Respekt vor dem Mut, im Rahmen einer Krimireihe unbequeme Themen aufzugreifen: In ihrem neuen Fall muss es Kommissarin Lucas gleichzeitig mit Islamisten wie auch dem Staatsschutz aufnehmen. Die Geschichte erinnert an den aktuellen Fall der Berliner Frauenrechtlerin Seyran Ates, die sich seit Jahren für die Belange muslimischer Frauen einsetzt und immer wieder bedroht wird. Eine ähnliche Rolle spielt Idil Üner als türkischstämmige Anwältin Tansu Nasiri, die sich gegen Zwangsverheiratung, Unterdrückung in der Ehe & Beschneidungen bei jungen Mädchen einsetzt. Auch sie erhält Todesdrohungen.
Als Karin, ihre deutsche Anwaltsgehilfin, ermordet wird, tippt Ellen Lucas (Ulrike Kriener) zunächst auf eine extremistisch motivierte Tat – bis sie die auffallend höfliche, aber komplett undurchsichtige Familie von Karins türkischem Freund Cengis (Baki Davrak) kennen lernt: Die Männer halten zusammen wie Pech und Schwefel. Gerade der ältere Bruder (René Ifrah) entpuppt sich zudem als konsequenter Verfechter traditioneller Bräuche, während Cengis offenbar krankhaft eifersüchtig ist und dazu wohl auch allen Grund hatte: Seine tote Freundin war schwanger, aber nicht von ihm. Dann finden sich Hinweise darauf, dass Karin als U-Boot der Extremisten bei der Anwältin gedient hat. Um die Sache zu komplizieren, taucht auch noch der Generalbundesanwalt auf. Lucas erkennt, dass Tansu Nasiri als Köder benutzt worden ist, um Islamisten zu einem Attentat zu verleiten. Tatsächlich kann auch die Kommissarin nicht verhindern, dass auf die Anwältin geschossen wird…
Autor Jochen Brunow hat eine ungemein komplexe, von Regisseur Thomas Berger noch zugespitzte Handlung komponiert, die sowohl dem diffizilen Thema wie auch der Figur und damit dem Sendeplatz gerecht wird: Der Film bleibt stets Krimi, auch wenn man gelegentlich gemeinsam mit der Kommissarin den Überblick verliert; doch das lässt sich in diesem Geflecht aus Ehre und Beziehungsdramatik nicht vermeiden. Besser noch als die Geschichte ist ihre Umsetzung: Dank einer dynamischen, aber nie hektischen Kamera (Torsten Breuer) und ungemein präzisen Darstellern ist Berger ein packender Krimi mit außergewöhnlichem Spannungsniveau gelungen, das sich in einem dramatischen Schlussdrittel sogar noch steigert. Trotzdem wirken die Ruhepausen nie wie Fremdkörper, sondern bereichern die Handlung um romantische, teils sogar komisch Elemente, wenn etwa Lucas’ Chef (Michael Roll) und der Bundesanwalt (Jan-Gregor Kremp) um die Zuneigung der Kommissarin wetteifern oder wenn ihr Vermieter (Tilo Prückner) in einer fast parodistischen Szene die Personenschützer ablenkt, damit Ellen Lucas und Tansu Nasiri unbemerkt fliehen können. (Text-Stand: 2006)