Franziska Funk hat einen Hau weg. Ordnungstick, Kontrollzwang, Neurosen – mit so einer Frau kann man schwer alt werden. Ihr Mann Andreas verordnet deshalb der 15jährigen Ehe eine „vorübergehende Auszeit“ mit Option auf mehr – „Wir wissen doch beide, dass es vorbei ist.“ Just in dem Moment erfährt die Mittvierzigerin, dass ihre Wechseljahrebeschwerden die Vorboten einer Schwangerschaft sind. Den Entschluss zum Abbruch korrigiert Franziska, als ihr die quirlige, unbeschwerte Lilli begegnet, keine 20, keine Angehörigen, keine Bleibe, aber ihr Baby will sie kriegen. Diese hochtalentierte Künstlerin ist auch eine Lebenskünstlerin. Anfangs mehr irritiert, bald fasziniert von dieser temperamentvollen jungen Frau, die ihre „Verrücktheit“ so wunderbar kreativ zu nutzen vermag, findet die neurotische Franziska mehr und mehr Zugang zur wilden Lilli, die allerdings seelisch auch nicht un(vor)belastet ist. Bald wohnen die zwei zusammen. Die Sympathien füreinander wachsen. Die Bäuche auch.
In „Kleine Schiffe“ trifft die Hysterie einer Spätgebärenden auf die Frohnatur eines chaotischen Teenagers. Als ob Diane Keatons Annie Hall aus Woody Allens „Der Stadtneurotiker“ aufgespalten worden wäre in ein jüngeres und ein älteres Alter Ego, so zappeln und hibbeln Katja Riemann und Aylin Tezel durch diesen ungemein unterhaltsamen ARD-Freitagsfilm, der den neuen Schwung bei der Degeto spürbar macht. Etwas Eingewöhnungszeit benötigt man für Tezels Lilli-Performance; so wie man auch im wahren Leben seine Probleme haben könnte mit einem ADHS-getriebenen Trotzköpfchen, das sich an Autoritäten reibt und das ihre Legasthenie mit pubertärem Gebaren beantwortet. Deutlich setzt die Schauspielerin, der man die 19 Jahre – obwohl mittlerweile 30 – durchaus abnehmen kann, in diesem Fernsehfilm einen Kontrapunkt zu ihrer Schwangerenrolle im Kinodrama „Am Himmel der Tag“, die sie ein Jahr zuvor spielte und für die sie mehrfach ausgezeichnet wurde. Wie sich der Shootingstar 2010 die TV-Rolle zwischen Lollipop-Manga-Ästhetik und rotziger Unabhängigkeit aneignet, das passt zur Geschichte dieser beiden eigenwilligen Frauen und es passt vor allem auch sehr gut zu Katja Riemanns Anlage ihrer Rolle. Sie ist es auch, die die passenden Worte für Tezels Können findet: „Aylin ist in der Lage, handwerklich zu arbeiten, im Sinne von Timing, Rhythmus, von körperlicher Überhöhung einer figurenimmanenten Situation“, so Riemann. „Sie geht immer mit der inneren Haltung der Figur, darum wird es bei aller Überhöhung nicht äußerlich.“ Aber es ist nicht nur die Kunst, die die beiden so vorzüglich harmonieren lässt, es sind auch die kleinen, physisch-sinnlichen Details, dieses Koboldhafte: wie sie lachen, wie sie in sich hineinglucksen, dabei ist Riemanns Stimme angerauter, Tezels kieksiger. Als die Charaktere noch meilenweit voneinander entfernt sind, schaffen diese extraverbalen Gemeinsamkeiten eine erste unterschwellige Verbindung.
Geburtsvorbereitung einmal anders. Ein Dialog
Simon (massiert): „Ist das ein Holzbein?“
Franziska: „Es tut mir leid, ich bin so verkrampft, ich…“
Simon: „Soll ich lieber aufhören? Wollen Sie gehen?“
Franziska: „Nein, nein… ich komm’ sowieso nicht hoch.“
Simon: „Ich kann Sie rausrollen.“
Überhaupt lebt „Kleine Schiffe“ aus dem Moment heraus. Das hat sich die Dramaturgie von Wildfang Lilli abgeguckt. Drehbuchautor Volker Krappen („Eine halbe Ewigkeit“) ballert den Zuschauer nicht mit Handlung zu, sondern konzentriert sich auf charakterstarke Situationen und Dialoge, die sich spritzig-schnell wegsprechen lassen. Szenen können in gemeinsamem Lachen gipfeln, aber auch in Enttäuschung, Verletzung und Nachdenklichkeit auslaufen. Insbesondere Simon, Franziskas über 20 Jahre jüngerer „Verehrer“, muss emotionale Durstrecken durchleiden. Ehemann Andreas indes kann austeilen, muss aber auch einstecken. Dass ihm doch noch „das retardierende Moment“ gehört, ist ein kleines Zugeständnis an die klassische Dramaturgie, die dem Zuschauer kurz vor dem glücklichen Ende noch mal einen kleinen Dämpfer geben muss. Auch wenn Hans-Werner Meyer seinen Andreas Funk nicht unsympathisch spielt, auch der Zuschauer weiß, „dass es vorbei ist“ und hat längst andere Verbindungen favorisiert. Und Freundschaft ist mindestens so wichtig wie Beziehung in diesem Film – und auch Familie kann viele Gesichter haben. Da darf man Hermann, Franziskas Vater (liebenswert grummelnd gespielt von Peter Franke) nicht vergessen, der einen guten Draht zu Lilli hat und zum Feelgood-Touch des Films maßgeblich mit beiträgt. Auch die Regie gibt ihr Bestes. Matthias Steurer setzt auf Timing und Tempo, auf elliptischen, handlungstreibenden Schnitt statt auf verbale Erklärungen; flott und verspielt ist seine Inszenierung, das passt zu den liebenswerten Stadtneurotikerinnen. Ach ja, und auffallend ist, dass sich „Kleine Schiffe“ auffallend wenig um Sex dreht: zum Kinderkriegen mag der hilfreich sein, aber selbst dafür ist er bekanntlich längst keine Grundvoraussetzung mehr.