Gleicher Lohn für gleiche Arbeit: 29 Arbeiterinnen verklagen ihren Arbeitgeber
Gelsenkirchen, 1979. Lilli (Alwara Höfels) will sich nicht länger unter Wert verkaufen. Durch einen Zufall erfährt sie, dass in dem Fotolabor, in dem sie arbeitet, die Männer für die gleiche Arbeit ein Mehrfaches an Zulagen bekommen. Über den Betriebsrat Ritschi (Christoph Bach) nimmt Lilli Kontakt zur Gewerkschaft auf. Seit über 30 Jahren steht die Gleichberechtigung im Grundgesetz, eine Verfassungsklage wäre also keineswegs aussichtslos. Dafür brauchen Lilli und ihre mehr oder weniger klagewilligen Kolleginnen Rosi (Katharina Marie Schubert) und Gerda (Imogen Kogge) allerdings eine breite Unterstützung. Nach Anlaufschwierigkeiten („Mein Mann hält nichts von sowas“) sind 29 Fotolaborantinnen bereit, eine Sammelklage gegen ihren Arbeitgeber anzustrengen. Die IG Druck und Papier gibt Rechtsschutz, ein paar Regionalblätter berichten – der Richter jedoch lehnt die Klage ab. Die Frauengruppe droht, auseinanderzufallen. Die meisten haben noch ganz andere Sorgen. Auch Lilli wachsen ihre privaten Probleme über den Kopf: Kalle (Karsten Antonio Mielke), der Vater ihrer beiden Kinder, hat eine Neue (Marie Burchard), zahlt keinen Unterhalt und der Vermieter droht ihr mit einer Räumungsklage. Trotzdem macht sie den anderen Frauen weiter Druck; den aber haben sie bei sich Zuhause und bei der Arbeit schon genug. Erst als Lilli einen Gang runterschaltet, besteht wieder die Chance, dass es der Club der aufsässigen Frauen vor das Bundesarbeitsgericht wagt. Die öffentliche Stimmung ist gut, doch dann fehlt Lilli die Kraft.
„Wir wollten anhand dreier Frauenschicksale zeigen, wieviel Kraft es braucht, sich aus den bestehenden Verhältnissen zu lösen. Vieles im Film ist Original geblieben, so auch das titelgebende Lied ‚Keiner schiebt uns weg‘, das die Heinze-Frauen selbst komponiert haben. Am Ende erzählt der Film eine geglückte Geschichte: Die Frauen gewinnen, nicht nur ihre Klage, sondern auch Achtung vor sich selbst.“
(Statement des Autoren-Duos Ulla Ziemann und Sebastian Orlac)
Gesellschaftliches Aufbegehren anno 1979 – mit dem Mute der Verzweiflung
Ein Stück Frauenemanzipationsgeschichte von unten erzählt der Fernsehfilm „Keiner schiebt uns weg“ (WDR, Degeto). Den jahrelangen Kampf von 29 Arbeiterinnen einer Gelsenkirchener Foto-Firma, der aus ihnen die bald auch überregional bekannten „Heinze-Frauen“ machte, hat es tatsächlich gegeben. Selbst das angenehm gebrochene Happy End, das eher ein ideelles als ein materielles ist, hat sich in Wirklichkeit so zugetragen. Aus dramaturgischen Gründen haben die Autoren Sebastian Orlac und Ulla Ziemann die Film-Klägerinnen allerdings ihre Prozesse in anderen Instanzen gewinnen oder verlieren lassen als in der Realität. Die Ruhrpottlerinnen haben etwas bewegt für kommende Arbeitskämpfe, sie ermutigten ihre Kolleginnen bei Langnese, Horten oder Karstadt dazu, den Klageweg einzuschlagen. „Keiner schiebt uns weg“ wird im Rahmen der ARD-Themenwoche „Gerechtigkeit“ gezeigt. Es ist nach der Serie „Zarah – Wilde Zeiten“ (ZDF, 2017) und dem preisgekrönten Fernsehfilm „Aufbruch in die Freiheit“ (ZDF, 29.10.18) über den Kampf um die Abschaffung des §218 ein weiterer gelungener Versuch, sich an die Heldinnen des Alltags zu erinnern, die sich in den 1970er Jahren das bisschen mehr an Gleichberechtigung hart erkämpfen mussten. Damit rekurriert der Film auch auf eine Zeit, in der man noch nicht allein in die Behaglichkeit des Privaten flüchtete und in der das Aufbegehren noch zum guten Ton gehörte und demokratische Wege ging – mit dem Mut der Verzweiflung statt mit blinder Wut.
Private Dramen, gut dosierte Wohlfühlmomente & Höfels als Kumpel von nebenan
Als Zuschauer braucht man möglicherweise etwas Zeit, um sich in den Film einzufinden. Das klappt umso leichter, je mehr die Charaktere Konturen gewinnen und der Kleine-Leute-Sprech hinter die Geschichte(n) zurücktritt. Und mit der 1A-Besetzung sind die Bedenken, es hier mit wohlbekannten Klischee-Typen zu tun zu bekommen, schnell ausgeräumt. Alwara Höfels als dufter Kumpel von nebenan dürften auch in dieser Rolle die Wellen der Sympathie entgegenschlagen; zumal die Figur im Laufe der Handlung deutlich an Tiefe und Tragik gewinnt: So forsch diese Lilli auch sein kann, wenn ihr „blöder Macker“ sie verlassen will, wird sie plötzlich ganz kleinlaut, hat Angst vorm Alleinsein, weiß nicht, wie sie es schaffen soll mit den Kids. Stimmig besetzt sind auch Imogen Kogge als bodenständige Witwe mit Hang zur Pott-Nostalgie („Herz aus Kohle“), Katharina Marie Schubert als verhuschte Ehefrau, die ohne das Wissen ihres Mannes arbeiten geht und sich erst nach Anlaufschwierigkeiten emanzipiert, Christoph Bach als Betriebsrat, der nur ein kleines Bisschen auf Lilli steht und ihr dennoch mit Rat, Tat & Geld unter die Arme greift, oder Karsten Antonio Mielke als Lillis zukünftiger Ex („Für wen hältst du dich eigentlich?“), der nicht zum Total-Buhmann gestempelt wird und immer mal wieder für eine kleine Überraschung gut ist. Das Ganze als Dramödie zu erzählen, ist die richtige Entscheidung; in einem ernsthafteren Tonfall hätte diese ganze Solidaritätsnummer leicht in unzeitgemäße Sozialromantik ausarten können – zumal ja auch der Stoff nur eine geringe dramaturgische Variationsbreite besitzt. Chronologisch begleitet man als Zuschauer das vorhersehbare Auf und Ab der handlungstragenden Figuren. Es menschelt durchaus sympathisch, weil die Feelgood-Momente wohl dosiert sind und weil durch das Genre immer auch ein kleines Augenzwinkern mit im Spiel ist. Besonders köstlich der Text, den Lilli ihrer Freundin Gerda – kopfschüttelnd amüsiert – aus einem Buch übers Arbeitsrecht vorliest: „Frauen sind schwerer anlernbar und ihre Reaktionsgeschwindigkeit ist um 25 Prozent langsamer als die der Männer. Monotone Arbeiten liegen ihnen besonders, weil sie durch die Hausarbeit an Gleichförmigkeit gewöhnt sind. Wegen ihres Körperbaus sind sie gut geeignet für Arbeiten in Bodennähe.“
„Wir haben versucht, den Humor eher subtil zu halten und die Emotionen und Glaubwürdigkeit der Figuren ernst zu nehmen … Dadurch dass ich schon einiges gedreht habe, habe ich das Glück, dass gute Schauspieler ganz gerne mit mir arbeiten wollen. Dann spielen ‚Hauptrollen-Schauspieler‘ auch mal eine ‚Supporting-Role‘. Bei diesem Projekt hat aber sicher auch die Wichtigkeit der Botschaft des Filmes geholfen.“ (Wolfgang Murnberger, Regisseur)
Der Plot dieser Solidaritätsstory wird zunehmend thematisch breiter & komplexer
Die Dialektik von Politik und Privatheit spiegelt sich gleich mehrfach in „Keiner schiebt uns weg“. Soziales Engagement kann einen hohen persönlichen Preis haben – und so zieht sich die Heldin, nachdem sie mit einer offenherzigen Homestory („Diese Frau macht für Geld – fast – alles“) für viel öffentliche Aufmerksamkeit gesorgt hat, auf der Zielgeraden urplötzlich vom Arbeitskampf zurück, was zum einen die Spannung auf den Ausgang steigert, zum anderen aber auch ermöglicht, dass so manche graue Maus sich aus ihrem Puppenhaus befreien kann. Der Film von Wolfgang Murnberger setzt zwar auf das gängige David-gegen-Goliath-Prinzip, ist aber komplexer als die vielen erfundenen Wettbewerbs- und Solidaritätsgeschichten („Die Spätzünder“, „Die Mongolettes“, „Inklusion – gemeinsam anders“), in denen gesellschaftliche Außenseiter und die Gemeinschaft gefeiert werden. „Keiner schiebt uns weg“ erinnert dramaturgisch an eine der TV-Urmutter des Subgenres, die Grimme-Preis gekrönte Alltagskomödie „Einer geht noch“ (BR, 2000), in der ein Damenkegelclub aus dem Ruhrpott die Ehre seines Dorfes rettet. Hier wie da bleiben den Männern eher die Würstchen- oder Chauvinistenrollen vorbehalten. Auch das passt zum Genre und zu Gesichtern wie Mielke (mit Schnauzer & Koteletten) und Brambach (mit Toupet). Und Larmoyanz ist der Ehemänner ständiger Begleiter: „Fragt mal irgendjemand, wie’s uns geht?!“ (Text-Stand: 18.10.2018)