Schnöseliger Überflieger lernt einen herzensguten Menschen kennen und läutert sich: Diese Rolle kennt Stephan Luca aus vielen Filmen zur Genüge. „Kleiner Junge, großer Freund“ erzählt die Geschichte einmal anders, wie schon der Titel andeutet. Luca spielt einen erfolgreichen alleinstehenden Architekten, der schon auf der ganzen Welt „Tempel des Mammons“ errichtet hat, wie sein Freund und Auftraggeber Leon (Dale Jackson) feststellt. Diesmal ist Richard in Kapstadt zugange, wo er den Bau einer luxuriösen Shopping Mall überwachen soll. Das riesige Gebäude entsteht auf einem ehemaligen Fabrikgelände in unmittelbarer Nähe zu einer Armensiedlung. Den Leuten gehört zwar der Grund und Boden, auf dem ihre wackeligen Häuser stehen, aber sie werden den Plänen weichen müssen. In der Siedlung lebt auch der kleine Keagan (Likho Mango), der Richard eines Tages vors Auto läuft. Der Architekt kümmert sich darum, dass der Junge ärztlich versorgt wird, und freundet sich mit ihm an. Keagan hat keine Ahnung, dass sein neuer Freund indirekt für den Bulldozer verantwortlich ist, der einige Tage später sein Haus platt walzt.
Soundtrack: Gorillaz („Clint Eastwood”), TNT („Viser haut”), Miriam Makeba („Amampondo”), Ed Sheeran („Bibia be ye ye”), The Brothers Johnson („Strawberry Letter 23”), Luis Fonsi Feat. Daddy Yankee („Despacito”)
Foto: ZDF / Anika Molnár
Die Idee, ein typisches Romanzen-Muster – die Zuneigung zerschellt an einer Unwahrheit – für eine Freundschaftsgeschichte zu nutzen, ist gar nicht schlecht (Buch: Kerstin Schütze, Marco Rossi). Richards Gefühle für den Jungen sind ehrlich, aber als eher oberflächlichem Menschen fehlt ihm das Verständnis dafür, was es für Keagan bedeutet, sein Heim und damit auch seine Wurzeln zu verlieren. Allerdings weiß der Architekt zunächst auch nicht, dass Keagans verwitweter Vater (Stephen Kamohelo Mofokeng) seine Frau unter einem „heiligen Baum“ im eigenen Garten beerdigt hat. Weil „Kleiner Junge, großer Freund“ ein Film fürs „Herzkino“ im ZDF ist, muss es natürlich auch eine Liebesgeschichte geben: Mitten in der Siedlung ist eine Filiale der Hilfsorganisation Black Rights. Hier arbeitet Lara (Tanja Wedhorn), eine Anwältin, bei der sich die Menschen kostenlosen juristischen Beistand holen können. Für Lara ist Richard ein natürlicher Feind. Allerdings ist sie ziemlich aus dem Häuschen, als der Architekt kurz nach der ersten Begegnung unerwartet in ihrem Büro auftaucht; dank der Missgeschicke, die ihr dabei unterlaufen, ist nicht zu übersehen, dass der attraktive Mann eine gewisse Wirkung auf sie hat. Aber auch Lara ist schließlich überzeugt, dass Richard ein doppeltes Spiel mit ihr und Keagan getrieben hat.
Abgesehen von der ungewöhnlichen Freundschaft und dem sozialen Anspruch fällt der Film vor allem ästhetisch und dramaturgisch nicht weiter aus dem üblichen Rahmen der „Herzkino“-Geschichten. Regisseur Michael Karen dreht seit einigen Jahren praktisch nur noch Freitagsfilme fürs „Erste“ und Sonntagsfilme fürs „Zweite“, er weiß, was Sender und Zielgruppe erwarten. Allerdings stehen seine Beiträge (fürs ZDF vor allem „Frühlings“-Filme, für die Degeto zuletzt unter anderem „Einfach Rosa“) für einen gewissen Anspruch; deshalb sind die Sorgen der Einheimischen in „Kleiner Junge, großer Freund“ mehr als bloß die Kulisse für eine Beziehung, die Gräben überbrückt. Aus dem gleichen Grund haben Luca und der sympathische kleine Likho Mango auch mehr gemeinsame Szenen als das Liebespaar. Weil Keagan außerdem ein pfiffiges Kerlchen ist, entwickelt sich die Freundschaft glaubwürdig, zumal das Geben und Nehmen keineswegs einseitig verläuft. Im Unterschied zu dem Jungen hat Richard, von Keagan „Richie Rich“ genannt, keinerlei materielle Sorgen. Er lebt in einem Luxusdomizil mit Blick aufs Meer und fährt ein schickes schwedisches Cabrio. Mit Ausnahme seines Schäferhunds (der jedoch bloße Dekoration ist) scheint es in seinem Leben keinen emotionalen Anker zu geben. Daher ist es durchaus glaubhaft, dass er sich auf den Jungen einlässt, zumal die beiden nicht bloß gemeinsam Videospiele zocken. Für Heiterkeit sorgen nicht zuletzt die Flirt-Tipps, die Keagan erst Richard und dann Lara gibt.
Foto: ZDF / Anika Molnár
Völlig ungenutzt bleibt indes ein gewisses Abenteuerpotenzial. Keagan sammelt illegal mit zwei zwielichtigen älteren Jungs Seeschnecken (Abalone); als er vor Richards Auto lief, war die Polizei hinter ihm her. Weil der Architekt die Tüte mit den Tieren nicht gekühlt hat, sind sie verdorben; nun soll er neue besorgen. Leons chinesische Geschäftspartner sind zwar auch im Abalone-Geschäft, aber ernten muss Richard die Abalones selbst, was wegen etwaiger Haibesuche nicht ganz ungefährlich ist. Seltsamerweise gibt es nicht mal Unterwasserbilder, obwohl zuvor erwähnt worden ist, dass Richard einen Tauchschein hat. Zumindest ein wenig Spannung kommt auf, als Keagan von seinen Kumpanen mit einer Pistole bedroht wird und Richard ihm zu Hilfe eilt; diese Pistole wird pünktlich zum Finale wieder auftauchen.
Vielleicht haben Karen und die Autoren auf die Abenteuereinlage verzichtet, um das wichtigere Subthema nicht abzuwerten. Die Vertreibung der Ureinwohner ist ein Aspekt, an dem viele von Gentrifizierung betroffene Zuschauer anknüpfen können. Das gilt auch für die Mobbingmethoden, zu denen Leon schließlich greift: Alle Anwohner haben Kaufverträge unterschrieben, nur Keagans Vater nicht, was prompt für viel böses Blut unter den Nachbarn sorgt, denn der Deal funktioniert nur ganz oder gar nicht. Zum Anspruch des Films gehört daher ein Schluss, der der Realitätsnähe der Geschichte treu bleibt, aber auch die Erwartungen des Sendeplatzes erfüllt. Sehenswert ist „Kleiner Junge, großer Freund“ nicht zuletzt wegen der Hauptdarsteller, die gut miteinander harmonieren. (Text-Stand: 24.9.2017)