Bio-Bäuerin will mit Escort-Diensten den Hof der Familie retten
Die Arbeit ist hart, aber sie sind glücklich. Inga (Silke Bodenbender) und Ludwig Scholz (Peter Schneider) haben sich ihren Lebenstraum erfüllt: Sie sind Vollerwerbsbauern im Schwarzwald. Auch ihre Kinder Marie (Helena Lützow) und Mats (Pablo Lützow) sind noch in einem Alter, in dem sie das Leben auf dem Bauernhof mit Milchkühen und eigener Käserei spannend finden. Alles könnte so schön sein – doch die Scholzens kommen einfach nicht heraus aus den roten Zahlen. Die Bank sitzt ihnen im Nacken. Inga sucht sich optimistisch einen Nebenjob als Kellnerin in einer Bar. Sie belebt das Geschäft, sie ist beliebt bei den Gästen, trotzdem reicht der Verdienst nicht und der Job schlaucht, wenn man tagsüber weiterhin Bäuerin sein muss. Eine Kollegin (Cornelia Gröschel) bringt sie auf die Idee, bei einem Escort-Service anzuheuern. Damit hätte sie in drei Abenden das Geld für die Bank zusammen und endlich wieder Energie für den Hof. Ludwig ist einverstanden. Beide wollen versuchen, es pragmatisch zu sehen. Inga gelingt das besser. Während ihr die „Begleitungen“ sogar einen Kick zu geben scheinen, ist es Ludwig immer weniger möglich, mit der Situation umzugehen. Die beiden entfernen sich voneinander, auch ihre Kinder spüren das – und dann ist da plötzlich ein solventer „Kunde“ (Hary Prinz), der von Inga nicht genug kriegen kann…
„So ein Typ, der nichts erschafft… könnte unsere Probleme lösen“
Eine brave Ehefrau dient sich fremden Männern an. Das mag ein wenig an die Plots längst vergangener TV-Movie-Zeiten erinnern, als Erotik-Thriller wie „Sünde einer Nacht“ (1996), „Das Callgirl“ (1999) oder „Anna H. – Geliebte, Ehefrau und Hure“ (2000) sehr plakativ auf das Spekulative des Themas aus waren. „Königin der Nacht“ erzählt dagegen „nach einer wahren Geschichte“ von einem von der Landlust überzeugten Ehepaar, dessen Beziehung mehr und mehr in die Krise taumelt. Die Ehefrau „versucht, die Sache positiv anzugehen“, wie sie sagt – und sie genießt auch ein Stück weit dieses für sie bislang völlig unbekannte Rollenspiel: raus aus den Jeans, rein in die Reizwäsche, raus aus dem Stall, rein in die Welt des Glamours. Jene Inga, die anfangs nicht weiß um ihre Wirkung auf Männer und die eher unsicher auf Komplimente reagiert, entdeckt eine völlig neue Seite an sich, sie genießt es offensichtlich auch, von anderen Männern begehrt zu werden, aber für sie – so scheint es – bleibt es ein Spiel und vor allem ein Job. Und auch als jener so selbstgewisse charmante Österreicher ihr immer mehr den Hof macht, kommt sie nicht auf die Idee, die eine Rolle durch die andere, ihr bisheriges Leben durch ein anderes oder gar ihren Mann durch einen anderen ersetzen zu wollen. Auf diese Idee kommen nur die Männer: der eine, geplagt von Selbstmitleid und Minderwertigkeitsgefühlen, sieht für sich bald alle Felle davonschwimmen, und für den anderen, diesen vom Erfolg verwöhnten Geschäftsmann, ist es offenbar nur eine Frage der Zeit, dass er die Schöne ganz für sich haben wird. Und dann sind sich diese beiden so unterschiedlichen Männer plötzlich überraschend einig. „So ein Typ, der nichts herstellt, der nichts erschafft, der davon lebt, zu kaufen und zu verkaufen“, das erzeugt einen Widerwillen in dem arbeitsamen Bauern, doch noch im selben Satz, fasst er einen Gedanken, „dabei könnte er unsere Probleme lösen“, der der letzte Sargnagel seiner Ehe sein könnte.
Die „Dreckslust“, das Drecksgeld & die Gewalt der Männer
Die Autoren Katrin Bühlig („Bella Block“) und Burt Weinshanker („Clara Immerwahr“) haben aus dieser alltagsnah erzählten Geschichte ein konzentriertes Ehedrama der feinen emotionalen Verschiebungen und der sich immer klarer abzeichnenden Kräfte- und Machtverhältnisse gebaut. Der Escort-Job der Ehefrau verstärkt das, was die Beziehung der beiden offenbar schon immer ausgemacht hat. Der Mann will seinen Traum vom autarken Hof leben, die Frau muss dabei pragmatisch ihren Anteil übernehmen. Dass vor lauter Hofarbeit und Familienleben dabei die Zweisamkeit, die schönen Dinge des Lebens, die kleinen Aufmerksamkeiten und sicher auch – vor allem für die Frau – der Sex, zu kurz gekommen sein mögen, deutet der Film anfangs nur an, in der Art und Weise, wie die Ehefrau ihre „kleinen Fluchten“ begeht, scheint sich die Vermutung, es werde von ihr hier ein Defizit ausgelebt, jedoch zu bestätigen. Mit den Worten „Du mit deiner Dreckslust!“ prügelt der immer depressiver werdende Bauer gegen Ende des Films kopflos auf seine Frau ein. Natürlich ist es auch das Drecksgeld, das diese Landliebe zerstört. Und es ist die Schwäche des Mannes, der sich hineinsteigert in seinen ohnmächtigen Wahn aus Impotenz- und „Mann-als-Familienernährer“-Ängsten.
Realistisches TV-Drama mit zwei kongenialen Hauptdarstellern
Schließlich ist auch er es, der seine Frau zum Objekt degradiert und an den anderen Mann „verkauft“. Als könne er es nicht ertragen, dass der Job ihr ein Stück weit Spaß macht. Als es ihr keinen Spaß mehr macht, sorgt er mit neuen Schulden dafür, dass sie weitermachen muss. Peter Schneider („Nackt unter Wölfen“) spielt diesen Landwirt von der traurigen Gestalt als einen der nicht raus kann aus seiner Haut, der mit jedem Strahlen, das er auf dem Gesicht seiner schönen Frau auszumachen glaubt, mehr in sich zusammensackt. Diesem eindruckvoll dargestellten Häuflein Elend gegenüber steht Silke Bodenbender („Lotte Jäger und das tote Mädchen“) als die anfängliche Unschuld vom Lande, die sich langsam zur „Königin der Nacht“ wandelt. Bodenbender weiß beide „Rollen“, Landfrau und Männerphantasie, überzeugend und glaubwürdig zu präsentieren. Wie die gleichnamige Blume beglückt Ingas „Lilith“ ihre „Kunden“ oder „Gäste“, wie sie selbst gerne sagt, nur wenige Stunden. Das passt wunderbar zum Selbstverständnis der Figur. Regisseurin Emily Atef („Wunschkinder“) hat „Königin der Nacht“ als sehr klar strukturiertes Stationendrama inszeniert und sie hat das Ganze in einen sachlich ruhigen, stimmigen Erzählfluss getaucht. Atefs Realismus und die Bodenständigkeit der Hauptfiguren verhindern, dass die Tonlage des Films seinen Ausgang von vornherein preisgibt. Auch wenn jeder Zuschauer ahnt: „Das kann nicht gut gehen“.