Hinter der großen Klappe mit der spitzen Zunge verbirgt sich ein sensibles Seelchen: Das ist das Klischee. Kroko ist die Frau zum Klischee. Die junge Frau mit dem Killerblick ist Anführerin einer Mädchenclique aus dem Berliner Wedding. Kroko ist unnahbar; wer ihr zu nahe kommt, muss das büßen. Dann kriegt die knallharte Fassade erste Risse: Es treten Menschen in ihr Leben, die Krokos Warnschilder ignorieren.
Franziska Jünger gibt dieser Figur mit den engelsblonden langen Haaren, der tiefen Bräune und den auffallend künstlichen Fingernägeln derart viel Authentizität mit, dass es fast schmerzt; allein ihre träge „Scheißegal“-Miene würde jeden Erzieher auf Anhieb an seine Geduldsgrenze treiben. Ähnlich authentisch schildert Sylke Enders in ihrem Debütfilm die Lebensumstände: zwischen dem ziellosen Dahintreiben, dem freudlosen Sex mit Freund Eddie, dem auch schon mal die Hand ausrutscht, und den kleinen Delikten zwischendurch, die kaum noch Nervenkitzel darstellen. Als Kroko mit einem geklauten Auto einen Radfahrer überfährt, wird sie zu sozialem Dienst in einer Wohngemeinschaft für Behinderte verurteilt – und lernt plötzlich, das Leben mit anderen Augen zu sehen: Mit ihrer beharrlichen direkten Art gelingt es den WG-Bewohnern, von Kroko zunächst verächtlich als „Spastis“ beschimpft, ihre Schale zu knacken. Und weil die junge Frau, die eigentlich Julia heißt, den geistig Behinderten nichts schuldig bleibt, kommt es in der WG zu knackigen Dialogduellen. Julia emanzipiert sich zwar von ihrer „Kroko“-Rolle, sitzt aber nun zwischen allen Stühlen: Ihre Clique akzeptiert sie nicht mehr, ihre Mutter schmeißt sie raus, und als ein Rollstuhlfahrer durch ihren Übermut einen epileptischen Anfall erleidet, droht sie auch dieses Bezugsband zu verlieren.
Sylke Enders wurde für „Kroko“ mit dem Deutschen Filmpreis in Silber ausgezeichnet. Zu Recht, denn neben der Authentizität in der Milieuschilderung offenbaren die Figuren immer wieder überraschende Seiten; selbst Eddie verblüfft durch sensible Anwandlungen.