King of Stonks

Schubert, Brandt, Käßbohrer, Bonny. Irrwitziger Finanzmarkt, irrsinnig komische Serie

Foto: Netflix
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Wie man mit frei erfundenen Neukunden an der Börse Kasse machen kann, wie die Sache mit den Leerverkäufen oder dem „Shorten“, dem Reihbachmachen mit den Börsenverlusten anderer, funktioniert, das bekommt man in der deutschen Serien-Satire „King of Stonks“ (Netflix / btf) opulent selbstreferentiell & popkulturell unterhaltsam präsentiert – in sechs dramaturgisch gut strukturierten, tempo- und informationsreichen, aber nie verwirrenden oder gar belehrenden Folgen. Die Geschichte lehnt sich an den Aufstieg und Fall des Digitalbezahl-Startups Wirecard an, das schnell zur großen Hoffnung für den Digitalstandort Deutschland avancierte. Aus der Börsenrakete wurde ein Betrugsskandal, ein Milliardengrab. Da Headautor Philipp Käßbohrer sich nicht am realen Fall entlanghangelt, gelingt dieser herausragenden Serie eine universale bitterböse Abrechnung mit einer perversen Branche – und sie ist dadurch noch verspielter und komischer, noch origineller und überraschender als die dieses Jahr Grimme-Preis-gekrönte Sky-Serie „Die Ibiza-Affäre“. Und Matthias Brandt brilliert – als größenwahnsinniger Narzisst mit Kunstgebiss und Bräunungscreme.

Darum geht’s in „King of Stonks“
Felix Armand (Thomas Schubert) will ganz nach oben. Der ehemalige Programmierer will CEO vom größten fucking FinTech Unternehmen Europas werden. Doch leider fliegt ihm schon während des Börsengangs von Cable Cash alles um die Ohren: Geldwäsche, Anleger-Täuschung, Internetpornografie. Er muss sich um alles gleichzeitig kümmern. Sein größenwahnsinniger Chef Magnus Cramer (Matthias Brandt) glänzt währenddessen im Rampenlicht. Und ganz nebenbei verliebt sich Felix auch noch in genau die Frau, von der er sich dringend fernhalten sollte: In die Shortsellerin Sheila Williams (Larissa Sirah Herden).

Dauerschmunzelnd etwas vom aberwitzig Unverständlichen verstehen
Es ist immer dasselbe Spiel, auch schon bei der Finanzkrise 2008: Geltungssüchtige treffen auf Leichtgläubige; Gier frisst Hirn. Schöngeistern, denen der Finanzsektor lange Jahre unverständlich blieb, gab Adam McKay („Vice – Der zweite Mann“) in „The Big Short“ 2016 anschaulich sarkastisch gefärbte Nachhilfe. Wie man mit frei erfundenen Neukunden an der Börse Kasse machen kann und wie die Sache mit den Leerverkäufen, dem Ankauf exotischer Klitschen zu überhöhten Preisen und dem „Shorten“, dem Reihbachmachen mit den Börsenverlusten anderer, funktioniert, das bekommt man in der deutschen Serien-Satire „King of Stonks“ aus dem Hause btf („How to Sell Drugs Online (Fast))“ nun etwas ausführlicher, aber keineswegs weniger unterhaltsam präsentiert – in sechs dramaturgisch gut strukturierten, tempo- und informationsreichen, aber nie verwirrenden oder gar belehrenden Folgen.

King of StonksFoto: Netflix
„King of Stonks“ mit Thomas Schubert und Matthias Brandt. Das Kunstwort „Stonks“ könnte eine Anlehnung an „Stocks“ = Aktien sein (falsch geschrieben als Indiz für eine Branche, in der Dummheit regiert), und es erinnert ein bisschen an „Schtonk“.

Erfreulicherweise sehr frei nach dem wahren Wirecard-Betrugsskandal
Die Geschichte lehnt sich an den Aufstieg und Fall des Digitalbezahl-Startups Wirecard an, das schnell zur großen Hoffnung für den Digitalstandort Deutschland avancierte. Aus der Börsenrakete wurde ein Betrugsskandal, ein Milliardengrab. Da Headautor Philipp Käßbohrer sich nicht am realen Fall entlanghangelt, gelingt dieser herausragenden, für Netflix produzierten Serie eine universale bitterböse Abrechnung mit einer perversen Branche – und sie ist dadurch noch verspielter und komischer, noch origineller und überraschender als die dieses Jahr Grimme-Preis-gekrönte Sky-Serie „Die Ibiza-Affäre“. So weiß der ironisch-süffisante Kommentar aus dem Off gleich zu Beginn: „Seien wir mal ganz ehrlich; ohne zweifelhafte Firmengeschichte hat es in Deutschland noch keine Firma nach ganz oben geschafft.“ Ähnlich wie McKay setzen auch die Macher von „King of Stonks“ auf die spielerischen wie erkenntnisstiftenden Möglichkeiten der Komödie. Regie führt – das ist eine Überraschung – der bisher eher als „Spaßbremse“ bekannte Ausnahme-Filmemacher Jan Bonny. Dessen Lieblingsschauspieler ist Matthias Brandt, mit dem er vier entsprechend sehr schwere Dramen (u.a. „Gegenüber“ / „Polizeiruf – Der Tod macht Engel aus uns allen“) gedreht hat. Jetzt darf der Schauspieler dem Affen mal so richtig Zucker geben – und er macht das sensationell: als völlig hemmungsloser Narzisst mit Kunstgebiss und Bräunungscreme darf er johlen, brüllen, lallen, grunzen, sogar furzen darf sein CEO und wie alles, was er zustande oder nicht zustande bringt, ist er selbst beim Furzen wie berauscht von sich selbst.        tit.

Bei diesen Zeilen wollen wir es belassen. Immerhin gibt es schon einige sehr gute Kritiken zu „King of Stonks“. Hier eine kleine Presseschau:

Serien über Finanzbetrug in der digitalen Welt haben zwei Probleme. Erstens versteht kaum jemand, wie der Betrug funktioniert. Zweitens gibt es nichts Öderes, als sich Zahlen auf dem Bildschirm anzuschauen. Martin Scorsese hat im Film „The Wolf of Wall Street“ die Lösung gezeigt. Man lässt es in der analogen Welt ordentlich krachen, damit Leinwand und Bildschirm funkeln. „King of Stonks“ folgt diesem Muster … Die Serie ist purer Pop, eine Feier der glitzernden Oberfläche. „Bad Banks“ ist im Vergleich dazu der reinste Ingmar Bergman. (TV Spielfilm)

King of StonksFoto: Netflix
Was allein zählt, ist eine gute Geschichte. Und der Chef (Matthias Brandt), der vom Finanzwesen rein gar nichts versteht, hat immer eine in petto. Seine Fans lieben ihn.

Sie erfinden Kunden, Investoren, Bilanzen, fälschen so gut wie alles, was möglich und nötig ist, um die Blase nicht platzen zu lassen. Dabei kommen ihnen mal Investoren aus der Porno-Industrie, mal die italienische Mafia und auch der österreichische Geheimdienst in die Quere. Wunderbar absurd wird es auch, wenn ihr Edelmitarbeiter namens „Thai-Klaus“ in die Szenerie tritt. Überhaupt: Gearbeitet wird in diesem Unternehmen nie. Zumindest sieht man nichts davon. Hier wird ständig gefeiert – im Büro, im Garten oder auf der Poolparty… „King of Stonks“ ist eine schnell erzählte Serie, regelmäßig unterbrochen von einer Erzählstimme, die Hintergrundinformationen zu Protagonisten und Vorgängen liefert. Der Cliffhanger am Ende der sechsten Folge lässt auf eine zweite Staffel hoffen – und manchen CEO vielleicht auch zittern. (cls, Handelsblatt)

„King of Stonks“ unter der Regie von Jan Bonny darf in dieser Hinsicht als nahezu idealtypisch anders gelten. Nur ein Jahr hat es gedauert vom ersten Telefonat über die Standleitung zu Netflix bis zur Abgabe der ersten Folge. Im Autorenteam wurden Kompetenzen für Comedy, Arthouse und Journalismus gleichermaßen berücksichtigt. Und damit sich alles am Ende auch zu einem Ganzen fügt, braucht es über die genannten Fachkräfte hinaus fähiges Personal. Eine besonders lobende Erwähnung verdient dabei mit Sicherheit Matthias Brandt … (Sein) Cramer kennt Wörter wie „Arschkotze“ oder „Ökonutte“ und er nutzt die Technologie des autonomen Fahrens in seinem, natürlich, Tesla, um bei laufender Fahrt die Hand an den körpereigenen Steuerknüppel zu legen. Cramer ist ordinär und geltungssüchtig bis dahin, dass er sogar seinen Fürzen noch mehr Raum gibt als seinen Mitmenschen, selbst wenn sich alle – Cramer, Mitmensch, Fürze – gerade in einem Aufzug befinden. Der CEO verfügt natürlich auch über den für Nebenirdische üblichen esoterischen Hau („Mahatma, kommst du? Wir machen dem Felix mal ’ne Kraniosakraltherapie“), und er kennt Leute wie etwa den barfüßigen Quartalswahnsinnigen, den alle nur „Thai-Klaus“ nennen und der, warum auch nicht, irgendwann zum „Head of International Strategy“ der Cablecash AG ernannt wird. (Cornelius Pollmer, Süddeutsche Zeitung)

King of StonksFoto: Netflix
Grund zum Johlen. Die Aktie geht durch die Decke. Wer muss da noch arbeiten?! Bereits vor der Premiere auf Netflix gab es für „King of Stonks“ den Bernd Burgemeister Preis, einen Produzentenpreis, verliehen beim Filmfest München.

Was zählt, ist das „Storytelling“. Der uralte Witz, Leuten einzureden, es gebe mehr auf dieser Welt, als sie sich vorstellen können und dass sie etwas von jetzt an unbedingt haben müssen. Weil sie dann Teil von „etwas Großem“ sind. Weil es sonst der Nachbar bekommt. Das läuft, solange alle daran glauben. So funktioniert ja auch die Börse … In dieser Serien-Satire, die zum großen Teil in Düsseldorf spielt, gehen einem mehr als einmal die Augen über vor so viel Blindheit, Dummheit, Eigennutz und krimineller Energie in bunten Schneller-Vorlauf-Bildern. Visuell wird der Größenwahn der Akteure inszeniert, bis einem vor lauter Chuzpe, glücklichen Zufällen und (Insider-)Witzen schwindlig wird. Das Fatale am Geschichten-Erzählen ist, wie auch „King of Stonks“-Cramer weiß: Storys schaffen Sinnzusammenhänge, die wahr sein können oder blenden und manipulieren. (Heike Hupert, FAZ)

Gut, klar, das Image der hemmungslosen Finanzwelt ohne jedes Maß gab es schon immer. Ist das also neu? Nein, aber der reale Fall Wirecard bestätigte: Die Realität kann sogar noch sehr viel schlimmer sein. Diese sechsteilige Miniserie ist deshalb eine dringend benötigte Genugtuung für das allgemeine Gerechtigkeitsempfinden. Juristische Aufarbeitungen dauern oft, diese schallende Ohrfeige jetzt kommt schneller. Die Finanzbranche bekommt mit popkulturellen Mitteln der Serien-Unterhaltung den Spiegel vorgehalten – und wird ausgelacht von einem famosen Matthias Brandt. (Thomas Lückerath, DWDL)

„King of Stonks“ ist auf die denkbar derbste Weise komisch und dabei so maximal hyperreferentiell, dass man irgendwann schon anfängt Referenzen zu sehen, die vielleicht gar nicht als solche gemeint sind. Das falsche Gebiss und die Grunzlaute von Matthias Brandt: Soll da etwa Horst Schlämmer zitiert werden – oder hat man sich einfach nur – ironisch versteht sich – aus der Mottenkiste des komischen Fachs bedient? (Jens Müller, taz)

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Netflix

Mit Thomas Schubert, Matthias Brandt, Larissa Sirah Herden, Sophia Burtscher, Andreas Döhler, Eva Löbau, Bibiana Beglau, Christian Tramitz u.v.a.

Kamera: Nikolai von Graevenitz, Borris Kehl, Leena Koppe

Szenenbild: Julia Maria Baumann

Schnitt: Rainer Nigrelli, Florian Böttger, Christoph Otto

Musik: Konstantin Gropper, Ziggy Has Ardeur

Produktionsfirma: btf

Produktion: Matthias Murmann, Jan Bonny, Philipp Käßbohrer

Headautor*in: Philipp Käßbohrer

Drehbuch: Philipp Käßbohrer, Jan Eichberg, Jan Eichberg, Fabienne Hurst, Mats Frey

Regie: Jan Bonny, Facundo Scalerandi, Isabell Šuba

EA: 06.07.2022 10:00 Uhr | Netflix

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