Hollywood-Drehbuchautor Joe Eszterhas („Basic Instinct“) war zu seiner Zeit ein Spezialist für den sogenannten Plot Twist, eine radikale Handlungswende, die die zurückliegenden Ereignisse in ganz anderem Licht erscheinen lässt. Diesen Punkt erreicht irgendwann auch „Erste Liebe“, der dritte Film aus der Reihe mit Mariele Millowitsch. Klara Sonntag, Mitarbeiterin beim Sozialen Dienst am Kölner Landgericht und bislang vor allem als Bewährungshelferin im Einsatz, soll ein Gutachten über einen Mann erstellen, der seine Nachbarn in der Vorortsiedlung um ihr Erspartes gebracht hat. Mit der „Ponzi-Methode“ hat sich einst auch Jürgen Harksen bereichert, das Vorbild für Dieter Wedels Hochstaplerkomödie „Gier“ (2010). Sie funktioniert ganz einfach: Der Betrüger verspricht eine traumhafte Rendite, aber das Geld, das er den Altkunden auszahlt, stammt von den Neukunden. Versicherungs-Kaufmann Stehmann (Tim Bergmann) beteuert jedoch, er habe sich nicht bereichern wollen. Klara glaubt ihm, zumal sie den attraktiven Fünfziger gut kennt: Henning war vor 30 Jahren einer ihrer ersten Fälle als Sozialhelferin. „Struppi“ hing damals an der Nadel, mit ihrer Hilfe hat er den Entzug geschafft. Außerdem waren die beiden schwer ineinander verliebt, was prompt dazu führt, dass sie nach dem Wiedersehen auch die Nacht miteinander verbringen. Das ist natürlich absolut unprofessionell, weshalb Klara den Fall umgehend abgeben will.
Anfangs ging es in den Beiträgen zu den diversen ARD-Freitagsreihen vor allem um persönliche Befindlichkeiten, aber das hat sich längst geändert; gerade in „Käthe und ich“, „Toni, männlich, Hebamme“ oder „Die drei von der Müllabfuhr“ stehen regelmäßig soziale Themen im Vordergrund. Für „Klara Sonntag“ gilt das erst recht, schließlich dreht sich der berufliche Alltag der Titelfigur um nichts anderes. Von anderen Helferinnen mit Herz unterscheidet sich Klara zudem durch ihre mitunter ruppige Art, zumal sie ihre Probleme stets im Alleingang zu lösen versucht. Das verstärkt den Kontrast zu ihrer Kollegin Biggy Asana (Thelma Buabeng), die in dieser Episode zur beinahe gleichwertigen zweiten Hauptfigur wird: Ausgerechnet die afrodeutsche Kollegin soll sich eines wegen Volksverhetzung verurteilten Rassisten (Felix Vörtler) annehmen. Dessen achtmonatige Gefängnisstrafe ist zur Bewährung ausgesetzt worden. Zum Ausgleich soll der Frührentner, aus Biggys Sicht ein typischer „Wham“ (weißer heterosexueller alter Mann), der nicht akzeptieren kann, dass sich die Welt weitergedreht hat, Sozialstunden leisten: bei einer Organisation für Flüchtlingshilfe. Auch Biggy trifft wie Klara auf einen alten Bekannten, auch sie verhält sich unprofessionell: Herr Telschik war einst ihr Lateinlehrer. Als sie und andere in der Schule „Wahrheit oder Pflicht“ gespielt haben, hat er sie die Pflicht zur Wahrheit gelehrt, doch nun reagiert sie auf seine Provokationen mit einer Beleidigung; jetzt droht ihr die Suspendierung.
Soundtrack: Santana („Oye Cómo Va“), Bruce Springsteen („I’m On Fire”), Bruno Merz („For You Now”), David Bowie („Rebel Rebel”), The Band („It Makes No Difference”), Travis („Love Will Come Through”)
Reihenschöpfer Sebastian Orlac und der erfahrene Regisseur Josh Broecker, der nicht nur bei „Marie Brand“ schon oft mit Millowitsch zusammengearbeitet hat, betten die beiden Handlungsebenen in einen sendeplatztypischen Rahmen. Gerade die Erlebnisse von Biggy sollen natürlich eine Botschaft vermitteln, doch der Tonfall ist tendenziell heiter und positiv: Bewährung, erklärt Klaras Kollegin einer erzürnten Nachbarin ihres früheren Lehrers, biete den Betroffenen die Chance, sich zu bewähren; aber diese Chance müsse ihnen auch gewährt werden. Das Wiedersehen von Klara und „Struppi“ wird zudem komödiantisch eingeführt: „Erste Liebe“ beginnt mit einer in Zeitlupe gefilmten Rauferei zwischen Henning und einem seiner Kunden (Ronald Kukulies), der sein bester Freund war, bis der Schwindel aufflog. Die ersten Szenen mit dem alten und neuen Liebespaar sind ohnehin Romanze pur, zumal Orlac auch die Herkunft des tätowierten Sterns unter Klaras Schlüsselbein erklärt. Selbst Hennings Betrugsmotive sind nachvollziehbar: Er ist nach dem frühen Unfalltod der Eltern wie Klara im Waisenhaus aufgewachsen und sein Leben lang Außenseiter gewesen. In der Siedlung habe sich zum ersten Mal die Chance ergeben, Teil einer Gemeinschaft zu werden; die versprochene Rendite war quasi sein Mitgliedsbeitrag. Der Hinweis eines jungen Gärtners sowie mehrere Wettscheine in Hennings Papierkorb lassen Klara allerdings ahnen, dass der mittlerweile mittel- und obdachlose Jugendfreund ihr womöglich nicht die ganze Wahrheit gesagt hat; doch diese Erkenntnis ist nichts gegen die verblüffende Schlusspointe.