„Wie ist das am Ende? Wenn man zurückblickt: Gibt es da diesen einen Moment der Schwäche, des Schmerzes, der Resignation? Oder ist es nicht immer schon der erste Atemzug, mit dem das Ende seinen Anfang nimmt?“ Der Monolog, den Ulrike Kriener zu Beginn dieses Films aus dem Off spricht, während Ellen Lucas in die Mündung einer Pistole blickt, klingt nach Abschied: Nach 35 Filmen und zwanzig Jahren endet eine der ältesten und besten Krimireihen im ZDF. Sender und Produktionsfirma bescheren der Hauptdarstellerin ein mehr als würdiges Lebewohl, und erneut erweist es sich als vorzügliche Idee, die letzten beiden Filme Thomas Berger zu überlassen, der einst die ersten sieben Episoden inszeniert hat. Anders als bei „Helden wie wir“ stammt das Drehbuch diesmal zwar nicht von ihm, sondern von Christian Jeltsch, der die Reihe ebenfalls gut kennt, aber auch er konfrontiert die Hauptfigur mit einem Fall, den sie persönlich nehmen muss. Ähnlich wie in den Dengler-Krimis mit Ronald Zehrfeld (ebenfalls ZDF) verbirgt sich der Feind in den eigenen Reihen. Es passt daher ins Bild, dass der Gegenspieler hier wie dort von Rainer Bock verkörpert wird. Damit ist nicht zuviel verraten, denn der Auftakt nimmt die Konfrontation vorweg.
Die ersten Bilder zeigen zwei Personen in einem Wohnwagen, die sich gegenseitig mit der Waffe bedrohen. Kameramann Frank Küpper hat die Situation so gefilmt, dass das Parkettpublikum bei einem Kinofilm in 3D unwillkürlich zurückweichen würde. Nach Lucas’ Monolog folgt ein Schnitt: Ein SEK-Kommando nähert sich dem Gefährt, dann fällt ein Schuss. Das Thriller-Muster der langen Rückblende, die nach achtzig Minuten in diese Szene mündet, mag abgenutzt sein, aber verfehlt seine Wirkung nicht, zumal sich der Mann, mit dem sich die Nürnberger Kommissarin zu Beginn ein Duell liefert, als Kollege vom KDD entpuppt: Wolfram Truss begleitet Lucas zum Fundort einer Leiche. Der Tote ist unter einer Autobahn-Brücke abgelegt worden, aber gestorben ist er schon vor mindestens zwei Jahren. Die Obduktion ergibt eine Vielzahl von Knochenbrüchen, vermutlich durch einen Sturz aus großer Höhe. Die Recherchen offenbaren eine Vorgeschichte, die sich in einer Hochhaussiedlung zugetragen hat: Der Mann heißt Khaled, stammt aus Libyen und sollte damals verhaftet werden, wie seine Freundin (Karolina Lodyga) erzählt; dann war er plötzlich tot. Selbstredend drängen sich Lucas haufenweise Fragen auf, zumal sie bei ihren weiteren Ermittlungen auf erhebliche Widerstände stößt: Die Akte des Arabers ist unter Verschluss. Die Kommissarin darf in den Räumen des Bayerischen Landesamts für Verfassungsschutz zwar Einsicht nehmen, doch die Blätter sind größtenteils geschwärzt: „Die Sicherheit des Staates hat übergeordnete Priorität“, wird sie von der BayLfV-Chefin (Bettina Lamprecht) belehrt.
Krimifans kennen das: Wenn der Staatsschutz mitmischt, wird es kompliziert, und irgendjemand in den eigenen Reihen hat gewaltigen Dreck am Stecken. Wie immer drängt sich die Frage auf: Wer kontrolliert eigentlich die Kontrolleure? Jeltsch und Berger fügen der langen Geschichte über das Kompetenzgerangel zwischen den Behörden ein spannendes Kapitel hinzu, das wie die meisten dieser Krimis nicht zuletzt vom Zweikampf lebt; und von der Hoffnung, der Verfassungsschützerin möge das überlegene Lächeln irgendwann vergehen. Bis dahin ist es jedoch noch ein weiter Weg, denn zunächst gilt es, andere Fragen zu klären: Warum hat irgendjemand Khaled zweieinhalb Jahre nach seinem Tod wieder ausgegraben? Welche Rolle spielt ein Video des „IS“, auf dem zu sehen ist, wie einem alten Mann die Kehle durchgeschnitten wird? Weshalb versucht eine junge Libyerin, Truss auf die gleiche Weise umzubringen? Und kann Lucas ihrem Kollegen wirklich trauen?
Damit ist Jeltsch bei einem zentralen Thema, nicht nur dieses Films, sondern der ganzen Reihe. Bei aller Faszination für seine Erzählung über einen zufällig verhinderten Anschlag und die höchst unrühmliche Beteiligung der CIA: Nicht minder fesselnd ist die individuelle Ebene. Ellen Lucas war zwar stets Teil eines Teams, erst in Regensburg, nun in Nürnberg, aber ihre Fälle hat sie als einsame Wölfin gelöst: kühl, kontrolliert und distanziert; „unbestechlich, moralisch völlig klar, keine Angst vor der Wahrheit“, wie es Truss formuliert. Der Preis für diese Haltung war ein Leben im Misstrauen. Diese Verschlossenheit war lange eine Art Alleinstellungsmerkmal der Reihe: Lucas wollte nie gemocht werden, auch nicht vom Publikum. Momente der Schwäche gestattete sie sich nur selten. In den Regensburger Folgen (2003 bis 2020) beschränkten sich die privaten Szenen weitgehend auf das heitere Treppenhausgeplänkel mit ihrem Vermieter (Tilo Prückner) oder die Eskapaden ihrer etwas verrückten Schwester (Anke Engelke). In Nürnberg (ab 2021) gab es ohnehin nur noch den Beruf, der zwangsläufig ein profundes Misstrauen in die Menschheit mit sich bringt. Ausgerechnet in ihrem letzten Fall öffnet sie sich; und muss es prompt bereuen. „Finale Entscheidung“ ist ein angemessener Abschluss für „Kommissarin Lucas“.