Klara Sonntag – Liebe macht blind

Mariele Millowitsch, Soma Pysall, Bruno Cathomas, Orlac, Wagner. Mehr als nur nett...

Foto: Degeto / Frank Dicks
Foto Rainer Tittelbach

Auch wenn die elternlos aufgewachsene Bewährungshelferin nach über fünf Jahrzehnten etwas über ihre Herkunft erfährt, ist sie mit ihrer Vergangenheit längst nicht im Reinen. Zu hören, dass ihre Eltern einen Raubüberfall verübt haben, bei dem die Mutter ums Leben kam und der Vater einen Wachmann erschoss, was für die Heldin Kinderheim bedeutete, das ist keineswegs heilsam. Dagegen scheint die Betreuung einer jungen Mutter, die ihrem Freund zuliebe Drogenkurierdienste übernahm, problemlos zu sein. Das vermeintliche Probewohnen bei ihrer langjährigen, geheimen Affäre nimmt dagegen einen nicht so glücklichen Verlauf. „Klara Sonntag“ (Gaumont) geht in die zweite Runde – etwas weniger komödiantisch, aber dank der lockeren Dialogwechsel und der Schlagfertigkeit der Hauptfigur nicht weniger unterhaltsam als der Einstand. Die etwas andere ARD-Helferinnen-Reihe ist ganz auf Mariele Millowitsch zugeschnitten: Ihre Figur ist eine Frau, auf die man sich verlassen kann, die jedoch Ecken, Kanten und schicksalhafte Lebenserfahrungen mitbringt. Eine sympathische Frau, aber kein moralisierender Gutmensch. Entsprechend spielt die Kölnerin ihre Rolle nicht gefällig, sondern lebensklug – und immer mit einem feinen Gefühl für Distanz.

Auch wenn die elternlos aufgewachsene Klara Sonntag (Mariele Millowitsch) jetzt, nach über fünf Jahrzehnten, etwas über ihre Herkunft erfahren hat, ist sie mit ihrer Vergangenheit kaum mehr im Reinen als bisher. Zu hören, dass ihre Eltern einen Raubüberfall verübt haben, bei dem die Mutter ums Leben kam und der Vater (Christian Grashof) einen Wachmann erschoss, während sie als Kind von ihnen auf einer Parkbank abgesetzt und nie abgeholt wurde, das ist keineswegs Balsam für die in jungen Jahren geschundene Seele. Da der Vater demnächst entlassen wird, steht die Bewährungshelferin vor einer grundlegenden Entscheidung. Ausgerechnet ihre Kollegin und beste Freundin (Thelma Buabeng) soll ihn betreuen. Dagegen ist Klaras aktuelle Probandin eher ein kleiner Fisch. Eda (Soma Pysall) wurde mit drei Kilo Marihuana erwischt und zu einer Haftstrafe auf Bewährung verurteilt. Die milde Strafe hat sie ihrem siebenjährigen Sohn Robert (Sammy Schrein) zu verdanken. Würde sie in den Knast gehen, müsste sich das Jugendamt um den Jungen kümmern; das aber will man vermeiden. Offiziell gilt der Vater des Jungen als unbekannt, in Wahrheit aber ist Edas Lebenspartner Nico (Tobias Joch) der „Erzeuger“; die Vaterschaft hat er allerdings nie anerkannt, und er ist es auch, der seine Freundin als Drogenkurier nach Amsterdam geschickt hat.

Klara Sonntag – Liebe macht blindFoto: Degeto / Frank Dicks
Neben Tieren gehen auch Kinder in ARD-Freitagsfilmen immer! Für ihren Sohn Robert (Sammy Schrein) würde Eda (Soma Pysall) alles geben. Dass er zusehen musste, wie seine Mutter von der Polizei verhaftet wurde, hat deutliche Spuren hinterlassen.

Verkehrte Welt in der zweiten Episode der ARD-Freitagsreihe „Klara Sonntag“: da dieser psychisch gestörte junge Mann, der seine Partnerin manipuliert, und dort der ehrlich liebende Richter Thomas Aschenbach (Bruno Cathomas), der alles versucht, um nach dem Tod seiner Frau aus der heimlichen Affäre mit Klara eine „richtige“ Beziehung zu machen. Und das Ergebnis: Die junge Frau hält an der toxischen Beziehung fest, während die so vernünftig wirkende Bewährungshelferin sich nicht auf diese gut gemeinte Zweisamkeit einlassen will. „Ich kann mit anderen Leuten nicht zusammenwohnen“, stellt Klara in barschem Ton klar. Ein Satz, dessen Subtext vor allem Bände spricht. Ein Satz mit Folgen. Dabei haben sich zuvor beide bemüht. Er hat lecker gekocht, sie kommt immerhin mit Pizza unterm Arm. Sie bringt einen Hund, der ihr vors Auto gelaufen ist, mit in sein Haus. Er akzeptiert es. Sie will seine Nerven dann doch nicht länger mit dem Vierbeiner strapazieren. Thomas aber hat sich derweil mit dem Hund angefreundet, anfangs, um Klara einmal mehr seine Geberqualitäten zu beweisen. Später dann wird der Hund für Thomas mehr und mehr zum Ersatz für Klara, die deutlich mehr ihre traumatische Kindheit als ihre amouröse Gegenwart beschäftigt.

Soundtrack: Marlena Shaw („California Soul“), Marvin Gaye („Got To Give It Up“), Supremes („You Can’t Hurry Love“)

Trotz der vielen weißen Flecken in ihrer frühen Biographie – Klara Sonntags Lebensbilanz kann sich sehen lassen: Sie ist eine aufrechte, engagierte Frau im öffentlichen Dienst, die helfen will und gern auch für individuelle Lösungen jenseits übertriebener Regeln eintritt. Ihre eigene Geschichte, ihre Erfahrungen aus Kindheit und Jugend, treibt sie an. So sah sie für ihren Fundhund das Tierheim nie als eine Option an. Und auch ihr aktueller Fall, die junge Frau mit Kind, weckt bei ihr böse Erinnerungen: So könnte der kleine Robert bei einem nächsten Vergehen seiner Mutter im Kinderheim enden. Für sie eine unmögliche Vorstellung. Schlimm genug, dass der Junge, der seit dem Prozess nicht mehr von der Seite seiner Mutter weicht, mitansehen musste, wie sie von der Polizei abgeführt wurde. Diese Klara Sonntag ist eine Rolle wie geschrieben für Mariele Millowitsch: eine Frau, auf die man sich verlassen kann, die jedoch Ecken, Kanten und schicksalhafte Lebenserfahrungen besitzt. Eine sympathische Frau, aber kein moralisierender Gutmensch. Entsprechend spielt die Kölnerin ihre Rolle nicht gefällig, sondern lebensklug. Und wenn ihrer Figur in „Liebe macht blind“ die Tränen kommen, dann macht Regisseurin Jeanette Wagner daraus nur ein Zwischenspiel. Will sagen: Diese Frau hat Gefühle, lässt sie aber nur in Extremsituationen raus. Sie hat für sich gelernt, stets eine gewisse Distanz zu bewahren. Das hilft vor abermaliger Verletzung. Diese oft nur dezente Distanz – gerade auch in intimen Szenen – ist im Spiel von Mariele Millowitsch in dieser Rolle stets spürbar. Aber auch in ihrem Sprachwitz steckt viel von Klara Sonntags Überlebensstrategie. Sie ist also mehr als eine nette, patente Person.

Klara Sonntag – Liebe macht blindFoto: Degeto / Frank Dicks
Klara (Mariele Millowitsch) mag ihren Knuddelbär Thomas (Bruno Cathomas), möchte aber nicht mit ihm zusammenwohnen.

Das komödiantische Moment hat Autor Sebastian Orlac (fünf launige „Lotta“-Episoden) diesmal etwas heruntergefahren. Für einen lockeren Ton sorgen die Dialogwechsel und die Schlagfertigkeit der Titelfigur. Der private Plot wirkt zunächst wie dem Alltag abgelauscht: Mal geht es Klara besser, mal weniger gut mit der aktuellen Wohnsituation, und ihre einsichtige Probandin scheint ihr wenig Probleme zu bereiten. Im Schlussdrittel geht es für die Heldin allerdings ans Eingemachte. Gleiches gilt für die junge Mutter, die aus ihrer Abhängigkeit zum Vater ihres Sohnes nicht herauskommt. Einerseits brauchen solche leichten TV-Dramen Zuspitzungen, andererseits sind sie im Rahmen einer solchen Helferinnen-Reihe vorhersehbar, was sie auf der Zielgeraden dramaturgisch etwas stereotyp erscheinen lässt. Das aber liegt im Wesen von Genre und Format: Da bei den vielen kleinen Geschichten für jede nicht allzu viel Zeit bleibt, wird beispielsweise der Fall mit einer Schwarzweiß-Dichotomie gelöst. Und überhaupt, Frauen sind in „Liebe macht blind“ nicht nur die besseren, sondern auch die lebenstüchtigeren Menschen. Sie packen an, packen zu, Biggy spendet Trost, Klara rettet Eda und hilft sogar ihrer derangierten Chefin (Jasmin Schwiers), die am Ende dann wieder – auch das etwas überzogen – die Hosen anhat. Die Männer indes sind alt und krank oder depressiv und egozentrisch. Und Thomas Aschenbach? Der ist ein Lieber, viel zu lieb für diese Welt; und für einen Richter wirkt dieser ein wenig weltfremd und naiv. Und das macht diesen Film dann doch wieder zärtlich komödiantisch. (Text-Stand: 15.2.2022)

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Reihe

ARD Degeto

Mit Mariele Millowitsch, Bruno Cathomas, Soma Pysall, Jasmin Schwiers, Thelma Buabeng, Sammy Schrein, Christian Grashof, Tobias Joch

Kamera: Birgit Gudjonsdottir

Szenenbild: Thomas Schmid

Kostüm: Kerstin Westermann

Schnitt: Corinna Dietz-Heyne

Musik: Ali N. Askin

Redaktion: Stefan Kruppa, Christoph Pellander

Produktionsfirma: Gaumont

Produktion: Ivo-Alexander Beck, Micha Terjung, Sabine de Mardt

Drehbuch: Sebastian Orlac

Regie: Jeanette Wagner

Quote: 3,71 Mio. Zuschauer (12,9% MA)

EA: 18.03.2022 20:15 Uhr | ARD

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