Mit der Materie kennt Regisseur Schütte sich aus. Nach der Grimme-Preis-prämierten Impro-Comedy „Altersglühen – Speed Dating für Senioren“ (2014), dem Impro-Ensemblestück „Wellness für Paare“ (2016) und dem jüngst mit dem Grimme-Preis ausgezeichneten Impro-Roadmovie „Für immer Sommer 90“ (2020) verbindet Schütte das erprobte Konzept diesmal mit einem Dreh ins Absurde. Der Therapeut ein Schuft, der mit Mann(i) fürs Grobe in der Hinterhand operiert, das Gros der Kundschaft ein Panoptikum von Menschen mit einem kapitalen Schaden in der Birne. Neben Bjarne Mädel, der in üblich trockener Manier den simpel gestrickten Manni gibt, sind aus dem vertrauten Schütte-Cast Charlie Hübner und Angela Winkler dabei. Hinter den Kulissen gehört Lars Jessen, der u.a. mit dem Kinofilm „Fraktus“ (2012) seine Lust am Irrsinn bewies, zum Stammpersonal. „Kranitz – Bei Trennung Geld zurück“ entstand nach Vorlage des gleichnamigen Hörspiels an neun Drehtagen in Hamburg. Was den Aufwand diesmal etwas geschmälert haben dürfte und die Reihe von den Vorgängern unterscheidet: „Kranitz“ reiht abgeschlossene Sitzungen aneinander, die Zahl der handelnden Personen beschränkt sich meist auf drei. Es gibt keine Ensemble-Szenen und keine Aufnahme-Sessions, deren Fülle an Drehmaterial erst im Schnitt zur Kunst wird.
Foto: NDR / Thomas Leidig
„Mich reizt an der Improvisation die Möglichkeit, Schauspieler und alle Departments kräftig zu überraschen und damit aus dem gewohnten Trott und der Comfort Zone zu bringen. Im Idealfall sorgt das für maximale Wachheit und Lebendigkeit. Pannen eingeschlossen.“ (Jan Georg Schütte, Buch & Regie)
„Der Ansatz, ohne Drehbücher zu arbeiten, also ohne strikte Textvorlage für die Schauspieler*innen, führt nicht nur zu überraschenden Ergebnissen, sondern wirkt sich auch auf alle Beteiligten aus. Die Energie am Set ist eine ganz andere, jederzeit kann etwas Unvorhergesehenes passieren und man muss improvisieren.“ (Sebastian Schultz, Produzent, Ko-Autor)
In Episode 1 rutscht der wütend-traurige Jochen (Charly Hübner), der sich in der Pandemiezeit von allem und jedem betrogen fühlt, vor Bedürftigkeit fast von der Sofakante, während seine Frau Tini (Lisa Hagmeister) per Raumspray das Karma klärt. Das Setting ist dem von „Wellness für Paare“ noch ähnlich. Kranitz kennt seine Pappenheimer. Binnen Sekunden realisiert er, welcher Rucksack an verqueren Weltansichten diesmal bei ihm abgeladen wird. Episode 1 lebt dabei von der sichtbaren Wandlung seiner Gegenüber (von schwarzer Lederweste zur zerzausten Strickklamotte) und zu einem guten Teil vom Kopfkino. Man lacht über das, was man nicht sieht. In diesem Fall über Charly Hübner, der als Jochen erzählt, wie er seine Frau als Großwildjäger im Leopardenmantel einst in sexuelle Höhen trieb. Um einiges härter drauf sind die Instagram-Poster Toto und Tom (Gustav Schmidt, Bjarne Meisel). Trotzdem haben sie sich bis zur Schmerzgrenze in ihren Shows & Shitstorms verheddert. Ihr „honesty-prank“ bei Kranitz wird natürlich auf Social-Media geteilt. Die Sitzungen sind dementsprechend mit wackligen handy-Kamera-Bildern und Ansprachen an das You-Tube-Publikum durchsetzt. Gefährlich viel Publikum, aber auch eine gute Werbeplattform für Kranitz. Ist nicht jeder Follower ein potenzieller Klient von morgen? Zur zweiten Sitzung wird der Therapeut prompt das dezente Sakko durch ein hippes Shirt ersetzen und sein Büro mit einem Werbe-Schriftzug aufpimpen. Sieht eher peinlich aus. Kollege Stromberg lässt grüßen.
Foto: NDR / Thomas Leidig
„Man hat sechs versteckte Kameras fast wie im Dschungelcamp. Man weiß nicht, wo die Kamera ist, nicht ob gerade eine Großaufnahme gemacht wird. Man kann locker vor sich hin spielen und hofft, dass alles eingefangen wird.“ (Günther Maria Halmer)
„Es ist keine komplett weiße Leinwand, die man vor sich hat, da man zusammen mit Jan Georg Schütte im Vorfeld abgesteckt hat, was man für ein Bild malen will … also vielleicht kann man sagen, der Dreh zu ‚Kranitz‘ war wie Malen nach Zahlen – nur ohne Zahlen.“ (Bjarne Mädel)
Nach Folge 2 kehren die Protagonisten meist wieder aufs Sofa zurück. Sie arbeiten sich an den Folgen identitärer Politik, den Träumen vom schnellen Reichtum, am Alter und an den Rassen- und Rollenklischees unserer Gesellschaft ab. Sie verändern sich äußerlich von Sitzung zu Sitzung, werden oft dünnhäutiger. Ton und Musik geben dezente Hinweise (so erklingt Countrymusik beim Eintritt von Truckerfahrer Dennis in Folge 6), halten sich aber im Ganzen sehr zurück. Bjarne Mädel und Anna Schudt laufen in den improvisierten Dialogen zu Hochform auf, die Paarung Angela Winkler und Günther Maria Halmer verleiht dem Spiel mit sechs, teilweise versteckten Kameras ebenso tragikomische wie rührende Momente. Insgesamt bietet „Kranitz – Bei Trennung Geld zurück“ sechs klug-vergnügliche Sitzungen. Dramaturgisch ist das nicht so fein versponnen und ausgefeilt wie in den Vorgängerfilmen. Macht aber nichts. In Serie rezipiert man eine solche Impro-Comedy ohnehin anders als einen Primetime-Fernsehfilm in dieser Machart und Tonlage. Und unterhaltsam ist es auf jeden Fall. Man kann diese Sitzungen einfach genießen. Oder beim Zuschauen über die eigenen Ansätze zum verqueren Denken stolpern. Oder Kranitz und seinen Kumpel Manni bewundern. Für die ist das alles nur Mittel zum Zweck. Ihre Therapie ist die Kohle. (Text-Stand: 19.9.2021)