Klimawechsel

Doris Dörries köstliche Serie: Frauen am Rande der Wechseljahre – ratlos!

Foto: ZDF / Kerstin Stelter
Foto Rainer Tittelbach

Zwischen Ehekrise und zweitem Frühling, zwischen Spiritualität und Schönheitschirurgie versuchen vier Lehrerinnen zwischen 44 und 52 Jahren ihrem Leben einen Sinn zu geben. Die Handlung von „Klimawechsel“ ist hormongesteuert, die Haltung lebensklug, die Tonlage frisch und respektlos, der Humor angenehm unprüde und gelegentlich köstlich derb, und die Wirkung befreiend. Selten konnte man so viel Spaß haben mit deutscher Komödie!

Sie leiden unter Schweißausbrüchen, Heißhunger- und Panikattacken, sie ergehen sich in Tobsuchtsanfällen oder stecken einfach nur den Kopf in die Aktentasche. Zwischen Ehekrise und zweitem Frühling, zwischen Spiritualität und Schönheitschirurgie versuchen vier Lehrerinnen zwischen 44 und 52 ihrem Leben einen Sinn zu geben. Die vier befinden sich in den Wechseljahren – entweder mittendrin oder in den zarten Anfängen. Bei Männern sind es „die besten Jahre“; bei Frauen legt man den Schleier des Schweigens über diese Zeit. Auch und vor allem im Fernsehen. Doris Dörrie hat ihn in der Miniserie „Klimawechsel“ gelüftet. „Ich habe so viele grottenschlechte Fernsehfilme über Frauen um die 50 gesehen, dass mich die Wut gepackt hat, und ich dachte, man kann es vielleicht besser machen.“

KlimawechselFoto: ZDF / Kerstin Stelter
Ein Küsschen in Ehren. Maren Kroymann & August Zirner – Klimawechsel!

Vier Frauen erfinden sich neu oder versuchen es zumindest. Da ist Angelika (Maria Happel), schwitzend und etwas aus der Form geraten. Sie findet in der Religion und in der Literatur ihren Weg und sie bricht aus dem westlichen Jugend- und Schönheitswahn aus. Beate (Ulrike Kriener) geht den umgekehrten Weg. Sie fürchtet nichts mehr als den Verlust ihres Aussehens und ihrer Libido. Sie will die Rolle des ewigen Vamps nicht aufgeben; sie frisst Hormone, lebt Diät und schreckt selbst vor einer Vagina-Verengung nicht zurück. Cornelia (Juliane Köhler) fühlt sich wie „ein kleines Mädchen im Körper einer ältlichen Lehrerin“. Doch die Liebe eines Schülers bringt das Mauerblümchen zum Erblühen. Der schwierigste Fall ist Désirée (Andrea Sawatzki). Die späte Mutter muss sich mit einem 12 Jahre jüngeren, sexsüchtigen Freund, einem fünf Monate alten Baby und Dauermüdigkeit herumschlagen. Außerdem nervt die Kunstlehrerin ihre Arbeit in der Schule. Sie definiert sich als Künstlerin, nicht als Frau. Sie legt keinen Wert auf Äußerlichkeiten. Als erstes verkommt die Wohnung, danach ihr Körper.

Im selben Boot sitzt die Gynäkologin Evelyn Bach (Maren Kroymann), erste Anlaufstelle für die vier frustrierten Lehrerinnen. Sie weiß, dass sie den Wettlauf mit der Zeit nicht gewinnen wird, also nimmt sie sich hier und jetzt so viel vom Leben, wie sie bekommen kann: wenn möglich knackiges Frischfleisch wie den Hormon-Yoga-Lehrer Ronnie (Kai Schumann), Désirées Lebenspartner, aber auch einen seelenverwandten Lästerer wie den Psychologen Thomas Dumont (August Zirner) schubst sie nicht von der Bettkante. Und für ihre Geschlechtsgenossinnen hat sie stets ein paar aufmunternde Worte parat: „Nächstes Mal kann ich Ihnen wieder ein bisschen Botox spritzen. Da sieht man gleich ausgeschlafener aus, gell?“

KlimawechselFoto: ZDF / Kerstin Stelter
Ein bisschen Tantra kann nicht schaden: Ulrike Kriener & Oliver Stokowski in der ZDF-Serie „Klimawechsel“ (2010)

„Klimawechsel“ ist ein Serien-Kleinod. Döris Dörrie & Co gelingt etwas, was hierzulande eine echte Rarität ist: eine Komödie, die sich nicht mit der Comedy zur Dramedy vereint, sondern eine Komödie aus dem europäischen Geiste. Die Charaktere geben den Ton an, es gibt ein Thema, das sehr facettenreich, gesellschaftsrelevant & hoch unterhaltsam aufgefächert wird. Zwischen Streitsucht, Putz- und Kreativ-Zwang bleiben die Damen und Herren sozial unter sich: die aufgeklärte Mittelschicht, das Bildungsbürgertum, führt das Wort. Daraus ergeben sich Verbalattacken & emotionale Schlagabtauschs auf hohem Niveau.

Nichts gegen eine gute Sitcom oder Dramedy – aber bei Serien wie „Doctor’s Diary“ oder „Stromberg“ verselbständigen sich oft die guten Pointen. Die Qualität der Machart kommt vor dem „Gehalt“. Man hat bei diesen amerikanisierten Genres oft das Gefühl, der geschliffene Dialog schleife gleichzeitig die Figuren ab. „Klimawechsel“ ist weniger Format, weniger dramaturgische Technik und sicher weniger formal rund. Dafür steckt in dieser Serie mehr gelebtes Leben, mehr deutsche Realität, mehr echte Dramen und damit eine andere Tiefe.

Zum Lachen und Schmunzeln gibt es dennoch reichlich in diesen sechs 45-Minütern. Das Autorinnen-Duo ergänzt sich bestens. Doris Dörrie ist eine großartige Dialogschreiberin und Ruth Stadler, seit Jahren die rechte Hand der Filmemacherin, ist auf Dramaturgie spezialisiert. Dadurch wird der rote Faden nie verloren und man verhindert so die typisch deutsche Nummer-Revue. Die Handlung der Serie ist hormongesteuert, die Haltung lebensklug, die Tonlage frisch und respektlos, der Humor angenehm unprüde und gelegentlich köstlich derb, und die Wirkung befreiend. Selten konnte man so viel Spaß haben mit deutscher Komödie!

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ZDF

Mit Ulrike Kriener, Andrea Sawatzki, Maria Happel, Juliane Köhler, Maren Kroymann, Sophie von Kessel, August Zirner, Kai Schumann, Horst Kotterba, Oliver Stokowski

Kamera: Hanno Lentz

Szenenbild: Florian Lutz

Schnitt: Frank Müller

Produktionsfirma: Moovie

Produktion: Oliver Berben

Drehbuch: Doris Dörrie, Ruth Stadler

Regie: Doris Dörrie, Gloria Behrens, Vanessa Jopp

Quote: Folge 1+2: 3,57 Mio. Zuschauer (11,1% MA); 3. Folge: 2,78 Mio (8,4% MA); 4. Folge: 2,85 Mio. (9,7% MA); 5. Folge: 2,54 Mio. (8% MA); 6. Folge: 2,5 Mio. (8,2% MA)

EA: 07.04.2010 20:15 Uhr | ZDF

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