Der Beginn verspricht einen schnellen, actionreichen Thriller: Ein Mann bereitet sich auf einen Überfall vor und kokst sich in seinem Auto Mut an. Ein Junge flüchtet auf einem Fahrrad durch den Wald und blickt sich immer wieder um. In einem dunklen Raum voller Chemikalien züngelt die Flamme eines Brenners, auf der Erde liegt eine regungslose Gestalt. Neben diesen baldiges Unheil verkündenden Momenten sieht man noch Kommissarin Lucas‘ Vermieter Max, der in seinem Hobbyraum an einer Stein-Figur herumhämmert. Die Szenen sind miteinander verschnitten, doch der vorerst einzige Zusammenhang offenbart sich nach der Explosion in der Drogenküche: Diese lag in direkter Nachbarschaft zu Max‘ Garage. Die Leiche ist bis zur Unkenntlichkeit verbrannt, das männliche Opfer war bereits vor Explosion und Brand tot.
Ein Hauch von „Breaking Bad“ weht durch Regensburg: Robert Kienle, der arbeitslose Mieter der Garage, hat zur Aufbesserung des schwindenden Familien-Einkommens und mit Hilfe eines pensionierten Nachbarn und Lebensmittelchemikers Crystal Meth hergestellt und verkauft. Der Tote in der Garage ist sein Komplize, dessen verwirrte Witwe geistert nun durch ihre düstere Wohnung, was schön gespenstisch in einer kurzen, horrorfilmartigen Sequenz erzählt wird. Zurück zum Thriller: Die Mexikaner aus der amerikanischen Kult-Serie sind hier gewissermaßen Tschechen – hinter der nahen Grenze blüht das Geschäft mit den synthetischen Drogen, da in Tschechien der Besitz einer minimalen Menge straffrei ist. Die Handlung ist grenzüberschreitend angelegt: Gedreht wurde für „Kettenreaktion“ auch auf den „Vietnamesen-Märkten“, auf denen es sich billig einkaufen lässt. Das Böse aus dem Osten, etwas plakativ ist das schon. Immerhin: Auch der Drogen-Boss hat Frau und Kind.
Foto: ZDF / Bernd Schuller
Kienle scheint schwer unter Druck zu stehen, denn er überfällt gleich zwei Banken kurz hintereinander, wird aber nicht gefasst. Seinen Sohn Moritz, den flüchtenden Jungen auf dem Fahrrad, sehen wir später in einem dunklen Raum eingesperrt. Offenbar muss sein Vater Geld besorgen, um ihn bei seinen Entführern freizukaufen. Mit dem verzweifelten Alleingang des immer gehetzter werdenden Kienle treibt das Drehbuch von Johannes Betz den Film gekonnt voran. Für Spannung und hohes Tempo ist bis zum Schluss gesorgt. Kienles Odyssee wird in einer haarsträubenden Szene auf die Spitze getrieben, in der ein ziemlich unwahrscheinlicher Zufall und eine bemerkenswerte Unempfindlichkeit gegen Schmerzen eine Rolle spielen – aber als konsequente Steigerung macht das filmisch durchaus Sinn. Schauspieler Peter Schneider („Die Summe meiner einzelnen Teile“) überzeugt in dieser intensiven Rolle.
Schwerer hat es dagegen Alexandra Finder, der als Sophie Kienle das differenziertere, weniger körperbetonte Spiel abverlangt wird. Moritz‘ Mutter bemüht sich in einem Therapiezentrum darum, den Rückfall in den Drogenkonsum zu vermeiden. Sie kämpft gegen die Sucht und für das Fortbestehen ihrer Familie, doch aus Angst vor dem endgültigen Entzug des Sorgerechts für ihren Sohn blockt sie alle Fragen der Polizei ab. Finder kann die Notlage dieser Figur mit ihren schmalen Lippen und dem blassen Gesicht gut verkörpern, doch gerade in den emotionalen Szenen wirkt sie überfordert. Nicht fehlen dürfen auch einige „belehrende“ Dialoge über die Eigenschaften der Drogen und die Ursachen für ihren Konsum, mit denen sich außerdem etwas Sozialkritik unterbringen lässt. Crystal Meth als Flucht aus der Leistungsgesellschaft, vor dem „Verlangen nach ständiger Optimierung“, wie der Therapeut erklärt. Woraufhin sich der Mann eine Zigarette anzündet – doch statt dieses Bild kommentarlos stehen zu lassen, muss er sich rechtfertigen: Das bisschen Nikotin sei im Vergleich zu Meth „wie ein Mückenstich“, sagt er. Was will uns der Autor damit sagen?
Das Thema Leistungsdruck spielt auch auf Seiten der Polizei eine Rolle, bleibt aber beiläufig und fügt sich durchaus stimmig in die Tradition der Figuren ein: Alex, von der in dieser Rolle eher unterforderten Anna Brüggemann gespielt, hält es im Urlaub nicht lange aus und geht lieber arbeiten. Kollege Tom wird niedergeschlagen, lässt es sich aber nicht nehmen, trotz Gehirnerschütterung weiter zu ermitteln. Auch die Arbeit kann zur Sucht werden! Aber dass Kommissarin Lucas diese Leistungsbereitschaft durch besondere Freundlichkeit quittieren würde, lässt sich nicht behaupten. Sehr schön, dass hier der mürrische Max zu einer Art Ruhepol wird: Als Rentner mit dem Hobby Bildhauerei und auch als Ratgeber für seine in die Not geratenen Vettern und Cousinen, von denen es angeblich in diesem Regensburger Viertel reichlich gibt. Lucas‘ Schwester alias Anke Engelke taucht in dieser Folge von „Kommissarin Lucas“ übrigens nicht auf, was aber nicht weiter ins Gewicht fällt. (Text-Stand: 11.4.2014)