Drei Zugereiste, drei Tote, ein Döner-Imperium und eine Zwangsheirat
Eine männliche Leiche wurde am Ufer der Isar angespült. Der Tote wurde stranguliert und post mortem wurde ihm mit Reißzwecken das arabische Wort für „Teufel“ in die Brust gestanzt. Ein Fall für die „Migra“, eine Abteilung bei der Münchner Kripo, die für Verbrechen mit Migrationshintergrund zuständig ist. Geleitet wird das von Kollegen abfällig als „Migrantenbrigade“ bezeichnete Ermittlertrio von Zeki Demirbilek (Tim Seyfi). Der türkische Münchner bevorzugt einen straffen Führungsstil. Ihm zur Seite stehen zwei junge Frauen: die übereifrige Niederbayerin Isabel Vierkant (Theresa Hanich) und der Berliner Neuzugang, die toughe Temperamentsbombe Jale Cengiz (Almila Bagriacik). Zeki & Co bekommen es bei ihrem ersten Fall mit Deutschlands größter Döner-Kette, einem türkischen Patriarchen alter Schule (Vedat Erincin), einer ebenso attraktiven wie klugen Braut mit eher westlichem Spaß-Bedürfnis (Pinar Erincin), einem Türkenpuff-Besitzer (John Friedmann) mit geringer Lebenserwartung und einem überaus verlässlichen Auftragsverbrecher (Erhard Hartmann) zu tun. Eine Zwangsheirat soll die Zukunft des Döner-Imperiums sichern. Um den Deal perfekt zu machen, könnte durchaus auch ein Ehrenmord im Spiel sein. Und ein Sprengstoffgürtel wird dem Fall eine dramatische Wende geben und Demirbileks Gefühlsleben kräftig anheizen.
Überzeugende Charaktere, nachvollziehbare Stimmungen, dichte Interaktionen
Türken, die in Deutschland angekommen sind – sprich: Karriere gemacht haben. Ein Muslim als Entscheider im CSU-Land. „Beispielhafte Integration“, wie es gern im Beamten- und Politikerdeutsch heißt. Das sind die ersten Schlagworte, die einem durch den Kopf gehen bei dieser neuen ARD-Donnerstagskrimi-Reihe. Vorlage für „Kommissar Pascha“ und „Bierleichen. Ein Paschakrimi“ sind die Romane von Su Turhan, der als Selfmade-Kurzfilm-Regisseur begonnen hat und auch Drehbücher („Ayla“) schreibt. Als Kind türkischer Gastarbeiter kam er mit zwei Jahren nach Deutschland und lernte alsbald die weißblaue Metropole lieben. Turhan unterfüttert seinen Romanhelden mit eigenen Erfahrungen. Dies spürt man in den Romanen, und dies spürt man jetzt in den Filmen, denen man vor allem auch anmerkt, dass ihnen eine Geschichte zugrunde liegt, die in einem anderen Medium schon funktioniert hat. Selten sah man einen Einstieg in eine Krimi-Reihe, in denen die Charaktere so überzeugend, die privaten Stimmungslagen so nachvollziehbar sind und das Beziehungsnetz so dicht gesponnen ist. Ein bisschen zugespitzt werden die persönlichen Konflikte natürlich auch hier. So muss Zeki die zwei Herzen in seiner Brust gleich doppelt besänftigen: mit Raki und Obstler. Und er beweist sein intellektuelles Interesse an beiden Kulturen, indem er eine deutsche und eine türkische Zeitung liest. Flexibel ist er sogar, was die muslimischen Sitten angeht: Bayerischer Schweinsbraten und der Gang in die Moschee schließen sich bei ihm nicht aus. Das alles wirkt – genauso wenig wie das „Migra“-Trio, zu dem später noch der urbayerische Grantler Pius Leipold (Paraderolle für Michael A. Grimm) dazu stößt – weder ausgedacht noch überdeutlich gesetzt, weil es nie „ausgestellt“ wird. Das liegt auch daran, dass in „Kommissar Pascha“ viel passiert, das Private dem Krimi auf Augenhöhe begegnet und dass so die Charakterdetails rasch von anderen Informationen überlagert werden.
Der mit dem Seidentuchfimmel in einer Exposition, die ihresgleichen sucht
An der Exposition von „Kommissar Pascha“ kann sich jeder Krimi und jede neu startende Reihe ein Beispiel nehmen. Eine Leiche treibt in der Isar, derweil begibt sich Kommissar Demirbilek – der mit dem Seidentuchfimmel – nach einem Telefonat mit seiner in Istanbul lebenden Ex-Ehefrau zum Scheidungstermin mit seiner zweiten Frau. Auch mit ihr telefoniert er: „Mach dir keinen Stress“, rät er ihr, sie versteht „mach keinen Stress“ – und dann schafft er es prompt nicht rechtzeitig aufs Gericht, weil ihm ein Hundehaufen und die neue Kollegin aus Berlin im Weg sind. Derweil ist die Leiche gestrandet. Also geht es zum Tatort. Isabel Vierkant stellt sich dem Zuschauer vor. Auch der Zwist mit den Nicht-„Migra“-Kollegen wird schon mal angedeutet: „Ihr seid’s doch die Spezialisten für alles Tote, was nicht hiesig ist“, lästert der dicke Pius. Und sprachlich amüsant wird es auch schon: „Neger ist er zwar koaner, aber doch eher generell dunkel getönt.“ Bei aller unbedingter Informationsdichte haben diese ersten 12 Minuten nichts Bemühtes, sondern besitzen dieselbe Eleganz wie der Held mit seinen seidenen Accessoires. Selbst dass sich die barfüßige Furie, die dem Helden vor dem Scheidungstermin in die Parade fährt, wenig später erwartungsgemäß als „die Neue aus Berlin“ entpuppt, reiht sich klischeefrei in den entspannten Erzählfluss, weil beide, der strenge „Babo“ und seine impulsive Kollegin, sehr unorthodoxe Charaktere sind und diesem überstrapazierten dramaturgischen Muster eine eigene Note geben – Spiel, Inszenierung und der Paternoster im Polizeipräsidium tragen das Ihrige dazu bei. Den süffigen Erzählrhythmus hält der erste „Paschakrimi“ bis zum Ende durch, das süffisante Gekampel lässt mit der Fokussierung auf den Krimi ein wenig nach, so hält sich der bayerische Neuzugang mit seinem Gefrotzel merklich zurück, doch Demirbilek findet immer wieder Gelegenheit, den Chef raushängen zu lassen („Ich hoffe für Sie, dass sich die Unterbrechung gelohnt hat“).
Eine kleine Auswahl an markanten bis witzigen Sätzen & Dialogen:
„Lieber zwei Ringe unter den Augen als einer am Finger.“
„Neger ist er zwar koaner, aber doch eher generell dunkel getönt.“
“Unsere Anwälte verstehen sich und unsere Kinder werden sich mögen.“
„Sie (die Braut Gül) ist intelligent und gebildet, sie scheint zu wissen, wann sie zu schweigen und wann sie zu reden hat. Ich bin beeindruckt.“
Jale: „Schon krass, wenn man für Sex bezahlen muss.“ Pius: „Ich zahl nicht für den Sex, sondern meine Ruhe danach.“ Jale & Isabel im Chor: „Arschloch!“
„Da liegt das Hymen der Döner-Prinzessin wie ein Schleier über unserem Fall.“
Tim Seyfi als souveräner Waagschalenhalter: Zeki muss man einfach mögen!
Der Fall und die Figuren reflektieren gleichermaßen viel Grundsätzliches, was die türkisch-deutsche Bikulturalität angeht. Die Widersprüche finden zwar vor allem vordergründig augenzwinkernd Eingang in die Handlung, doch auch Melancholie à la Turca bis hin zur stillen Verzweiflung und ausgefuchster Pragmatismus haben ihren Platz in dieser Geschichte. Und so wechselt der Film immer wieder gekonnt seine Stimmungen: Die Ironie ist (erfreulicherweise) nicht von 90minütiger Dauer, ermüdet deshalb nicht, und die „Nachdenklichkeit“ alles andere als aufgesetzt. Dabei erweist sich Tim Seyfi als der souveräne Waagschalenhalter: Er macht aus diesem Zeki Demirbilek glaubhaft einen Muslim und einen Münchner, einen autoritären Chef und doch auch einen Gemütsmenschen, dem Familie zwar alles ist, der aber gerade bei seinen Liebsten nicht immer den richtigen Ton trifft. Damit ist dieser neue TV-„Held“ eine für einen Unterhaltungskrimi beachtlich vielschichtige Persönlichkeit – doch am Ende ist er einfach nur (ein) Mensch, den man einfach mögen muss. Und so besitzt umgekehrt der Film „Kommissar Pascha“ durchaus Relevanz in Hinblick auf eine multikulturelle Gesellschaft – und ist doch vor allem auch ein ausgemachter Wohlfühlkrimi, in dessen komplexem und doch überschaubarem Mikrokosmos man sich schon nach wenigen Filmminuten „zu Hause“ fühlt. Die „Migra“ als Ersatzfamilie – für den Zuschauer vielleicht sogar mehr als für die Hauptfigur, die im Intro und am Ende deutlich macht, wofür ihr Herz schlägt. Die Demirbileks werden denn auch im zweiten „Paschakrimi“ eine noch größere Rolle spielen. (Text-Stand: 7.2.2017)