Klara Sonntag (Mariele Millowitsch) – der Name der Kölner Bewährungshelferin ist Programm. Klara, das bedeutet die Helle, die Leuchtende, die Klare. Diese Frau hat Ausstrahlung, hat Biss – und klar ist sie besonders dann, wenn sie ihren Schützlingen zu verstehen gibt, wie sie ihre Bewährungsstrafe nutzen sollten. So ist es ihr eine besondere Genugtuung, die arrogante Insolvenzbetrügerin Merle Scheffler (Nadja Becker) vom hohen Ross zu holen. Die Unternehmerin hat ihre Belegschaft um Sozialbeitrage geprellt, hat offenbar Millionen beiseitegeschafft und ihren Besitz ihrer Haushälterin (Johanna Gastdorf) überschrieben. 300 Sozialstunden sind da schon mal ein Anfang. Klara dringt auf solide Erfüllung der Strafe. Diese strenge Frau besitzt aber auch eine fürsorgliche Seite, und sie besticht durch ein hohes Maß an Empathie. So bringt sie dem 80jährigen Rudi (Christian Grashof) sehr viel Verständnis entgegen. Ein Mann, der über die Hälfte seines Lebens im Gefängnis verbracht hat, sich in der neuen Welt nicht zurechtfindet und der Reue zeigt, dem muss man anders unter die Arme greifen als einer Trickserin wie Scheffler. Dabei weiß Klara noch nichts von der schicksalhaften Verbindung zwischen ihr und diesem Langzeitverbrecher. Bliebe noch ihr programmatischer Nachname zu klären: „Sonntag“ – weil es ein Sonntag war, an dem Klara als Dreijährige mutterseelenallein auf einer Parkbank gefunden wurde.
Foto: Degeto / Frank Dicks
Zwar muss auch sie wie andere namhafte populäre Kollegen und Kolleginnen auf dem Bildschirm vor allem als Kommissarin (in der Rolle der Marie Brand) agieren, allerdings gehört Mariele Millowitsch zu den wenigen Vertretern ihres Fachs, die man in Filmen und Serien auch gern in anderen Berufen einsetzt. Ob als Hotelfachangestellte in „Girl Friends“, ob als Krankenschwester in „Nikola“, ob als „Familienanwältin“ in der gleichnamigen RTL-Serie, ob als Ärztin („Mama geht nicht mehr“), als Pfarrerin („Mein Gott, Anna“) oder zuletzt als engagierte Pflegerin („Käthe und ich“) – immer verkörpert die Grimme-Preisträgerin Personen, auf die man sich verlassen kann: Frauen unseres Vertrauens. Mariele Millowitsch, Jahrgang 1955, ist – ähnlich wie ihr Vater – eine Volksschauspielerin im besten Sinne. Ihre Persönlichkeit scheint mit ihren Charakteren zu verschmelzen. Schlagfertig bis spitzzüngig, patent, pragmatisch, eine Frau fürs Praktische, so stellt man sich Millowitsch auch privat vor. Echte, wahrhafte Menschen möchte sie verkörpern, „Menschen, die Fehler machen dürfen, sich mit Glück, Freude, aber auch Trauer auseinandersetzen müssen – einfach ganz normale Menschen“. Und: „Ohne Humor geht gar nichts!“, wie sie im ARD-Presseheft klarstellt.
Soundtrack: Deep Purple („Higway Star“), Joan Jett & the Blackhearts („I Love Rock’n Roll“), Led Zeppelin („Rock & Roll“), The White Buffalo („Wish It Was Free“), Kate McGill („Wouldn’t It Be Nice“)
Foto: Degeto / Frank Dicks
In ihrer Rolle der Klara Sonntag bedient sie nun einmal mehr genau dieses Bild der aufrechten, engagierten Frau im sozialen Dienst, die helfen will, aber dies nicht penetrant gutmenschelnd tut und sich dabei keineswegs immer politisch korrekt verhält. Angenehm auch, dass „Klara Sonntag“ über die individuellen Selbstfindungsgeschichten hinausgeht und ein Stück weit Moral und soziales Gewissen in den narrativen Fokus rückt. Und so wie sich in der Kommunikation des realen Lebens Einschätzungen von Situationen und moralische Bewertungen von Personen verändern können, so begegnet die Heldin beispielsweise auch ihren beiden „Schutzbefohlenen“ immer wieder anders. Die Guter-Mensch-schlechter-Mensch-Dichotomie wird aufgelöst zugunsten einer gewissen Charakter-Ambivalenz. Und auch der Tonfall ist eine Mischung aus problemhaltigen Themen und Gute-Laune-Nummern, wie sie für Millowitsch typisch sind, deren Screwball-Comedy-liken Wortgefechte mit Walter Sittler in „Nikola“ und einigen ZDF-Komödien unvergessen bleiben. Dazu gehört auch, dass Klara Sonntag mit ihrer elternlosen Kindheit ein emotional zutiefst beschädigter Mensch ist. Bindungsangst ist die schmerzhafteste Hinterlassenschaft ihrer Biographie. Seit 15 Jahren unterhält sie eine Affäre mit Richter Thomas Aschenbach (immer top: Bruno Cathomas). Der hat sich vor Kurzem von seiner Frau getrennt, will nun eine „richtige Beziehung“, doch die Heldin fremdelt mit diesem Gedanken. Das Ganze wird wunderbar auf den komödiantisch-musicalhaften Punkt gebracht in der Eröffnungsszene: ein getanzter Heiratsantrag im Gerichtssaal, der sich als ein Traum – beziehungsweise für Klara als ein Alptraum – entpuppt.
Das Ernsthafte und das Komödiantische, das Schwere und das Leichte verbindet „Kleine Fische, große Fische“, so der Titel der Auftakt-Episode, auf eine launig-frische Art und Weise. Das Tempo des Films ist flott wie die salopp gekleidete Hauptfigur, sehr originell sind einige Szenenüberleitungen und der Soundtrack ist ungewohnt fetzig gemessen am Sendeplatz. Für den Score hat Ali N. Askin rockige Rhythmen auf Instrumentalpop heruntergebrochen – und weil Klara Sonntag es auch musikalisch kraftvoll und geradeaus mag, ertönen zwischendurch sogar Led Zeppelin, Deep Purple oder Joan Jett. Regie führte Oliver Schmitz. Das passt zu den Eindrücken, die man aus diesem unterhaltsamen Film mitnimmt: Schmitz Regie veredelte einst Bora Dagtekins Bücher zu „Türkisch für Anfänger“ und „Doctor’s Diary“. Am Ende obsiegt in „Klara Sonntag“ allerdings das Drama über die Dramödie: Was hat jene traumatisch besetzte Parkbank mit jener Bank zu tun, die vor Jahrzehnten in Köln ausgeraubt wurde? Die Konstruktion von Autor Sebastian Orlac („Lotta“-Reihe / „Keiner schiebt uns weg“) ist gewagt, bricht auf gewisse Weise mit dem alltagsnahen Umgangston und wird entsprechend im Film schon mal vorsorglich kommentiert („ein riesengroßer Zufall“), hat jedoch auch einen Vorteil: Die finale psychologische Wendung schreit geradezu nach einer Fortsetzung.