Aufregung bei den Güngörs. Was will dieser Mann vom Jugendamt? Hat Ayse mal wieder etwas angestellt? Und weshalb hat er eine deutsche Frau und ihren Sohn dabei? Als Familienoberhaupt Erdal endlich versteht (die beiden Kinder sind bei der Geburt vor 15 Jahren vertauscht worden), kann er sein Glück kaum fassen: „Allah hat mir einen Sohn geschenkt.“ Und Antonia Greve hat nun plötzlich eine aufmüpfige, türkische Tochter. Die Modedesignerin würde am liebsten die Wohnung des Gemüseladenbesitzers mit beiden Kindern verlassen – aber Dominik, ihr Sohn, in dessen Adern türkisches Blut fließt, hat eine bessere Idee: „Ich schlage vor – wir tauschen.“ Erstmal zwei Wochen, um sich gegenseitig kennenzulernen. Noch ein Höflichkeitsbesuch bei den Greves, die nach der Scheidung nur noch zu zweit sind, Mutter und Sohn – und dann heißt es: Top, der Familien- und Kindertausch gilt!
Foto: ZDF / Guido Engels
Was Multikulti-Komödien wie „Meine verrückte, türkische Hochzeit“, „Evet, ich will“ oder „Liebeskuss am Bosporus“ vorgemacht haben, treibt „Kückückskind“ ebenso amüsant auf die Spitze. Fand der komisierte Culture-Clash bisher in der Eltern-Generation vor allem eine Hürde für die deutsch-türkische Liebe, steht nun in Christoph Schnees ZDF-Komödie die Liebe der Eltern zu ihren leiblichen und vertauschten Kindern, welche mit der eigenen kulturellen Tradition in eine Art Konkurrenz tritt, auf dem Prüfstand. Die Erwachsenengeneration muss ihre eigenen Rollenbilder stärker in Frage stellen – in diesem Punkt ist dieser Film nach dem Drehbuch von Florian Hanig näher am Interaktionsprinzip von „Türkisch für Anfänger“ als an der bipolaren Dramaturgie der meisten Familienzusammenführungsfilme. In „Kückückskind“ geraten die Erwachsenen mit ihren jeweiligen kulturellen Präferenzen noch stärker als in der ARD-Erfolgsserie unter Druck, droht ihnen doch der Liebesentzug durch die Kinder, die den Familientausch Teenager-like ja durchaus auch zum eigenen Vorteil nutzen könnten.
Baba Güngörs Erkenntnisschatzkästlein:
„Dein Blut ist türkisch, aber dein Kopf denkt deutsch.“
„In Deutschland gibt es Geld, aber keine Kültür.“
„Die Familie weiß immer, was das Beste ist für junge Leute.“
Foto: ZDF / Thomas Kost
Es kann nur eine Botschaft am Ende (des Films) geben: Jede Kultur hat ihre eigenen Qualitäten, und jede dieser „Eigenarten“ zielt nicht nur auf ein unhinterfragtes, angelerntes Verhaltensmuster, sondern in ihnen spiegelt sich auch die spezifische Beziehung zwischen Eltern und Kind, ein Stück gelebtes Leben. Hier ist die erfolgreiche Geschäftsfrau, die Vieles richtig gut macht, aber eben auch keinen Zweifel daran lässt, dass sie alles am besten weiß. Hier ist der Baba-Pascha, der seine Kinder bedingungslos liebt, sie aber, wenn es sein muss, an die Familientradition seiner Väter verrät. Diese zwei Seiten der beiden unterschiedlichen Medaillen macht der Film stets deutlich und geht somit weit über eine deutsch-türkische Oberflächenwitzigkeit hinaus. Diese kulturellen Klischees und das lustvolle Spiel mit ihnen dürfen allerdings auch nicht fehlen – sie sind das Salz in der beilagenreichen Komödiensuppe. Apropos Esskultur: Erdal Güngör ist zwar Gemüseladenbesitzer, doch am Familientisch ist Fleisch sein Gemüse. Das bringt den höflichen Vegetarier Dominik in die Bredouille. Doch Mutter Hatice hat (fast!) verstanden: „Kein Fleisch – nur Auberginen und Hack.“
Die große Stärke des Films liegt aber nicht allein in dem sozialpsychologisch fundierten Unterboden der Geschichte, auch die Art und Weise, wie „Kückückskind“ erzählt ist, ja eben, dass er erzählt und nicht nur äußerliche kulturelle Stereotypen situationskomisch aneinanderreiht, das ist eine weitere Qualität: im steten Wechsel zwischen den Greves und den Güngörs, kombiniert mit einigen Schnittmengen-Szenen (Ayse und Dominik gehen in dieselbe Klasse; auch bei der „Faust“-Aufführung berühren sich die Kulturen der „Geschwister“), gibt der Film Eindrücke davon, wie die beiden Kids in der neuen Familie und anderen Kultur ankommen. Der Film ist reich an Situationen, Stimmungen und er ist schnell. Das Tempo ist aber – anders als in anderen Komödien – nicht dazu da, weniger gelungene Passagen rasch vergessen zu machen. Auch drängt der Erzählrhythmus nur selten auf die vordergründige Pointe. Und geht eine Szene auch mal auf Kosten einer Figur und ihrer kulturellen Disposition, dann kann man sicher sein, dass diese Figur bald eine ganz andere Seite zeigen darf.
Foto: ZDF / Guido Engels