Kranitz – Bei Trennung Geld zurück

Schütte, Mädel, Hagmeister, Hübner, Schudt. Nur die Harten kommen in den Garten

Foto: NDR / Thomas Leidig
Foto Martina Kalweit

So hart wie der Name schon klingt: Klaus Kranitz therapiert im schonungslosen Schnell-Verfahren. Drei Sitzungen, 1500 Euro und das Versprechen, dass sich danach wieder alle verstehen. Mit „Kranitz – Bei Trennung Geld zurück“ (Florida Film) wildert Regisseur Jan Georg Schütte erneut in dem ihm vertrauten Genre der Impro-Comedy. Die Hauptrolle übernimmt er diesmal selbst. Dass er in seiner Rolle als selbsternannter Therapeut noch ganz andere Geschäfte im Sinn hat, sorgt für manche Wendung. Die sechs Episoden mit namhaftem Personal und ein paar unbekannten Gesichtern sind mal sehr, mal etwas weniger gelungen. Das Format an sich überzeugt durch wechselnde, dem jeweiligen Thema angemessene Visualisierung und der Lust an hemmungsloser Übertreibung. Vorm Abdriften in den puren Klamauk ist die Serie trotzdem weit entfernt. Jede Sitzung verhandelt die psychischen Begleiterscheinungen einer Post-Corona-Gesellschaft, in der sich Blender, Ratlose, Kämpfer, Träumer nicht mehr auf einen Nenner kommen. Geschweige denn auf sowas wie Liebe.

Mit der Materie kennt Regisseur Schütte sich aus. Nach der Grimme-Preis-prämierten Impro-Comedy „Altersglühen – Speed Dating für Senioren“ (2014), dem Impro-Ensemblestück „Wellness für Paare“ (2016) und dem jüngst mit dem Grimme-Preis ausgezeichneten Impro-Roadmovie „Für immer Sommer 90“ (2020) verbindet Schütte das erprobte Konzept diesmal mit einem Dreh ins Absurde. Der Therapeut ein Schuft, der mit Mann(i) fürs Grobe in der Hinterhand operiert, das Gros der Kundschaft ein Panoptikum von Menschen mit einem kapitalen Schaden in der Birne. Neben Bjarne Mädel, der in üblich trockener Manier den simpel gestrickten Manni gibt, sind aus dem vertrauten Schütte-Cast Charlie Hübner und Angela Winkler dabei. Hinter den Kulissen gehört Lars Jessen, der u.a. mit dem Kinofilm „Fraktus“ (2012) seine Lust am Irrsinn bewies, zum Stammpersonal. „Kranitz – Bei Trennung Geld zurück“ entstand nach Vorlage des gleichnamigen Hörspiels an neun Drehtagen in Hamburg. Was den Aufwand diesmal etwas geschmälert haben dürfte und die Reihe von den Vorgängern unterscheidet: „Kranitz“ reiht abgeschlossene Sitzungen aneinander, die Zahl der handelnden Personen beschränkt sich meist auf drei. Es gibt keine Ensemble-Szenen und keine Aufnahme-Sessions, deren Fülle an Drehmaterial erst im Schnitt zur Kunst wird.

Kranitz – Bei Trennung Geld zurückFoto: NDR / Thomas Leidig
Wo die Liebe hinfällt. Die barmherzige Heiratsschwindlerin für die Ü-80-Klientel und der „Druckmacher“ vom Dienst. Eigentlich sollte Manni (Mädel) die fesche Sandy (Anna Schudt) „wegmachern“, aber der kriegt plötzlich Gefühle für sie. Eine ziemlich verfahrene Kiste. Wird Trickser Kranitz was einfallen? Die Highlight-Folge der 1. Staffel

„Mich reizt an der Improvisation die Möglichkeit, Schauspieler und alle Departments kräftig zu überraschen und damit aus dem gewohnten Trott und der Comfort Zone zu bringen. Im Idealfall sorgt das für maximale Wachheit und Lebendigkeit. Pannen eingeschlossen.“ (Jan Georg Schütte, Buch & Regie)

„Der Ansatz, ohne Drehbücher zu arbeiten, also ohne strikte Textvorlage für die Schauspieler*innen, führt nicht nur zu überraschenden Ergebnissen, sondern wirkt sich auch auf alle Beteiligten aus. Die Energie am Set ist eine ganz andere, jederzeit kann etwas Unvorhergesehenes passieren und man muss improvisieren.“ (Sebastian Schultz, Produzent, Ko-Autor)

In Episode 1 rutscht der wütend-traurige Jochen (Charly Hübner), der sich in der Pandemiezeit von allem und jedem betrogen fühlt, vor Bedürftigkeit fast von der Sofakante, während seine Frau Tini (Lisa Hagmeister) per Raumspray das Karma klärt. Das Setting ist dem von „Wellness für Paare“ noch ähnlich. Kranitz kennt seine Pappenheimer. Binnen Sekunden realisiert er, welcher Rucksack an verqueren Weltansichten diesmal bei ihm abgeladen wird. Episode 1 lebt dabei von der sichtbaren Wandlung seiner Gegenüber (von schwarzer Lederweste zur zerzausten Strickklamotte) und zu einem guten Teil vom Kopfkino. Man lacht über das, was man nicht sieht. In diesem Fall über Charly Hübner, der als Jochen erzählt, wie er seine Frau als Großwildjäger im Leopardenmantel einst in sexuelle Höhen trieb. Um einiges härter drauf sind die Instagram-Poster Toto und Tom (Gustav Schmidt, Bjarne Meisel). Trotzdem haben sie sich bis zur Schmerzgrenze in ihren Shows & Shitstorms verheddert. Ihr „honesty-prank“ bei Kranitz wird natürlich auf Social-Media geteilt. Die Sitzungen sind dementsprechend mit wackligen handy-Kamera-Bildern und Ansprachen an das You-Tube-Publikum durchsetzt. Gefährlich viel Publikum, aber auch eine gute Werbeplattform für Kranitz. Ist nicht jeder Follower ein potenzieller Klient von morgen? Zur zweiten Sitzung wird der Therapeut prompt das dezente Sakko durch ein hippes Shirt ersetzen und sein Büro mit einem Werbe-Schriftzug aufpimpen. Sieht eher peinlich aus. Kollege Stromberg lässt grüßen.

Kranitz – Bei Trennung Geld zurückFoto: NDR / Thomas Leidig
Es hakt beim Sex. Tini (Lisa Hagmeister) kuschelt lieber mit Hund als ihrem Partner Jochen (Charly Hübner). Der ist ihr zu monströs. Doch Klaus Kranitz kriegt es hin…

„Man hat sechs versteckte Kameras fast wie im Dschungelcamp. Man weiß nicht, wo die Kamera ist, nicht ob gerade eine Großaufnahme gemacht wird. Man kann locker vor sich hin spielen und hofft, dass alles eingefangen wird.“ (Günther Maria Halmer)

„Es ist keine komplett weiße Leinwand, die man vor sich hat, da man zusammen mit Jan Georg Schütte im Vorfeld abgesteckt hat, was man für ein Bild malen will … also vielleicht kann man sagen, der Dreh zu ‚Kranitz‘ war wie Malen nach Zahlen – nur ohne Zahlen.“ (Bjarne Mädel)

Nach Folge 2 kehren die Protagonisten meist wieder aufs Sofa zurück. Sie arbeiten sich an den Folgen identitärer Politik, den Träumen vom schnellen Reichtum, am Alter und an den Rassen- und Rollenklischees unserer Gesellschaft ab. Sie verändern sich äußerlich von Sitzung zu Sitzung, werden oft dünnhäutiger. Ton und Musik geben dezente Hinweise (so erklingt Countrymusik beim Eintritt von Truckerfahrer Dennis in Folge 6), halten sich aber im Ganzen sehr zurück. Bjarne Mädel und Anna Schudt laufen in den improvisierten Dialogen zu Hochform auf, die Paarung Angela Winkler und Günther Maria Halmer verleiht dem Spiel mit sechs, teilweise versteckten Kameras ebenso tragikomische wie rührende Momente.  Insgesamt bietet „Kranitz – Bei Trennung Geld zurück“ sechs klug-vergnügliche Sitzungen. Dramaturgisch ist das nicht so fein versponnen und ausgefeilt wie in den Vorgängerfilmen. Macht aber nichts. In Serie rezipiert man eine solche Impro-Comedy ohnehin anders als einen  Primetime-Fernsehfilm in dieser Machart und Tonlage. Und unterhaltsam ist es auf jeden Fall. Man kann diese Sitzungen einfach genießen. Oder beim Zuschauen über die eigenen Ansätze zum verqueren Denken stolpern. Oder Kranitz und seinen Kumpel Manni bewundern. Für die ist das alles nur Mittel zum Zweck. Ihre Therapie ist die Kohle. (Text-Stand: 19.9.2021)

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Serie & Mehrteiler

ARD Degeto, NDR

Mit Jan Georg Schütte, Bjarne Mädel, Lisa Hagmeister, Charly Hübner, Bjarne Meisel, Gustav Schmidt, Katharina Heyer, Thomas Niehaus, Anna Schudt, Angela Winkler, Günther Maria Halmer, Mercy Dorcas Otieno, Aurel Manthei

Kamera: Kristian Leschner, Nikolas Jürgens, Jürgen Kemmer, Peter Drittenpreis

Szenenbild: Pouya Mirzaei

Kostümbild: Susann Günther

Casting: Marion Haack

Schnitt: Nikolai Hartmann, Benjamin Ikes, Sebastian Thümler

Redaktion: Carolin Haasis, Christoph Pellander (Degeto), Franziska Dillberger, Diana Schulte-Kellinghaus (NDR)

Produktionsfirma: Florida Film

Produktion: Sebastian Schultz, Lars Jessen, Klaas Heufer-Umlauf

Drehbuch: Jan Georg Schütte, Wolfgang Seesko, Sebastian Schultz

Regie: Jan Georg Schütte

EA: 15.10.2021 00:00 Uhr | ARD-Mediathek

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