Kolleginnen – Für immer

Peters, Belitski, Schubert, Petri, Shvedoff, Simon, von Heland. Moonlight and Vodka

Foto: ZDF / Maor Waisburd
Foto Martina Kalweit

Der zweite Fall setzt die Berliner Kommissarinnen Gaup und Jungklausen auf die Spur einer verschwundenen Bestsellerautorin. „Kolleginnen – Für immer“ (ZDF / Real Film Berlin) tangiert viele gesellschaftlichen Untiefen, gerät darüber aber gefährlich vom Krimi-Kurs ab. Das Setting entspricht der Auftaktfolge und schraubt die Animositäten zwischen den Hauptfiguren deutlich herunter. Dabei kommt allerdings in den Ermittlungen bis zum finalen Twist kaum Spannung auf. Schade. Etwas mehr als im Allerlei der Samstagskrimireihe „die zwei mit dem einen Mann“ zu sein hätten Caroline Peters und Natalia Belitski verdient.

Verdacht auf Mord, aber wo ist die Leiche? Irene Gaup (Caroline Peters) und Julia Jungklausen (Natalia Belitski) suchen die verschwundene Regina Schilling (Stephanie Eidt). Die Berliner Schriftstellerin hat ihre Wohnung seit Jahren nicht verlassen. Das musste sie auch nicht. Die Heldinnen ihrer Bestseller haben mehr mit griechischen Rachegöttinnen als mit sterblichen Menschen von der Straße gemein. Für ihr Kopfkino braucht Schilling nur das Sushi vom Bestelldienst. Jetzt aber hat die Straße sie eingeholt. Kampfspuren in ihrer Wohnung zeugen von einem Verbrechen und der demente Nachbar von Gegenüber ist sicher: Regina Schilling wurde ermordet. Leider kann sich der alte Mann nicht genauer erinnern.

Alles sehr mysteriös. Und zu Beginn auch stimmig inszeniert. Die nächtlichen Eingangsszenen von „Kolleginnen – Für immer“ sind abwechselnd in rotes oder blaues Licht getaucht. Wir sehen Gesichter, die wir nicht zuordnen können, danach die Ermittlerinnen in einem anderen Einsatz. Nach einem Fehlalarm in einer Russenbar treffen sie am frühen Morgen am vermeintlichen Tatort des Mordes an Regina Schilling ein. Auch an diesem Tag verstecken sich wieder Gesichter hinter Gardinen, bewegen sich Menschen durch Vorhänge hindurch, laufen Nachbarn dunkle Flure entlang. Tastend, langsam und betont nüchtern agieren zunächst auch die Kommissarinnen. Die Ermittlungen führen sie von Schillings Nachbarschaft in das Büro ihrer Lektorin Katharina von Lieven (Paula Thielecke) und zu einer künstlich fröhlichen, gleichsam versteinerten Witwe (Nina Petri) in einem Haus vor der Stadt. Auf der Suche nach Regina Schilling streift „Kolleginnen – Für immer“ so die obligatorischen Zutaten des „modernen“ TV-Dramas: eine lesbische Liebe, das Pflegedilemma, Probleme von Migranten, prekäre Jobs, die Demenz eines Alten und die Traumata eines ehemaligen Heimkinds. Dazu noch debil auf ihr Smartphone stierende Teenager und ein Clown, der aus der Ferne winkt. Irgendwo zwischen alldem wartet ein klassisches Mordmotiv auf Entdeckung: pure Einsamkeit und die Eifersucht auf das Glück der anderen.

Kolleginnen – Für immerFoto: ZDF / Maor Waisburd
Der alte Nachbar (Bernd Birkhahn) ist der einzige Zeuge, der das Verschwinden der zurückgezogen lebenden Frau beobachtet haben will. Der Mann ist allerdings dement.

Zu der aktuellen Erzählung kommt ein Setting, das Zuschauer*innen aus der Auftaktepisode der Reihe bekannt sein dürfte. In „Kolleginnen – Das böse Kind“ (EA: 29.01.2022) wurden die Ermittlerinnen in ihrer Gegensätzlichkeit und ihrer „erzwungenen“ Gemeinsamkeit etabliert. Als neue Lebensgefährtin von Gaups Ex-Mann, Staatsanwalt Hans Gaup (Götz Schubert), standen von Anfang an Konfrontation und Misstrauen zwischen Jungklausen und Gaup. Wie zu erwarten, schraubt Autorin Annette Simon das Gegeneinander deutlich herunter. Caroline Peters spielt ihre Figur als nahbare Frau mit wissender Güte, Natalia Belitski darf in der Rolle der kühl-distanzierten Jungklausen öfter mal lächeln und mit den Augen zwinkern. Während Gaup in einem Nebenstrang ihr Herz an einen Mann (Ivan Shvedoff) aus dem feindlichen Lager verliert, sorgt die gemeinsame Ermittlungsstrategie und die neue Einigkeit zwischen den Kommissarinnen gegenüber dem Team für ein deutlich entspannteres Duett.

Verwirrend wird es, wenn die Dramaturgie allzu unvermittelt zwischen beruflicher Observation und privater Annäherung der Protagonistinnen hin- und herspringt. Wenn die beiden auf der Fahrt zum nächsten Zeugen mal kurz über ihre Beziehung zum gleichen Mann sprechen. Diese Momente und die stets sorgsam ausgeleuchteten Gesichter der Protagonistinnen spiegeln, dass das Format unbedingt über den reinen Krimi hinauswill. Dass es immer auch um Loyalität, Kompetenz und Emotionen geht. Regisseurin Maria von Heland setzt auch das entsprechend in Szene. Neben diversen Krimi-Auftragsarbeiten produzierte von Heland unabhängig den Zehnteiler „Sunshine Eyes“. Die Serie zeichnet das intime Porträt Jugendlicher in der ersten Pandemie-Welle und überzeugte auf mehreren Festivals das Publikum. Der Samstagskrimi im ZDF freilich hat andere Zuschauer*nnen. Die Verbindung von Feingefühl und Krimispannung ist hier ein Balanceakt, den die „Kolleginnen“ noch nicht wirklich meistern. Zu oft schleicht sich Langeweile ein. Zu wenig Raum bleibt, um den Nebenfiguren als Motor der Krimihandlung gerecht zu werden. Als Stichwortgeber bleiben sie dem Zuschauer egal, darunter wiederrum leidet die Spannung. Spannung entsteht nicht allein durch die eingestreute Nahaufnahme einer Hand, die eine Schublade aufzieht, in der eine Pistole liegt. Spannung entsteht auch nicht allein durch ein Verfolgungsrennen durch drei Hinterhöfe oder das kampflose Hin und Her einer Waffe zum Finale am „Lost Place“. Hier vergibt der Film zum Ende hin auch visuell manche Chance. Es ist sicher zu viel verlangt, in der ZDF-Samstagskrimi auf Stoffe zu schielen, die jeden Krimi-Kenner in Staunen versetzen. Enttäuschend aber ist, wenn die Diskrepanz von Einstieg und Finale dem unterschiedlichen Qualitätsniveau der Songauswahl entspricht.  Im besten Moment von „Kolleginnen – Für immer“ ist das ein kühl akzentuierter Beat („Fade Out Lines“ – The Avener), am Ende eine nölende Ballade aus dem Jahr 1984. Chris de Burghs „Moonlight and Vodka“ ruft ungute Erinnerungen an die Schimmi-Hits von Chris Norman, Bonnie Tyler und Klaus Lage wach.

Die dritte Episode der neuen Krimireihe entstand jüngst unter der Regie von Christiane Balthasar („Kommissarin Heller“). In „Kolleginnen – Destiny“ (Ausstrahlungstermin noch nicht bekannt) wird Irene Gaup ausnahmsweise ohne Kollegin Jungclausen ermitteln. Ob die Konstruktion des Trios Gaup, Jungclausen, Gaup dem Format auf Dauer guttut, müssen die Macher*innen entscheiden. Wer für Krimi und Spannung votiert, darf daran zweifeln.

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Reihe

ZDF

Mit Caroline Peters, Natalia Belitski, Götz Schubert, Petra Hartung, Staphanie Eidt, Nina Petri, Raphael Akeel, Paula Thielecke, Ivan Shvedoff, Jana Lissovskaia, Tersa Harder

Kamera: Jutta Pohlmann

Szenenbild: Olaf Schiefner

Schnitt: Sylvain Coutandin

Musik: Alex Komlew

Redaktion: Matthias Pfeifer (ZDF)

Produktionsfirma: Real Film

Produktion: Katrin Goetter, Michael Lehmann

Drehbuch: Annette Simon

Regie: Maria von Heland

Quote: 5,22 Mio. Zuschauer (19,4% MA)

EA: 29.10.2022 20:15 Uhr | ZDF

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