So beginnen normalerweise romantische Komödien: Nach einem schmerzhaften Aufeinandertreffen im Straßenverkehr kommt es kurz darauf zu einer zweiten Begegnung. Die beiden Beteiligten werden jedoch kein Paar: Sie ist die Rektorin einer Hamburger Stadtteilschule, er ein neuer Schüler; sie hat ihn angefahren, betrachtet es aber als Akt der Gewalt, dass er ihr im Weg stand. Eigentlich hatte Younes wegen seiner blutigen Nase auf ein Schmerzensgeld gehofft, nun soll er die Autoreparatur bezahlen, sonst kann er die Schule gleich wieder verlassen. Mit diesem Prolog ist das Zeichen gesetzt: „Keks“ ist Comedy, die ihre Heiterkeit daraus bezieht, dass es stets anders kommt, als Younes, Shirin, Amadou und Rocky denken. Die vier treffen sich regelmäßig in den Pausen auf einer Bank außer Sichtweite der anderen. Der Titel, in eigener Schreibweise „KEKs“, bezieht sich auf ihren Status: Im Rapper-Slang steht „Kek“ für Loser, Verlierer. Die vermeintlichen Außenseiter sind ganz normale Jugendliche im fortgeschrittenen Teenager-Alter, doch was sie anpacken, geht trotz vielversprechender Ansätze meist erst mal schief; das gilt für Beziehungen ebenso wie für vermeintlich lukrative Nebeneinnahmen.
Nora Gantenbrink war als Autorin vor einigen Jahren maßgeblich an „Deadlines“ (ZDF, 2021) beteiligt, einer erfrischend boshaften und politisch sehr unkorrekten Dramedy über vier Frankfurter Freundinnen um die dreißig, die vor wichtigen Entscheidungen stehen. Das „Keks“-Quartett ist gut zehn Jahre jünger, aber die Voraussetzungen sind ähnlich. Deshalb behandeln die Drehbücher (Koautoren: Jakob Schreier, Hassan Akkouch) im weiteren Verlauf auch durchaus ernste Themen: Eine Folge spielt im Berufsinformationszentrum der Arbeits-Agentur, wo nach einem Test einige Träume platzen. Als die Klasse, angestachelt durch eine nicht minder enttäuschte Lehrerin (Sophie Hutter), ihrer Wut freien Lauf lässt, interessieren sich plötzlich die Medien für die Stadtteilschule Wandsbek, die prompt zu „Deutschlands schlimmster Schule“ wird. Eine TV-Journalistin pickt sich aus den Interviews selbstredend jene Sätze raus, die sie den Schülerinnen und Schülern vorher in den Mund gelegt hat.
Foto: Joyn / Marc Rehbeck
Trotz solcher seriösen Aspekte ist der Tonfall der acht Folgen ähnlich wie beim modernen RTL-Klassiker „Der Lehrer“ von heiterer Gelassenheit geprägt. Anders als dort geht es hier jedoch ausschließlich um die Perspektive der ausnahmslos formidabel verkörperten Jugendlichen: David Ali Rashed (Younes), Manal Raga a Sabit (Shirin), Aaron Maldonado-Morales (Amadou) und Vito Sack (Rocky) überzeugen gerade auch als Gruppe, viele Gespräche sind improvisiert; die Handschrift von Produktionsfirma Pyjama Pictures, die für Joyn und ProSieben unter anderem „Jerks“ mit Christian Ulmen und Fahri Yardim produziert hat, ist unverkennbar.
Soundtrack: Booz („Der Boy“), Kxllswxtch („Waste“), Team Scheisse („Schmetterling“), Ufo361 („Rich, Rich“, „Allein sein“)
Dass die Serie so gut funktioniert, hat nicht zuletzt mit den nicht minder prägnant besetzten weiteren Mitwirkenden zu tun. Den größten Spaß macht Bettina Hoppe als kernige Rektorin, die ihre Lehranstalt getreu der Devise „Wir werden das Schiff schon schaukeln“ zielsicher durch alle Stürme steuert. Dabei denkt sie zwar stets in erster Linie an sich selbst, aber irgendwie profitieren am Ende beide: Was gut für sie ist, ist auch gut für die Schule. Ihre Szenen sind mit Abstand die witzigsten, wobei Hoppe eine reizvolle Ambivalenz gelingt. Im Grunde ist Sabine Bischof höchst unsympathisch, zumal sie sich kein Stück für die Probleme und Sorgen der Jugendlichen interessiert. Als Amadou die Abschiebung droht, hört sie nicht mal richtig zu, denn gleich kommt die Hamburger Schulsenatorin (Milena Dreissig), die sich nach der negativen Berichterstattung überzeugen will, ob es wirklich so schlimm um Wandsbek steht. Aus Rache will die Clique dafür sorgen, dass der Besuch zum Desaster wird. Der Plan geht dank diverser Sabotageaktionen zunächst auch auf, die Politikerin ist schockiert, aber dann wandelt sich ihre Haltung auf wundersame Weise.
Die zweite wichtige „erwachsene“ Rolle spielt Koautor Hassan Akkouch. Elias Schneider ist wie Younes neu an der Schule und ein junger Lehrer, dessen Ideale einer harten Prüfung unterzogen werden, vor allem durch seine ignorante Chefin, die ihn für einen Libanesen hält: Er kommt aus Bayreuth, sie versteht in ihrer Voreingenommenheit Beirut. Dass sich Shirin in den attraktiven Schneider verliebt, erleichtert seine tägliche Arbeit auch nicht gerade. Younes wiederum hat sich in Mona (Lucy Gartner), die Freundin von Ufuk, verguckt. Charles Booz Jakob macht als cooler Ex-Schüler, der alles liefern kann, was das Herz begehrt, ähnlich wie Hoppe aus jeder Szene einen Auftritt. Dabei gelingt allen das Kunststück, komisch zu sein, ohne in die Parodie abzurutschen. Das Etikett „authentisch“ ist zwar mittlerweile ziemlich abgenutzt, aber hier passt es einfach. Viele der mit todernster Miene vorgetragenen Dialogsätze sind ein Vergnügen, aber zu einer großen kleinen Serie wird „Keks“ durch absurde Begebenheiten wie jener, als sich Rocky zur Strafe für den Besitz eines Butterfly-Messers um einen imaginären Hund kümmern muss, oder als die spielsüchtige Rektorin die finanzielle Misere der Schule ausgerechnet mit einer Pokerpartie beenden will. Einer der illustren Gäste verbirgt sein Gesicht; seine Demaskierung wird beim jüngeren Teil des Joyn-Publikums spontane Kindheitserinnerungen wecken. (Text-Stand: 9.10.2024)