Eine mumifizierte Leiche ist kein schöner Anblick. Betty Sedlacek (Claudia Kottal), die mit ihrer Chefin Ellen Lucas (Ulrike Kriener) den Dachboden eines leerstehenden Hofes inspiziert, findet die Tote. So ein Fall hat ihr gerade noch gefehlt. Offenbar hat hier ein Mann eine Frau über mehrere Monate gefangen gehalten. Der Ehemann (Christian Erdmann), der davon ausgegangen war, dass seine Frau wieder in ihre Heimat nach Slowenien zurückgekehrt sei, zeigt wenig Gefühl. Liebe scheint das nicht gewesen zu sein. Sedlacek hat selbst gerade jede Menge Ärger mit den Männern. Frisch getrennt – und ständig nervt der Ex (Julian Bayer). Um auf andere Gedanken zu kommen, lässt sie sich für einen One-Night-Stand auf einen Kollegen ein (Matthias Weidenhöfer). Auch der belästigt sie und macht sich im „Mordfall“ verdächtig. Seltsam verhält sich auch ein Mann (David Tobias Schneider), der mit der Toten öfter ausgegangen sein soll. Da kann einem die Freundlichkeit eines Vaters mit zwei Kindern (Jan Krauter) und einem idealistischen Obdachlosen (Christoph Franken) fast schon suspekt erscheinen. Mit einem brutalen Mörder allerdings haben es die Kommissarinnen und ihre Kollegen (Sebastian Schwarz & Lucas Janson) nicht zu tun: Die Frau zog sich ihre tödlichen Verletzungen bei einem Fluchtversuch zu; außerdem wurde ihre Leiche liebevoll aufgebahrt.
Foto: ZDF / Barbara Bauriedl
„Ein narzisstischer Mann, ein Stalker, der seine Wahnideen auslebt“, so lautet Ellen Lucas‘ Täterprofil. Frauen hätten bei so einem keine Chance. „Egal, wie sie sich verhalten, alles wird als Liebe interpretiert.“ Fast eine Filmstunde benötigt die erfahrene Profilerin für diese Erkenntnis. Der Zuschauer weiß in der 33. Episode der ZDF-Krimi-Reihe „Kommissarin Lucas“ sehr viel früher sehr viel mehr, nicht zuletzt auch durch den Filmtitel: „Du bist mein.“ Lucas‘ Kollegin steht von vornherein im Fokus: Ständig gehen private SMSen bei ihr ein, sie wirkt unkonzentriert – und bald deutet die Kamera an, dass sie ausgespäht wird und auch sie hat das Gefühl, verfolgt zu werden. Da ihr Stalker-Verdacht nichts mit dem Fall zu tun haben muss, behält Sedlacek das Ganze für sich. Und so entwickelt sich der Krimi mehr und mehr zu einem Thriller, bei dem die Autoren Markus Ziegler und Peter Probst allerdings auf den Whodunit nicht verzichten wollten. Und so müssen sie verdächtige Männer auffahren und Nebenplots entwickeln, die allerdings geschlechter- und beziehungstechnisch recht gut zum Krimi-Hauptmotiv passen: Männer, die Frauen bedrängen, in Schrecken versetzen oder irritieren wollen. Für erfahrene Krimizuschauer (Sind das nicht mittlerweile alle, die dem Genre Abend für Abend folgen?) wird die Dramaturgie hinter der Geschichte deutlich sichtbar.
Foto: ZDF / Barbara Bauriedl
Diese „Kommissarin Lucas“-Episode macht vor, wie man mit einer konventionellen Thriller-Geschichte, bei der die Psychologie (des Täters) dem Whodunit geopfert wird und bei der gegen Ende auch die Plot-Logik schwächelt, dennoch einen Film machen kann, der deutlich über dem Krimi-Reihen-Durchschnitt im ZDF liegt. Regisseur Uwe Janson, Kamerafrau Birgit Bebe Dierken, Szenenbildnerin Gabi Pohl und Editorin Andschana Eschenbach zeigen, wie Bilder nicht nur den Film, sondern auch die Geschichte aufwerten können, und dass die Form des Erzählens das Erzählte maßgeblich beeinflusst. Mit einem rätselhaften, assoziativen Intro zu Walzerklängen beginnt „Du bist mein“. Man sieht hier Dinge des verhängnisvollen Dachbodens, die mit Utensilien, die sich erst im Verlaufe des Films dechiffrieren lassen, suggestiv kombiniert werden. Und es bleibt stimmungsvoll: die Lucas abends allein im Kommissariat, nur die Monitore leuchten; es ist einsam in ihrem Reich. Auch der Weg zur Leiche geht über eine beeindruckende Landschaftstotale zum Hof des nostalgisch dekorierten Grauens. Und wie viel intensiver ist doch die stimmungsvolle Suche nach einer Leiche als das handelsübliche Vorfahren der Kommissare am Tatort. Diese Geschichte mit ihren speziellen Situationen passt gut zu Lucas, der Frau mit dem scharfen, analytischen Blick und einer gewissen Strenge um die Mundwinkel. Sie und ihre Kollegin erschließen sich und den Zuschauern wortlos den Raum. Das bindet den Betrachter stärker an den Fall als die üblichen Tatort-Begehungen mit dem immergleichen Schnack. In diesem Film wird – bereits vom Drehbuch her – großer Wert auf Räume gelegt, und filmisch fällt ganz besonders die Raumgestaltung ins Auge: Nürnberger Mittelalter vs. Postmoderne, der märchenhaft aufgeladene Tatort vs. Kommissariats-Glaskasten, in dem plötzlich schwarze Wände auftauchen, vor denen die Köpfe von Lucas und Fitz groß und kontrastreich erscheinen, was ihrem Gespräch eine hohe Intensität gibt. Das passt zur Wandlung des Kollegen; der ist sowohl für seine Chefin als auch für den Zuschauer nicht länger der nervige Scherzkeks.
Foto: ZDF / Barbara Bauriedl
Sedlacek und Fitz nähern sich Lucas‘ sachlicher, klarer Kommunikation an. Das ist gerade für diesen konzentriert und straight erzählten Thriller wichtig, dessen Tonlage dem Wesen der Titelfigur entspricht. Wären die Kollegen noch die Alten, würde das dem Film viel von seiner coolen Geradlinigkeit nehmen, die sich auf der Zielgeraden in einer Szene sinnbildlich spiegelt: Lucas‘ Wagen, der über eine Feldstraße rast und messerscharf die Landschaft zerschneidet. Dieser Klarheit steht in „Du bist mein“ das innere Chaos von Sedlacek gegenüber. Auch dafür gibt es eine ästhetische Entsprechung: eine nächtliche Motorradfahrt als ein einziger Rausch, der fließend in ihren One-Night-Stand übergeht. Diese Verletzlichkeit und Sprunghaftigkeit der Kommissarin ist Teil des Krimiplots, sorgt aber auch dafür, dass das ungleiche Trio sich endlich näherkommt; Sedlacek und Fitz wirkten bisher eher wie Fremdkörper. Die Story mag vordergründig eine gewisse Kritik an Männerbildern enthalten und mit Frauenpower antworten, in seiner Tiefenstruktur aber gehört das Frauen-in-Gefahr-Motiv zu einem Subgenre, das den männlichen Blick bedient und das hierzulande seine größten Erfolge im Macho-TV-Movie der kommerziellen Sender zwischen 1995 und 2005 feierte. Der Selbstermächtigungs-Twist mit moderatem „Eine Frau sieht rot“-Gestus ist zumindest ein Versuch, die Geschlechter-Verhältnisse geradezurücken. Dennoch: In einer Reihe mit einer reifen, emanzipierten Titelfigur ließe sich noch zeitgemäßer erzählen.