irritationen sorgen: Laims Auto hat seltsamerweise ein Bad Homburger Kennzeichen, und Adina Vetter hat im letzten Film, „Laim und das Hasenherz“ (2022), noch die Gattin des designierten Ministerpräsidenten gespielt. (Text-Stand: 10.8.2023)
Foto: ZDF / Michael Marhoffer